Anke

Anke putzt gerade die Theke, als ich aus der Kälte herein komme.
„Börni!“ strahlt sie mich an und eigentlich an mir vorbei. Doch von einer der Starbedienungen namentlich begrüßt zu werden, ist schon den Besuch hier wert, auch wenn sie das e wie ein ö spricht.
„Einen kleinen Galao noch, bevor ich die Stadt verlasse“, mache ich mich wichtig.
„Ach stimmt, du fliegst ja weg“, stellt sie fest und ich wette, sie hat sich nicht gemerkt wohin.
„Das wird dir bestimmt gut tun“, sagt sie. Würde ich jedes Mal Geld für diesen Satz bekommen, der Urlaub wäre refinanziert bevor er begonnen hat.
„Wie geht es dir, Anke?“, frage ich.
„Ach, es geht so. Ich denke viel nach.“
„Darüber wo dein Leben so lang gehen soll?“, formvollende ich.
„Ja, genau“, sendet sie ein melancholisches Halblächeln an mir vorbei durch die Fensterfront hinaus auf die winterliche Straße, wo es in den Trambahngleisen landet und von der M2 gevierteilt wird.

Anke kellnert seit vielen Jahren. Das hat sie schon in Hamburg gemacht. Sie hat auch schon in einem Musikvideo eines Insidern bekannten Indiekünstlers mitgespielt. Momentan überlegt sie, Kunst zu studieren. An einer Akademie, an der man sich auch auf Wortinstallationen spezialisieren kann, sagt sie. Noch in Hamburg, da war mein Kumpel N. ein paar Mal mit ihr aus. Einmal waren sie in seiner WG beim Abendessen. Niko hat Polaroids von allen gemacht. Als er später das Geschirr wegräumte, lagen die Polaroids noch da. Nur die von Anke waren verschwunden.

„Du kommst immer wenn wir gerade aufräumen“, beklagt sie sich nur scheinbar.
Ich sitze innerlich zufrieden am Fenster, zucke mit den Schultern und sehe ihr weiter beim Auffüllen der Getränkebestände zu.
„Das ist Zufall“, lüge ich. „Warst du beim Friseur?“
„Das ist ja irre. Ich habe nur so wenig abschneiden lassen und jeder spricht mich darauf an“, sagt sie nahezu aufgeregt.
„Das liegt nur daran, dass du deine Haare heute offen trägst“, nehme ich ihr ihre Illusionen und ihr Lächeln verschwindet kurz. Ich hole es zurück.
„..und natürlich daran, dass die Frisur so gut aussieht.“

Jetzt lacht sie mich das erste Mal an und nicht an mir vorbei. Aber nur kurz, dann räumt sie weiter ein und aus.
Als ich gehen will, fragt sie mich: „Wann spielt deine Band denn?“
„Am 12. April im Frannz Club“, antworte ich.
„Das kann ich mir nicht merken. Das ist noch so lange hin.“ Sie tut geschäftig.
„Ich sms dir das“, sage ich.
„Au ja, dann sehe ich dich… in Aktion?“, blinzelt sie müde.
„Dann siehst du mich, wie ich wirklich bin“, sage ich und schäme mich gleich ein wenig dafür.

Sie kommt hinter dem Tresen hervor, um mich zu umarmen. Sie hält mich auf Abstand mit ihren langen, schmalen Armen und ihr Kuss auf die Wange ist fachmännisch. Zugleich ist er doch herzlich, bei all ihrer Verlorenheit in sich selbst.

„Ciao, Böni“, ruft sie.
„Ciao, Anke“, sage ich und gehe wieder zurück in die Kälte, ganz zufrieden mit der Tatsache, dass der letzte Kuss dieses Winters von Anke kam.