Das Ende in Santiago De Chile

Du kannst dich nicht vollkommen umkrempeln, denkt er, waehrend er in der immer noch aggressiven chilenischen Herbstsonne sitzt und auf seinen Cortado wartet. Da kannst du reisen, wie du willst.

Du ziehst den Exzess nicht an, dir wirft man keine Karriere hinterher und dein Verhältnis zu Frauen wird ein Leben lang ein problematisches bleiben. Du wirst auch weiterhin Angst vor dem Unbekannten empfinden und das Gefühl haben, kein Teil eines Alltags zu sein. Keine Reise der Welt kann dich auf die Unpässlichkeiten vorbereiten, die noch vor dir liegen. Du hast auch in den letzten Wochen am Ende der Welt nicht aufgehört, an sie zu denken und du wirst auch nicht in Berlin damit aufhören. Die Haare werden dir ausgehen und du wirst bald einen Bierbauch mit dir herumschleppen, wenn du so weiter säufst, da kannst du soviel reisen wie du willst. Deine Gesundheit wird nicht besser mit den Jahren und als juveniler, dekadenter Musiker gehst du doch jetzt schon nicht mehr durch. Den Alkohol wirst du nicht los, indem du ihn verharmlost und die Zigaretten hören nicht von selbst auf zu schmecken. Romane schreiben sich auch ab nächster Woche nicht von selbst und deine Jobs verhelfen dir nur dann zu Reichtum, wenn du das ganz dringlich willst so wie die Generation Dringlich, zu der du nicht gehörst. Dein schwarzes Blut tauschst du nicht aus wie Songs auf deinem iPod und deine Zukunft bleibt genauso verschleiert wie noch vor 6 Wochen. Du kannst dich nicht vollkommen umkrempeln, denkt er und raucht eine Zigarette, während er auf seinen Cortado wartet. Da kannst du reisen wie du willst.

Aber du kannst Pläne machen, denkt er. Du kannst zusehen, wie du Tag für Tag ein Stück deiner Angst verlierst, du kannst weiter reisen du kannst weiter experimentieren. Du kannst weiter gehen, als du es bisher getan hast. Du kannst dich ein bisschen verändern und du kannst fast alles um dich herum verändern. Du kannst dir dein eigenes Berlin basteln, du kannst nach Buenos Aires oder London ziehen, du kannst nach München zurück. Du kannst noch hundert Platten aufnehmen und irgendwann doch ein Buch veröffentlichen, du kannst Fremdsprachen sprechen. Du kannst eine Frau finden, die ein Feuerwerk für dich ist, du kannst eine Weile mit ihr zusammen sein und vielleicht hast du Kinder, denen du von Drogen, Alkohol und einer Musikerexistenz abraten koenntest, es aber wahrscheinlich nicht tust. Du kannst noch so weit reisen und so viel erzählen. Du kannst die Leute unterhalten und die Leute werden dich unterhalten, du kannst in Unruhen geraten und dabei die Oberhand behalten, du kannst jeden Tag ein bisschen mehr das sein, was du dir vorstellst. Und du kannst Freunde haben. Du kannst dich nicht vollkommen umkrempeln, aber du kannst dich verdammt nochmal dein ganzes Leben verbessern und sogar gelegentlich Spass dabei haben, denkt er. Dabei kannst du soviel reisen wie du willst.

Und die gläsernen Hochhaeuser der Stadt blitzen ihn wie zur Bestätigung an, während er seinen Cortado serviert bekommt und nochmals die letzten vier Wochen Revue passieren lässt.