In schlechter Gesellschaft

Die Stadt stirbt langsam im Frühjahr. Sie liegt auf dem Rücken und keucht, während wir mehr Gift in ihre Venen injizieren. Es fließt durch die Abflüsse in ihren Blutkreislauf. Ich will mehr Chemie, ich will mehr Gift. Alles ist besser als das hier. Ich werde wahnsinnig, wenn ich keine Chemie mehr habe. Alles ist besser als das hier. Diese sterbende Stadt ertrag ich nicht mehr. Nur in schlechter Gesellschaft lässt sich das alles hier ertragen. Ich bleibe in schlechter Gesellschaft, ich brauche die Chemie.

Sie sollen sich von mir aus in einer Reihe aufstellen. Ich nehme sie mir alle vor. Jeden Einzelnen werde ich vor den Kopf stoßen, jeden von denen werde ich in seine Einzelteile zerlegen. Ich bedeute Ärger. Ich bedeute Verlust. Ich bedeute Tod. Ich bin eine schlechte Gesellschaft. Es geht wieder los. Her mit der Chemie, ich werde wahnsinnig ohne die Chemie. Alles ist besser als das hier. Ein Königreich für einen guten Freund. Jetzt ein guter Freund.

Die Stadt stöhnt, aber ich höre sie nicht, so zugedröhnt bin ich von dem ganzen Unheil hier. Die Maschinen röhren und versuchen zu reparieren, was nicht mehr zu richten ist. Die Stadt stirbt und ich komme nicht rechtzeitig hier weg. Deshalb her mit der Chemie, denn alles ist besser als das hier. In einer Reihe sollen sie sich aufstellen, damit ich sie mir vorknöpfen kann. Das wird der letzte Sommer, der letzte Blick von oben auf die erstickende Stadt. Es wäre ein guter Zeitpunkt für eine echte Freundschaft. Statt dessen nur Chemie.

Und du hast ja keine Ahnung, wo ich stecke. Du ahnst nicht, warum ich meine Maschinen noch einmal angeworfen habe. Das ist der Endspurt. Wenn du nicht hier bist, gibt es endlich keinen Grund mehr zu warten. Ich werde mich nie ändern und jetzt her mit der Chemie, denn alles ist besser als das hier. Ich bin eine schlechte Gesellschaft, ich bedeute Ärger. Ich bin Verlust. Ich bedeute den Tod für diese Stadt.

Die Stadt stirbt langsam. Im Frühjahr liegt sie darnieder und im Sommer ist sie schon tot.

Text inspiriert von Stephen Jenkins „Company“. Aufgenommen von der musikalisch nicht so besonderen Band Third Eye Blind.

18 comments / Add your comment below

  1. …Hombre Burnston! Die Ferndiagnose ergibt folgenden Befund: chronische Unterversorgung Ihrer Opioidrezeptoren… suchen Sie die bitte sofort die nächstgelegene Drogerie auf…als Ersthilfe empfehle ich ein durch und durch absinthisches Frühstück…

  2. Ein Scheindoktor mit pfiffigen Ideen. Schade, dass ich Kassenpatient bin. Oder nicht einmal mehr das? Ich weiß es derzeit gar nicht.

  3. Ich bedeute Ärger. Ich bedeute Verlust. Ich bedeute Tod. Ich bin eine schlechte Gesellschaft. Es geht wieder los.

    Da bekriegen sich jetzt und schon seit geraumer Zeit in mir Nothing can come close to this familiar feeling der jedenfalls optisch schon sehr besonders fotzgeilen Roisin (obwohl ich ja an sich eher das Bayerisch-Romanisch-Verdreckte bevorzuge) und das immer wieder angestrebte I want something else to get me through this semi-charmed kind of life der tatsächlich eher unbesonderen genannten Kapelle.

    Allein, dieser Krieg lehrt mich nichts. Bringt nur Wunden, immer nur Wunden. Und immer nur neue Narben. Wie so lange immer auf dieselbe Stelle geschlagen werden, bis das geschwollene Fleisch irgendwann nicht mehr anders kann als aufzuplatzen. Platsch. Chemie hilft da höchstens zu einer ersten Desinfektion. Bewahrt mich davor, in den Starrkrampf zu fallen und wie all die Anderen in dieser Stadt zur Leiche zu werden. Es ist wahr: Es braucht einen Freund. Einen, der es versteht, auf diesem verfluchten und gottverlorenen Acker zu tanzen. Zigaretten und Bier und ein Lied. So einfach.

    Es geht wieder los? Es hat nie aufgehört.

  4. wundervoll. Ich trau mich hier eigentlich nie kommentieren, weil man die schönen Bilder deiner Geschichten damit ja zerstören könnte.
    Aber jetzt muss es mal raus. Wundervoll, einfach wundervoll.

  5. „Bewahre uns der Himmel vor dem Verstehen!, ruft er. Es nimmt unserem Zorn die Kraft, unserem Hass die Würde, unserer Rache die Lust und noch unserer Erinnerung die Seligkeit. Wenn Sie das Zitat erlauben.“

    Die Chemie, die röchelnde Stadt, der gute Zeitpunkt für eine gute Freundschaft, das „ich bedeute Ärger“. Mir ist dazu unmittelbar ‚Adler und Engel‘ von Juli Zeh eingefallen. Schon gelesen?

  6. Grad frag ich mich, ob es nicht doch irgendwie pervers ist, sich mit letzter Kraft wieder und wieder an einen Ort zu schleppen, die Hand dabei vor die klaffende Wunde im Bauch haltend, die herausquellenden Eingeweide mit blutigen, mit Halbverdautem und mit Scheiße beschmierten Fingern nach jedem dritten Schritt wieder zurück in dieses pulsierende und irrsinnig schmerzende Loch zurückzustopfen, nur um zu sehen, wie jemand sich die Hand vor die klaffende Wunde im Bauch hält und die bis auf die Knie herunter hängenden Eingeweide immer wieder mit blutigen, mit Halbverdautem und mit Scheiße beschmierten Finger in dieses pulsierende und irrsinnig schmerzende Loch zurückstopft.

  7. Ich mag besonders Herrn Jenkins Bild von der sterbenden Stadt in der man sich so richtig nach Herzenslust austobt. Nur ist die Frage, ob man es nicht selbst ist, der die Stadt sterben lässt. So belanglos die meisten 3rd Eye Blind Stücke sein mögen, so unterschätzt ist auch Stephen Jenkins als Texter. Wie verwirrend: Da ist diese geleckte amerikanische Mainstreamband, deren Sänger ein lyrisches Ich besitzt, das ganz und gar zerfressen von Liebe und Todessehnsucht ist und sich gegenüber seinen wohl eher unbedarften Hörern permanent über Sex, Drogen und Gewalt auslässt. Bizarrr.

    Nein, beste Jule, noch nicht gelesen. Aber danke für das Zitat.

    Sir Dregan, danke herzlichst für das Kompliment. Die Bilder der Zerstörung zu zerstören. Das ist doch mal eine Herausforderung. Der MC kann das nicht schlecht.

    Und geschätzter Lieblingskommentator Nobs: „Semi Charmed Life“ ist das Urvehikel aller Jenkins Konflikte. Damit hat es angefangen. Mit dem Mehrwollen einhergehend mit dem Verlust der Unschuld. Dem Merken, dass immer noch ein bisschen mehr geht. Damit hat es angefangen.

  8. Ich kann mich da SirDregan nur anschließen. Tatsächlich kann man auf ihre Textereien zumeist nur recht unangebracht reagieren, wie ich ja schon einige Male unter Beweis gestellt habe. Trotzdem: sehr schön unschön, Herr Burnster.

  9. Musste beim Lesen gleich an den guten alten Georg Heym denken:

    „Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.
    Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.
    Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit
    die letzten Häuser in das Land verirr’n.
    …“

    Der Motor braucht Rock!

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