Don’t Fear The Reaper

Fürchtest du den Wechsel der Jahreszeiten, dann fürchtest du den Wechsel im Allgemeinen. Dann fürchtest du den Tod, dann fürchtest du dich selbst. Das denke ich, als ich mit dem Fahrrad durch das Dunkle rase, ohne darauf zu achten, wohin es geht. Ohne darauf zu achten, worum es geht, wenn ich blind in die Dunkelheit schieße.

Ich denke an den einen, den tödlichen Sommer, den wir nur überlebten, weil wir die Stadt verließen. Ich denke an den Geruch von Tod, der den ganzen Sommer lang in der Luft hing. Dieser süßliche Verwesungsgeruch, an den wir uns fast gewöhnt hätten. Ich denke daran, wie sehr wir zusammenhielten und uns um den anderen sorgten. Wir zogen uns an den Haaren durch die glitzernden Wochen an den gefährlichen Ufern der Isar. Und als es kalt wurde, aber die Hitze nicht mehr aus den Steinen der alten Stadt wich, gingen wir weg, so heimlich wie wir gekommen waren.

An deinem letzten Abend warst du ganz ruhig. Ungewöhnlich besonnen. Man konnte sehen, dass dich deine Furcht verlassen hatte. Ich war krank am morgen meiner Abreise. Wir trafen uns wieder in diesem Koloss aus Staub und Stein und gingen gemeinsam getrennte Wege. Immerhin hatten wir uns das Leben gerettet, das reichte für einen Sommer. Diesen einen tödlichen Sommer, der sich in einen tödlichen Herbst verwandelte, in einer anderen, noch viel gefährlicheren Stadt. Und doch fürchte ich nicht den Wechsel der Jahreszeiten. Ich sehne ihn herbei. Ich fürchte weder Tod noch Teufel, wie man so schön sagt. Ich fürchte nur den Stillstand, er ist es, der mich wie ein Besessener durch die blinde Nacht rasen lässt, in der Hoffnung, endlich meiner Angst zu begegnen.

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19 comments / Add your comment below

  1. Erlernbar ist sie sowieso nicht und manchmal, wenn man es darauf anlegt, weil man sie vielleicht bräuchte, entwischt sie einem, die Angst. Beklemmend und zugleich ermutigend, der Text.

  2. Raz: Will dich nicht enttäuschen, aber in dem Text gehts ein wenig mehr um Männerfreundschaft als um Weiberei. Der Tod kommt trotzdem von oben, wenn dich das beruhigt. Und vielen Dank, Oida!

    Lu: Die Plätze füllen sich erst nachts, wenn das Meer schwarz wird.

    Wellengang: Doch, unzählige Male. Aber nicht in dieser Nacht. Ist ja immer das gleiche mit den Feminae. Wenn man sie braucht, sind sie nicht da:)

    mq: Genauso seh ich das auch.

  3. Bin wie immer hingerissen, wegen solchen Texten liebe ich dieses Blog. Im übrigen, ein richtig schönes Photo, da bekommt man schon wieder Lust auf Urlaub.

  4. Fast wie eine verbale Knorpelabsprengung. Manche Leinwände sind definitiv zu klein für diesen großen Text. Fantasmagorisch.

  5. Ein Hammer!

    [Und endlich hielt ich an, weil ich erkannt hatte, dass ich meiner Angst nicht entgegenrasen brauchte, sondern sie die Chance verdiente mich endlich einholen zu können. Und als sie atemlos endlich da war und ich ihr alle meine Interpretationen über ihr vermaledeites Wesen vor die Füsse gekotzt hatte, sagte sie mir ganz ruhig: „Was hast Du Dir nur alles ersonnen über mich? Du bist der Stärkere! Ich melde mich, wenn Du mich brauchst. Aber am Liebsten hab‘ ich meine Ruhe. Damit Du’s weist!“]

  6. Hallo Leute. Gut, dass ich Euch gefunden habe. Eigentlich mehr per Zufall, aber trotzdem: mir gefällt, was ich lese. Ein herzliches HALLO von hier.

  7. Achherrje, offenbar begreife ich die Regeln noch nicht so ganz. Kann sie mir jemand erklären? Würde mich echt freuen. Allet Liebe.

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