Guten Morgen Berlin

This is where the summer ends
In a flash of pure destruction
No one wins
(Ryan Adams – Nuclear)

Verhängnis dieses Tags. Ein weißer Ball.
Die erste der Granaten. Und es steigt
Der Sturm herauf des zweiten Praerial
(Georg Heym – Marengo)

Die Sonne, die heute morgen in das Zimmer bricht, in dem wir ficken, ist keine Sonne. Es ist das gleissende Licht einer atomaren Explosion, die den Sommer abrupt beendet. Während manche noch in ihre Kissen träumen und andere bereits ihre Arbeit aufgenommen haben, ist die Stadt in einem nuklearen Blitz aufgegangen. Die Leute in Berlin haben sich noch verwundert die Augen gerieben, als sie der Blitz geblendet hat, aber bald wird es dunkel und ruhig um uns herum werden.

Gestern saßen wir noch auf einem Hügel und beobachteten die Leute, wie sie sich vermischten, wie sie lachten und debattierten. Hunde spielten um uns herum und Kleinkinder weinten, weil sie sich den Kopf beim Spielen gestoßen hatten. Die Stadt hatte sich hübsch gemacht, oder sie hatte es wenigstens versucht. Sie schickte ihre schönsten und klügsten Kinder hinaus auf die Straßen, damit sie am letzten Tag des Sommers noch einmal repräsentieren durften, worum es uns hier allen geht. Eine Bedeutung zu finden für das eigene, in der Relation vollkommen bedeutungslose Leben. Und so gingen sie alle noch einmal an die frische und sonnendurchtränkte Luft des letzten Sommertags und zeigten, wie bedeutungsvoll sie waren. Die Frauen ihre Beine, die Männer ihre Schultern, es war das letzte Schaulaufen dieses Sommers. Und wir saßen auf dem Hügel und schauten zu.

Später gingen wir aus und tanzten. Wir tranken uns schwindlig und bevor die Sonne wieder aufgehen konnte, lagen wir in deinem Bett und schliefen miteinander. So lange bis draussen das Licht anging, aber es war nicht das Licht des beginnenden Tages.

michkirch.jpg

16 comments / Add your comment below

  1. Und ich überlege die ganze Zeit was mich berührt, kann es aber nicht in Worte fassen.
    Vielleicht genau das: Das letzte Aufbäumen des Sommers.

    Nur kannst du es besser ausdrücken…

  2. Die schönsten Kinder konnte man hier gestern abend auch bewundern, ob die klügsten auch darunter waren, sei einmal dahingestellt. Ich finde aber, dass die Explosionsmetapher irgendwie, ja, fehl am Platz ist. Der Sommer geht doch langsam, und das ist noch viel fieser. Kein finaler Schlag und das letzte Ficken des Sommers. Schleichender Verfall stattdessen. Statt Bombe quasi langsames qualvolles Sterben, man drückt sich hier ja gerne in solchen Metaphern aus, nicht wahr?

  3. Nun ja, liebe Mlle, das ist ja das Außergewöhnliche an diesem Bild. Das vollkommen unvorhergesehene, blendende Ende des Sommers statt dem oft bemühten Dahinsiechen. Ein orgiastischer Abgang eben. Find ich schöner und konsequenter. Ich bin ja hier kein Nacherzähler.

  4. OK. Obwohl ich das „bemühte Dahinsiechen“ als Metapher nicht teilen würde, weil nichts unbemühter und dadurch schmerzlicher daherkommt als ein schleichendes Siechen, aber egal jetzt. Ich bin heute ein wenig auf Krawall gebürstet, nehmen Sie mir das nicht übel. Schön übrigens das Hochhaus, das hinter der Ruine hervorschaut.

  5. Ich schnippel schon mal den schwarzen Balken für das F-Wort zurecht. Finde es hier reichlich f(!)ehl am Platz. Wie eigentlich immer.

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