Hotel

Eines Abends bin ich nicht nach Hause gefahren. Auf halbem Wege kam ich an diesem hell erleuchteten Hotel vorbei und stieg ab. Von der anderen Straßenseite aus beobachtete ich das lichterlohe Gebäude in der nahezu lichtlosen Straße. Die Straßenlaternen waren hier so matt wie fast überall im Osten Berlins und die Bäume hingen finster über der Mitte der Allee. Doch das Hotel strahlte und war warm. Es erwärmte eine Herbstnacht. Eine Weile beobachtete ich es, dann ging ich hinein und nahm mir ein Zimmer. Es war schon spät, aber mein Bett war frisch gemacht und zu Tode erschöpft ließ ich mich hineinfallen.

Ich schlief bis in den nächsten Abend und als ich aufwachte, war die Straße wieder dunkel und das Hotel hell erleuchtet. Ich ging auf die Straße, um mir eine Flasche Wein und Zigaretten zu kaufen, dann kehrte ich auf mein Zimmer zurück. Es war kurios, die Straße zu betreten, denn sie erfüllte nun eine andere Funktion. War sie gestern noch mein Heimweg gewesen, so war sie jetzt bereits ein Teil meines neuen Zuhauses. Nur wenige hundert Meter weg war meine alte Wohnung und trotzdem würde ich sie nicht mehr betreten, würde nicht mehr auf der Straße vor meiner alten Wohnung umher gehen, um mir eine Flasche Wein und Zigaretten zu kaufen.

Von meinem Zimmer aus blickte ich auf die dunkle Wittelsbacherstraße und sah den einen oder anderen Spaziergänger im Dunkel Berlins herumstochern. Ich legte mich wieder ins Bett, trank Wein, rauchte und las ein Buch, das ich zufällig dabei gehabt hatte, als ich gestern auf dem Weg nach Hause gewesen war. Ich war immer noch sehr erschöpft und doch war ich zufrieden, nein, sogar glücklich war ich. Ich schlief ein und wachte am nächsten Tag am späten Nachmittag auf. Die Sonne war bereits auf ihrem Weg nach unten und ich ließ mir Abendessen aufs Zimmer kommen. Dazu trank ich Wasser und Cognac aus der Zimmerbar und rauchte eine der gestern gekauften Zigaretten. Ich öffnete das Fenster und lehnte mich auf das Fensterbrett. Die Luft war kälter, als noch vor zwei Tagen, aber sie trug in wenigen Fasern noch den Geschmack des ausfransenden Sommers.

Ich hörte auf, die Tage zu benennen, aber es muss ungefähr nach einer Woche gewesen sein, als ich sie unten auf der Straße sah. Vermutlich war sie auf dem Weg in meine alte Wohnung. Es amüsierte mich, sie von oben zu sehen. Ihr braunes Haar war vom Wind zerzaust, sie trug eine taillierte Armeejacke, einen Jeansrock und eine schwarze Strumpfhose darunter. Dazu braune Lederstiefel. Sie sah lustig aus von oben. Man sah nicht ihr Gesicht, aber man ahnte, dass sie ernst dreinblickte. Ich konnte die Form ihres Busens sehen und ihren Hintern. Sie hatte es eilig und ich sah ihr hinterher. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich immer noch ganz in ihrer Nähe wohnte.

Meine Eltern hatten mir etwas Geld hinterlassen und ich brauchte es leichten Herzens auf. Von Tag zu Tag steckte ich das Geld in das Hotel. Nach sechs Monaten war es jedoch weg und ich musste das Hotel wieder verlassen. Ich kehrte zurück in meine alte Wohnung, in der es nach Winter roch, obwohl längst Sommer war. Ich rief meine Freunde an, aber konnte niemanden erreichen. Ich wartete vor ihrer Wohnung, aber sie kam nicht herunter. Ich klingelte, aber es öffnete niemand. Ich arbeitete ein paar Monate, den Sommer über und legte Geld beiseite. Ich war sparsam. Als sich der Herbst langsam der Stadt zu bemächtigen begann, ging ich zurück in das Hotel und ließ mich am Abend in das frisch gemachte Bett fallen.

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17 comments / Add your comment below

  1. Sehr schöner Text. Wirklich. Ich hoffe, die telegrafische Geldanweisung meiner Eltern kommt bald. Bin immer noch enorm durch den Wind.

  2. Danke sehr, Ole und Suedwind! Ole, auf Telegrafen ist kein Verlass mehr. Schöne neue Welt, in der nicht einmal mehr die Post zuverlässig kommt.

    MQ: Alles ist trügerisch. Und wer die Augen schließt, geht in Flammen auf, sagt die Log Lady.

    Übrigens: Der Text entstand tatsächlich anhand des Fotos, das ich neulich nachts mal schoss.

  3. Ich kann Ihnen da leider auch nicht helfen, Herr Flyhigher. Der Text ist auch traurig gemeint. Dass sich der Autor im Gegensatz zu seinem lyrischen Ich tatsächlich bester Gesundheit und Stimmung erfreut, tut ja nichts zur Sache.

  4. Burni, wenn Du uns weiterhin so penetrant Deinen Zeigefinger auf die „mir hingegen geht‘s so gut“-Wunde legst, dann haben wir eines Tages kein Mitgefühl mehr mit Dir! ;-)

  5. was für ein schöner text. ich als hotelfachfrau sehe den text noch einmal von einer ganz anderen seite ;) ich rieche förmlich den duft der jahreszeiten

  6. Das ist Abschied in seiner schönsten tragischen Form. Einfach gehen. Nciht auf Wiedersehen sagen. Den Mund halten. Warten und gucken, was passiert. Und im Durchzug ein neues Zuhause finden.

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