Als ich damals nach Berlin kam

Are you aching for the blade?
That’s o.k. We’re insured.
Are you aching for the grave?
That’s o.k. We’re insured.
(James – Getting Away With It)

Es war im Spätsommer 2003 und hinter mir lag ein Jahr voller Blut und vergebener Liebesmüh. Es war der finsterste Jahreswechsel meines Lebens gewesen und ich hatte mich noch gewundert, dass das Jahr überhaupt wechselte. Danach nahmen wir alle an Fahrt auf und Autos landeten im Straßengraben, wir rollten uns betrunken mit Instrumenten auf dem Boden, die Nächte wurden unerträglich lang, Freundschaften wurden in letzter Minute und im Eiltempo geschlossen und wir ließen München endlich sterben. Ich befand mich in schlechter Gesellschaft und ich war eine ebensolche. Ich zerriss alle Arbeitsverträge und brach mit alten, schlechten Gewohnheiten. Es waren noch ein paar Monate voller brutaler Scherze auf Kosten der alten Stadt, es gab noch ein paar unglaubliche Ficks und die letzten Sensationen, die wir aus diesem Blutsommer noch herauskitzeln konnten und dann verschwand ich mit all meinen Möbeln und einem weißen Transporter aus München.

Der Vermieter hatte mir mir noch Renovierungskosten von 2000 Euro angedroht und mich dann in letzter Sekunde vor dem Bankrott bewahrt, bevor ich den weißen Wagen bestieg, den guten alten Omnimike im Gepäck, den perfekten Begleiter für die Reise in eine Stadt, die jungen Leuten nix versprach und nicht im Traum daran dachte, irgendetwas zu halten. Das Wetter war fantastisch, die Siegessäule glitzerte uns an und es roch nach Algen, als wir in Berlin einfuhren. Die Stadt war ausgetrocknet, aber der September ließ ihr endlich wieder Luft zum Atmen. Die Leute trauten sich aus den Schatten in die Sonne und trieben Sport. Omnimike und ich, wir tranken Bier in den Straßencafes, kauften Döner und ich telefonierte mit dieser blonden Moderatorin und sah mich schon als ihr neuer Freund in der gemeinsamen neuen Stadt. Ich schlief im Park in der Mittagssonne ein und ich dachte an den verschmorten Engel zuhause in München. Meine Freundin rief an und war weder sonderlich besorgt um mich, noch interessiert genug an meinem neuen Zuhause. Nachdem Omnimike sich ins Auto zurück nach München gesetzt hatte, ging ich alleine ins Kino und danach fuhr ich durch die unbeleuchteten Straßen Kreuzbergs zu einem kleinen Club. Ein Auto mit betrunkenen Wahnsinnigen verfolgte mich, sie hörten in ohrenbetäubender Lautstärke Beethoven und schrien mich an. Panisch suchte ich mein Heil in unbekannten Nebenstraßen und verfluchte meine Einsamkeit.

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Während die Wochen voranschritten, fand ich mich hinter einer zerschlissenen Bar wieder und in einem modrigen Proberaum. Meine Besuche in München gerieten von Mal zu Mal morbider, der Sommer verzog sich ohne ein abschließendes Lächeln aus Berlin, meine Freundin machte mit mir Schluss und der verschmorte Engel hatte seine Flügel repariert und war im Anflug auf Berlin, um seine Feuer auch hier zu legen. Man war nicht sicher hier und man konnte sich nie sicher sein, was die Stadt von einem hielt. Ich begab mich mehr und mehr unter Menschen, keineswegs unter Einheimische, und ich begann zu verstehen, dass Berlin kein Irrenhaus war, sondern eine Art Erziehungsanstalt. Die Leute hier koksten sich um den Verstand, zogen sich die Haut ab, fielen sich gegenseitig an und machten sich so kaputt, dass ihnen ab 35 nur noch der komplette Rückzug ins Berufs- und Familienleben blieb. Der Prenzlauer Berg wurde zur geburtenreichsten Region Deutschlands und die sinnsuchenden Wracks zu den bravsten und produktivsten Bundesbürgern weit und breit. Die Rechnung ging auf, der Staat profitierte von der überzogenen Freiheit, von der aus dem Rahmen gefallenen Superindividualität der Zugereisten.

Mehr und mehr Freunde und Besucher versammelten sich um mich und am Wochenende verließen wir das ausfransende Friedrichshain und vergnügten uns selbstmitleidig in Mitte und am Prenzlauer Berg. Der erste Winter war per se nicht der Killer, den man uns angekündigt hatte. Ich war viel zu tief in mir versenkt, um zu frieren und nachdem der Feuerengel sich in London niedergelassen hatte, war die Stadt leer genug, um ein wenig Amok in den Kratern zu laufen. Wen interessierte da noch der Winter. Da gab es so ein Mädchen im Bastard, das ich so bewundert hatte und bis zum heutigen Tag alle vier Monate wiedersehe, wie einen Wiedergänger aus einer toten Zeit. Und ich kann sie nicht ansprechen, obwohl ich immer schon gerne über Leichen gegangen wäre. Dr. Dingsi nannten wir sie, fragen Sie besser nicht nach den Gründen. Die Wochenenden in Mitte riefen Geister und Bösartiges auf den Plan. Die Dinge kamen immer mehr in Gang, Berlin wurde von Tag zu Tag attraktiver nach außen und die Leute kamen in Scharen herein. Es war der Anfang eines Schaukampfs vor einer stetig gewinnenden Kulisse. Das Berlin, das ich heute beschreibe, in all seiner Pracht und furchterregenden Brutalität, hat seinen Ursprung in den Tagen, Wochen und Monaten von damals. Als ich damals nach Berlin kam, lag ein Sommer voller Blut hinter mir. Doch noch mehr Knochen würden splittern, die Kiefer brechen und die Messer, die man sich im Suff in die Mägen rammen sollte, wurden gerade erst scharf geschliffen. Die Stadt lag im September vom unbarmherzigen Sommer darnieder und atmete langsam, wie ein ruhendes Tier und sobald ich mich nahe genug heran traute, hieb ich ihr meine Stiefel in die Flanken und die Jagd begann. Als ich damals nach Berlin kam, war die Stadt ausgetrocknet und die Minen versteinert.

17 comments / Add your comment below

  1. Gott, das hatte Soul. Von der Art, wie ihn einem das Leben mit Messern und Tritten beibringt. Berlin scheint doch die alte Edelhure zu sein, als die ich es kennen gelernt habe.

  2. Und manchmal kann einem vom vielen Überleben fast schlecht werden. I’ve got soul but I’m not a soldier, um dem schlimmsten lyrischen Faux Pas von Brandon Flowers mal endlich einen ordentlichen Kontext zu besorgen.

  3. Burnster, icke liebe Dir!

    Echt, ich habe in letzter Zeit soviel Berlin-Diss-Texte lesen müssen, dass ich jetzt heulen könnte so schön is det jeschrieben Dein Berlin-Content.

  4. ich bin auf deine autobiografie gespannt. dann kannst du jedem exemplar ein taschentuch beilegen. gern auch mit totenkopf drauf.

    doch wie hübsch sich ein männsch in fast vier jahren entwickeln kann, ist hier wirklich erfreulich.

  5. Ich mag Berlin. Und Berlin mag mich. Aber was sich mag, das massakriert sich.
    Nicht weinen, liebe Creezy. Ich kann auch anders:)

    MQ: Ich schlag dann mal nach.

    Kosmo: Auf die bin ich auch gespannt. Vor allem auf den Schlussteil. Und danke!

  6. Supergeschichte. Auch wenn meine Zuwanderergeschichte anders sein würde. Wo ich bin, hat halt nicht nur mit dem Ort zu tun, sondern auch mit mir ;)

  7. @ Rationalstürmer

    Bayern muss das wahre Paradies gewesen sein, wenn die dortigen Kollegstufenmädlein zu James ausliefen. Ansonsten waren James ja eher die ewig unterschätzte, großartige Pop-Band mit außerhalb Großbritanniens leider viel zu geringem Bekanntheitsgrad. Aber das Leben ist halt oft ungerecht.

  8. Herr Ratzifummel, du bist doch eh emoer than the rest. Und wenn irgendwo eine ausläuft, bist du doch der erste mim Putzlumpn. Was also willst du mir sagen?

  9. Aha, der Burnster ist also auch noch nicht so lange in Berlin, der Stadt der Flüchtigen. Und ich erkenne einige Parallelen. Zurück in Bielefeld weiß ich, das meine kurze Visite in Berlin nicht die letzte war. Eine schöne Ode.

  10. Ohne jetzt näher auf die Ungerechtigkeiten des Lebens eingehen zu wollen, werter Raducanu, bestätige ich zumindest gerne Ihre Mutmaßung, Bayern sei das wahre Paradies gewesen. In Teilen ist es das sogar noch.

    Was die Behauptung „großartige Pop-Band“ angeht, und damit komme ich zu dir und deinem Emoverdacht, geschätzter Brenner, ist es so, dass mich das Eingangszitat einfach an eine uralte Gschicht erinnert hat und ich keine Lust hab, das Gewölle nur wegen einer Manchesterband jetzt noch raufzuwürgen.

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