Die krankhafte Gesundung des St. B.

When you stop drinking,
you have to deal with this marvelous personality
that started you drinking in the first place.
(Jimmy Breslin)

Es geht mir nicht gut. Ich trinke zu wenig. Ich kann nachts nicht schlafen, bin ständig gereizt und mir fehlt jegliche Gelassenheit. Die Gründe liegen auf der Hand. Ich trinke zu wenig. Ich erlebe zuviel mit von dem Leben hier in der Stadt. Und ich bekomme jeden elenden Tag eine Überdosis Reize frei Haus geflutet. Das ist mir zuviel. Da fehlt die Kapuze Alkohol. Auch die paar Notbiere nach dem Abendessen helfen nichts. Der Schnaps fehlt.

Ach wie selig waren die Zeiten, als wir uns mit Pastis und Averna nachts in der 8mm Bar in den Schlaf wiegten. Wie golden die Momente, in denen wir unsere Existenz zwar verfluchten aber längst nicht mehr spürten. Wir haben getanzt und gesungen, wir standen auf Bühnen und in der Manege. Wir waren Verlierer, aber wir hatten Stil.

Jetzt liegen wir brach und erfolgreich und fühlen uns ganz sicher nicht als Gewinner. Ausgetrocknet, verdammt zur nüchternen Wahrnehmung, was für Arschlöcher wir doch eigentlich sind. Was für ein Arschloch ich doch bin. Befreit vom phlegmatischen Filter der trägen Selbstverherrlichung merke ich, was für ein Hanswurst ich bin. Und nicht nur ich. Die Fratzen der anderen Hanswursten erscheinen mir im Lichte des Tages noch grotesker und ich bekomme es langsam mit einer ernsthaften Angst vor der Gesellschaft zu tun. Schaut her, seht mich an, ich treibe Sport und stehe früh auf, ich sehe gesund aus, gehe einem verantwortungsvollen Job nach und bin ganz und gar Pop. Wie soll ich das meinen Eltern erklären, die jahrelang nur auf meine Geschwister gesetzt haben und ihrem schwarzen Schäfchen den roten Teppich ausgerollt haben, weil es so verloren war. Wo sollen sie nun hin mit ihrem Mitleid, mit ihrer ganzen Sorge und Zuwendung? Wer will schon einen verlorenen Sohn, der sein Leben im Griff hat? Da könnte er ja gleich nach Hause zurück, nach Grafentraubach ziehen.

Nein, es geht mir nicht gut. Ich sehe mit einer Deutlichkeit, einer gellenden Grelle ins Licht des Tages und mir tun alle Gelenke weh, weil ich sie jetzt in ihrer Gesamtheit spüren muss. Ich kann nicht mehr schlafen, ich kann nichts mehr essen. Überhaupt esse ich deutlich zu wenig Fett und Fleisch. Gemüse, Obst, Säfte, Vitamine, pfui Teufel, es kann einem das kalte Grausen kommen vom vielen Gesunden. Wie schön finsterromantisch war das warme, notgedrungene Überleben im Gegensatz zur kalten Verpflichtung des echten Lebens. Und wie gemein ist die erfüllte Liebe. Wie furchtbar ist es, wenn einen jemand mag und man sich die Verwünschungen, die Vorhaltungen und ewigen Flüche sparen muss, weil einem Gutes widerfährt? Das ist die brutalste Form der Ausnüchterung: wenn man niemand mehr hat, der einem sein Leben ruiniert. Am Ende ist man noch selbst schuld. Das kann bei bestem Willen und Gewissen nicht wahr sein.

Es geht mir nicht gut, ich trinke zu wenig. Heute Abend muss ich mich zwingen, eine Flasche Schnaps zu kaufen und mich an die Theke zu setzen. Das Herz ein wenig schwarz färben, die Leber ein wenig tunken und vergessen, dass es da draussen diese hässliche Ding namens Normalität gibt. Wenn mir jemand Gesellschaft leisten will, bittesehr.