An einem dieser schwarzen Tage

Don’t tell me it’s the right time to pack it up
Don’t tell me it’s the right time for a bitter goodbye.

(The Draft – Impossible)

An einem dieser schwarzen Tage, wenn der Himmel bleischwer und vollgepumpt mit Regen über dem Berliner Morgen hängt, wenn du aufstehst und du noch blutest aus der Nacht davor, wenn das Kissen unter deinem Arm rot ist und du kaum die Kraft hast, die Augen zu öffnen. An einem dieser schwarzen Tage und den Stunden dazwischen wird dir bewusst, dass die Stadt voller Zorn und Gewalt ist und es ein fataler Irrglaube sein muss, sich aus der Stadt heraushalten zu können. An einem dieser schwarzen Tage siehst du ein Video von Snow Patrol, eine rasant gefilmte Kamerafahrt durch eine Stadt im Halbdunkel des verglühenden Nachmittags und du erinnerst dich an Barcelona. Wie es dich eingelullt hat und fast nicht mehr hergegeben hätte, hättest du an Berlin nicht längst deine Seele verschachert Die Vanity Fair ruft München wieder zur heimlichen Hauptstadt aus und du denkst darüber nach, wie es wäre, sich einfach in den Zug zu setzen und zu verschwinden. Sich einfach ins Seehaus im Englischen Garten auf die Bierbank am Wasser zu setzen und die Beine in den Weiher zu halten und zuzusehen, wie es weiter regnet. Und wie der scheidende Mehmet Scholl sagen zu können: „Mein Leben hat gerade erst angefangen.“

An einem dieser schwarzen Tage bin ich es leid, die Fäden in der Hand zu behalten. An einem dieser schwarzen Tage, wenn die Spree vor meinem Bürofenster schwarz und schlingend ans Ufer droht und die Telefone still stehen. An einem dieser Tage, nachdem in Norditalien die Feuerwerke über der Lagune abgebrannt sind und wir nur weiter auf den stinkenden Fluß starren, der sich weiter mit Regen füllt, an einem dieser Tage möchte ich zurück zu Neunzehn. Als wir noch aufbrachen, statt festzusitzen, als wir noch in See stachen, statt am Fluss zu darben. An einem dieser schwarzen Tage frage ich mich, ob Zeitreisende von dieser Periode überhaupt etwas mitbekommen, ob dieser Tag nichts als ein Funken in ihren Träumen, ihrem Schlaf hinüber in eine bessere Zeit ist. An einem dieser schwarzen Tage, wenn tausende von Kindern jetzt gleich auf die Spielplätze gehen und die feuchte Luft an ihren Schläfen klebt und sie das Gefühl schon kennen, aber noch nichts ahnen vom Ausmaß der Brutalität dieser Stadt.

16 comments / Add your comment below

  1. Okay, dass man dem Scholli auch blogmäßig eine Rose und ein Schauferl Erde ins Fußballergrab nachwerfen muss, das versteh ich ja noch. Auch die Gschicht mit der Neunzehn ist mit etwas Güte nachzuvollziehen, und dieses Flussdings, ja freilich, sowas treibt uns ja alle immer mal wieder schluchzend zum Taschentüchlein.

    Aber der Poschardt?! Etz spinnst ganz, oder?

  2. Mei, wenn’s halt drinstehn tut. Ich hab die Inspiration ja auch net frei Haus abonniert. Bin auch auf des angwiesen, was mir beim Scheißen so in die Hände fällt. Hätt auch die Bildzeitung sein können.

  3. Apropos, Herr Burnstl. In Ihrer „Stadt mit Herz“, in der ich gerade zu verweilen gezwungen bin, ist das Wetter auch alles andere als das eines Biergarten würdiges.

  4. Das weiß ich, deshalb ja auch die Anmerkung mit dem Regen im Englischen Garten. Damit hab ich das eskapistische Gedankengut auch gleich wieder als Abflussrohrkrepierer enttarnt.

  5. Siegstas, für solche Fälle hab ich mir mitten in meinem weitläufigen Bibliotheksflügel gleich neman Kamin ein Scheißhaus aufstellen lassen, da kann mir sowas net passiern.

    Und überhaupt kriegst du eh schon den allergrößten Teil von meine Güte.

  6. Gestern hättst im Biergarten sein sollen – dann hättest den Regen des heutigen Tages nur mit einem Schulterzucken und einem Datschi abgetan. Und wärst gemächlich einen Tag älter geworden…

  7. München ist (mit Ausnahme des Englischen Gartens und weniger weiterer Oasen) ein Kaff und das ganze Bussi-Gschwerl geht mir gewaltig auf den Zeiger. Wie sagte noch mein älterer Bruder Joachim bereits 1929:

    Berlin wird immer mehr Berlin.
    Humorgemüt ins Große.
    Das wär mein Wunsch: Es anzuziehn
    Wie eine schöne Hose.

    Und wär Berlin dann stets um mich
    Auf meinen Wanderwegen.
    Berlin, ich sehne mich in dich.
    Ach komm mir doch entgegen!

  8. Tut mir leid, aber das ist ein rotes Tuch ein Stichwort für mich, da kann ich nicht anders. Ich hab die Überschrift schon gelesen.

  9. Nüch schlümm. Bin auch selbst schuld. So endet es immer – in einem leidigen Lieblingsstadtdiskurs – wenn man einmal einen Städtenamen erwähnt. Das ist wie damals, als wir Traubeckerer immer gesagt ham, dass die Weintinger scheisse sind, und umgekehrt.

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