Brennerpass: Euro 2012 – Ein Rückblick

Ich hab heute morgen kurz überlegt, was mir persönlich von der EM hängen bleiben wird, aber nur für den Fall, dass es das doch nicht tut, schreib ich es hier nochmals auf.

Prandelli und die italienische Bank bei der Nationalhymne. Das sah staatsmännischer aus als jeder italienische Staatsmann in den letzten dreissig Jahren.

Andrea Pirlos verwittertes Pokerface bei seinem Sergio-Leone-Elfmeter gegen England.

Gigi Buffon, bei dem Genie und Wahnsinn nicht nah beinander liegen, sondern verheiratet sind. Was für ein begnadeter Torwart und was für ein realitätsentrissener Egomane.

Die Entlarvung von Löws entspannt zärtlicher Balljungen-Neckung als zugespieltes Spaßbild. (Danke, Holger)

Balotelli und wie er mich an Mr. Eko von „Lost“ erinnert mit seinem grobschlächtigem Geschau.

Die Dauererschöpfung im Gesicht von Özil. Die geisterhafte Erscheinung namens Schweinsteiger, die alles das ausstrahlt, was bei Bayern in den letzten zwei Jahren schief gelaufen ist. Die Tränen von Müller.

Das leidenschaftliche, warmherzige und trotzdem schlafwandlerisch kombinationssichere Spiel der Spanier im Finale. Das ausgemergelte Taktik-Geschleiche der Spanier in den anderen Spielen.

Das Aufbäumen von Manuel Neuer in den letzten Minuten des Halbfinales. Die Kraft von Khedira. Das James-Dean-Geschau von Hummels. Bender, wie er kurz mal bayrisch auf der Pressekonferenz spricht. Das Tor von Gomez, bei dem er sich einmal um sich selbst dreht.

Der Jubel im Stadion bei Shevchenkos erstem Tor. Der Überlichtgeschwindigkeitshammer von Blaszikowski. Das Mixed-Martial-Arts-Tor von Ibrahimovic. Der überirdisch wirkende Choralgesang der irischen Fans.

Die Artistik und Körperbeherrschung von Cristiano Ronaldo. Dieser eine Einspieler irgendwo im Fernsehen, wo er in absoluter Dunkelheit einen Kopfball ins Tor macht .

Das auf den ersten Blick erkennbar gültige Tor gegen England. Die Sinflut von Donezk. Dass die Engländer auf dem Felsen von Dover eine provisorische Hogdson-Statue errichtet haben.

Das furchtbar patriarchische Geschwafel von Bela Rethy samt Gehässigkeiten, Frisurenhetze und dem Anti-Bonmot der jüngeren Kommentatoren-Geschichte vom Pokal, der im Gegensatz zu Shakira keine Widerworte an Piqué gibt. Bela Rethys Weigerung, Jordi Alba richtig auszusprechen.

Mehmet Scholls Feuer als Experte und seine wundervoll mutige (wenn auch destruktive) Kritik an Gomez. Die Lässigkeit, aber auch das schwäbische Phlegma mit der sich Gomez durch den permanenten Gegenwind bewegt, obwohl es ihm natürlich dennoch zusetzt.

Der expressive Veitstanz von Karagounis nach der falsch gegebenen Schwalbenkarte. Die wilden Augen von Papadopoulos, die überflüssigen und faschistoiden Eurokrisen-Witze.

Der Seitenblick in die Kamera von Olli Kahn, nachdem er eine (scheinbare) Pointe abgefeuert hat. Der subtile Neid Katrin Müller-Hohensteins auf ihre wunderschöne Kollegin Jeannine Michaelsen, ausgedrückt in Seitenhieben gegen die merkwürdige Welt der „Online-Expertin“.

Die Seebühne in Heringsdorf, die ich tatsächlich, neben ihrer Sinnentleertheit, schön fand.

Matthias Sammer.

5 comments / Add your comment below

  1. Und unbedingt: Der polnische Ersatztorwart, der rein kommt, und sofort einen Elfer hält. Das ist die Geschichte seines Lebens.

    Und: Jogi und der Balljunge und die Enttarnung des LIVE Programms.

    Und (aber das interessiert vermutlich niemanden): Die völlig aus dem Nichts aufgetauchte Fortuna-Fahne über den einlaufenden Spielern im Halbfinale der deutschen, die einen Teil der UEFA Bande verdeckt hat – da dürften die UEFA-EVENTverantwortlichen nicht mal was im Strafenkatalog gefunden haben.

    Danke fürs Tippspiel. Ich war sensationell schlecht.

  2. Holger: Stimmt, der Torwart ist auch gut. Den Balljungen hab ich fast vergessen. Trag ich schnell nach. Die Fortuna-Flagge ist mir tatsächlich nicht aufgefallen. Danke für’s Dabeisein!

  3. Schwabing vor dem Halbfinale, und die „Wir haben ungenutzte Feierlaune aus dem CL-Finale dabei“-Stimmung, die kurz darauf im Blau ertrank.
    (Vize wäre schon was gewesen, da hätte Leverkusen nicht mal mithalten können.)

  4. eigentlich muß man froh sein, daß der Schweinsteiger nicht schon wieder Zweiter geworden ist.
    Und danke burnster, daß du hinter mir geblieben. Punktemäßig versteht sich.

  5. Kaal und stt: Klar, dann hätten sie gleich ein Patent auf „Vizebayern“ anmelden können, wie Leverkusen das erst unlängst getan hat. Was ich übrigens immer noch sehr souverän finde, auch wenn vermutlich nur Abmahnabsichten dahinter stecken.

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