Brennerpass WM-Studio 2014 (11)

Belgien – Russland 1:0 (0:0)
Südkorea – Algerien 2:4 (0:3)
USA – Portugal 2:2 (0:1)

Was für ein Schlafwandler-Kick. Am Ende wachen die Belgier dann aber offensichtlich auf und werden sich wie nach einem Eimer kalten Wassers plötzlich bewusst, dass sie hier klaren Favoriten sind. Erst dann können sie offenbar das Siegtor erzielen. Wo war eigentlich Eden Hazard, laut Mourinho Spieler des kommenden Jahrzehnts, in den ersten 140 Minuten dieser WM? Gut, dass das ehemalige Rekordstadion Estádio do Maracanã keine 200.000 Leute mehr fasst, sonst hätten sich 200.000 Leute zu Tode gelangweilt. Ach ja, und Jokertore, letzter Schrei im wahrsten Sinne. Ich muss mal Bela Rethy loben. Zum einen, weil er nicht mehr ganz so selbstgefällig kommentiert, zum anderen, weil er gesagt hat, die russische Abwehr sei ja wohl etwas „hüftsteif“. Well said.

Algerien hat mir gut gefallen. Algerien ist auch eine meine ersten Erinnerungen an Fußball überhaupt. 1982 war ich zwar erst sieben, aber die Niederlage beim WM-Auftakt flößte mir Respekt ein – ich sehe heute noch die grün-weißen Trikots vor mir. Respekt hat sicher auch Korea bekommen und zwar vor der eigenen Schnarchnasigkeit. Wie man im entscheidenden Gruppenspiel so dermaßen eine ganze Halbzeit verschlafen kann, wird ihnen auch einen Tag später noch ein Rätsel bleiben. Doch auch mit Gegenwehr wären die Herren Brahimi, Feghouli et al. langfristig nicht aufzuhalten gewesen. Die Koreaner hatten kein Rezept gegen die langen Bälle in die Spitzen und mal ehrlich, wer hat das bei dieser WM schon. Pass and Rush ist das Motto. Und ja, es wurde mal wieder ein klarer Elfmeter „übersehen“ und vielleicht schickt man wieder so einen armen Linienrichterteufel dafür nach Hause. Etliche Fehlentscheidungen sind ja nachzuvollziehen, aber in der Summe kann man nach über 30 Spielen getrost sagen, dass die FIFA auch hier Mumpitz macht.

Mumpitz sind auch diese langen Nachspielzeiten, weil fünf Minuten im Gegensatz zu drei oder vier Minuten ein Signal an die Mannschaften ist, dass noch was geht. Ich weiß, dass die FIFA ihre Schiris gerade wegen dem Schlussspektakel dazu anweist, lang nachspielen zu lassen, aber berechtigt ist das in den seltensten Fällen. Oder drücken wir es vorsichtiger aus: Dem Habitus entspricht es keineswegs. Und nicht selten verfälscht es auch ein Spiel im Gesamteindruck wie das der USA gegen Portugal. Die Klinsmänner waren jetzt nicht die besseren, aber sie haben hundert Mal mehr aus ihren bescheidenen Möglichkeiten gemacht als die weiterhin völlig konzeptlos spielenden Portugiesen. Die USA zwingen einem ja gerne ein laufintensives Spiel auf, aber sollte eine Mannschaft wie Portugal nicht ein Rezept gegen sowas haben? Bento macht bei dieser WM bisher keine gute Figur. Die Amis sind auf jeden Fall ein Hingucker: Die Boden-Luft-Rakete von Jones war eine Genusswucht, die Parade von Howard kurz vor der Pause die bisher beste Torwart-Zeitlupe und was Dempsey und Bradley so aufs Tor ablassen, kann sich ebenfalls sehen lassen. Eher unansehnlich war der Ellenbogen von Beckerman ins Gesicht von Meireles, da hat sich der Vollbart als Airbag bewehrt.

In other news: Es fällt mir gerade zunehmend schwerer, so flapsig über Fußball zu bloggen, während die ISIS-Bewegung, ihre Ausläufer und auch ihre Gegner an allen Fronten eine Spirale der Hässligkeit entfesseln, die mal wieder zeigt, dass der Mensch immer noch ganz nahe am Primat steht, dass ihm neben dem Überleben der Wettkampf alles bedeutet. Das macht auch den Fußball zu einer zweifelhaften Metapher. Das ist natürlich stark vereinfacht und jeglicher Widerspruch oder Schelte wegen Oberflächlichkeit lasse ich präventiv gelten, aber was ich damit sagen will, ist einfach nur: ich hab ein komisches Gefühl.

4 comments / Add your comment below

  1. Diese langen Nachspielzeiten gehen mir auch auf den Sack – na gut solange bis dann Schland noch ein Tor mehr in der 97. Minute schießt – des hat a Gschmäckle wie der Schwabe sagt…

  2. Das Gefühl hinsichtlich Kampfmetaphern teile ich. Verstärkt wird es durch den Einduck der medialen Kaltschnäutzigkeit, wenn einem Höhlenforscher mindestens ebensoviel Nachrichtenwert eingeräumt wird wie Tausenden Toten und Millionen Flüchtlingen.

  3. Absolute Frechheit, der Höhlenforscher-Auflauf. Dass in Nigeria jetzt wiederholt über 20 Leute beim Public Viewing (Engl: „öffentlich Aufbahrung“) weggesprengt wurden, ist eine Randnotiz. Ich kann mir beinahe nix tragischeres vorstellen zum Zeitpunkt einer WM.

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