Brennerpass WM-Studio 2014 (20)

Frankreich – Deutschland 0:1 (0:1)
Brasilien – Kolumbien 2:1 (1:0)

Aha, Kroos geht zu Real, weiß die SZ aus angeblich sicherer Quelle. Na dann, Reisende soll man nicht aufhalten. Ich als Bayernfan bin natürlich ein bisschen kleinkariert und verbittert und etwas in mir will Verrat, Söldner, Illoyaler, Ballack und hinterfotziger Karrierist schreien, aber wenn ich ehrlich bin, hab ich Kroos hier im Brennerpass meistens eher weniger geschätzt – genau wie sein eigener Verein. Egal wie viel Geld da im Spiel ist, ginge Kroos allein aus gekränktem Stolz, könnte man es ihm kaum nachsehen, wäre da nicht Pep Guardiola, der für seine Verhältnisse geradezu treuherzig auf ihn gesetzt hatte. Also doch: Verräter, Ballack!

Aber jetzt zum Spiel. Medial hat sich die deutsche Elf zuletzt ja arg dünnhäutig und Löw betont stur gegeben, aber die Kritik nach dem Algerien-Gehudel hat ja dann doch die „richtige“ Aufstellung zu Tage gefördert und in der Konsequenz ein orchestriertes und dennoch kämpferisches Gebaren auf dem Platz. Gut, Klose war ein Ausfall, aber wenn man mit so etwas exotischem wie einem Stürmer spielen will, hat man ja neuerdings nicht mehr die Wahl. Die Viererabwehrkette war der eigentliche Star des Spiels, das Kronjuwel davon freilich der Kollege Hummels, aber man kann da hinten niemanden anderes als eine große Leistung bescheinigen, noch nicht einmal Höwedes, den ich bisher sowieso nicht so schlecht gesehen habe wie die meisten. Irgendwie traurig stimmt mich Mario Götze. Das hätte immerhin die definierende WM seiner Vita sein können, das Turnier, bei dem er aus dem Atelier des sich ewig Ausprobierenden ausbricht und sein Gesamtwerk in einer globalen Vernissage ausstellt und zum Picasso wird. Aber vielleicht braucht auch er eine Sonderstellung außerhalb aller Systeme. Leider spielt er derzeit zu mittelmäßig, als dass Pep oder Löw dieses Risiko eingehen würden.

Wie gesagt, Abwehr prima, Neuer wieder Ernst Eiswürfel und Müller löwenherzt, hantiert und grantelt sich da vorne einen Wolf, aber was war mit dem Mitteleld? Defensiv haben Schweindhira und Krözil zumindest gut mitgeholfen, aber ansonsten stand man meist nur da, um schnell überbrückt zu werden. Es ist eben eine WM ohne Mittelfeld. Mehmet Scholl hat schon recht, wenn er sagt, das ist ein robustes Turnier, das die zarten Violinisten Neymar und Özil mit seiner rohen Kontrabassigkeit zu verschlucken droht, aber während Neymar spielt wie er spielt und dabei dem Tod ins Auge blickt, hat Özil Angst vor dem Gegenspieler, vor der Aufgabe, ja vor der gesamten WM.

Wie die Deutschen diesen knappen Vorsprung ins Ziel bringen, das hat was Italienisches, etwas Erhabenes, da stört es mich fast, dass man am Ende sich noch so zu Panik-Kontern hinreißen lässt. Vor allem wenn man sie so dermaßen verschürrlet. Zum Schluss muss man unbedingt mal darauf hinweisen, dass eine Jogi-Löw-Abwehr ein Spiel gewonnen hat. Per aspera ad astra. Wer hätte – ernsthaft jetzt – jemals damit gerechnet? Und auch wenn ich Löw und seine spröde und unpersönlich wirkende Art nicht mehr unbedingt brauche – dass er nicht in den Altersstarrsinn verfällt, sondern während des Turniers schraubt, werkelt und sich damit auch Fehler eingesteht, muss man ihm positiv anrechnen. Moment, rechne ich ihm jetzt positiv an, dass er Weltmeister werden will?

So, und jetzt zu Heulsilien. Kann doch nicht sein, dass die Mannschaft jetzt schon ihr fünftes Spiel im absoluten Mittelmaß zubringt und wieder gewinnt. Dass die Euphorie und noch mehr die beinahe greifbare Angst vor der Blamage die Mannschaft weiter durchs Turnier eskotiert und am Ende wohlmöglich so gar über die Leichen der Deutschen hinweg. Denn wenn wir etwas fürchten, dann ist es übermäßige Begeisterung und Inbrunst bei Nationalhymnen. Natürlich hält man zunächst lieber zu den eleganten Kolumbiern, aber weil die in der ersten Halbzeit eher im ungewzungenen Gruppenspielmodus herumtollen, ist der Rückstand gerecht und der Einsatz von Scolaris Hauspsychologin und Aphorismen der Weltliteratur nachträglich gerechtfertigt. Als Kolumbien dann endlich seiner scheinbar unbegrenzten ästhetischen Mittel gewahr wird, entsteht ein tolldreister Wettkampf, bei dem Brasilien holzhackt und dennoch sanft überflügelt wird. Dann aber kommt eine Zäsur wie ein Fallbeil. Mit diesem surrealen Freistoß erzielt der außer Rand und Band geratene Luiz das zweite brasilianische Tor und zwingt damit Kolumbien eine viehische Härte und Konsequenz auf, die ihr Spiel und letztlich den armen Neymar kaputtmacht. Und dann tut einem Kolumbien plötzlich nicht mehr so leid, wie man das anfangs vorhatte, als man ja längst ahnte, dass der brasilianische Emo-Fußball am Ende wieder der prädominate sein würde.

In other news: Deutschland hat Kolumbien übrigens schon im Vorfeld dieses Spiels ein Trösterli „spendiert“.

98.000 Pistolen vom Typ SP2022 im Wert von 50 Millionen Euro soll das Unternehmen (Sig Sauer) an die kolumbianischen Sicherheitskräfte verkauft haben. (Quelle: taz Online)

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