Brennerpass WM-Studio 2014 (25)

Deutschland – Argentinien 1:0 n.V.

Da hab ich mein Maul im Vorfeld aber proppevoll genommen, als ich dem Endspiel in einer Berliner Boulevardzeitung jegliche Spannung und Dramatik abgesprochen habe. Gnadenlos unterschätzt habe ich diese Argentinier aber wie hätte ich auch wissen sollen, was die drauf haben, sie haben es ja das ganze Turnier nicht gezeigt. In diesem Sinne ein ganz ironiefreies und herzliches Danke fürs Mitspielen, das war Fußball. Ich hatte aber auch nicht gedacht, dass dieses Spiel auf einer derart scharfen Klinge ausgetragen werden würde. Noch beim Warmlaufen ging eine ganze wärmende Zuversicht von den Deutschen und eine sorgenvolle Mimik von den Argentiniern aus. Sabella wirkte sogar so, als wäre ihm die Finalteilnahme eher unangenehm, nach dem Motto: ich weiß, dass ich hier eigentlich nichts zu suchen habe.

Doch dann haben ihm ein paar Dinge in die Karten gespielt: zum einen der Spontanausfall von Khedira und in der Folge der vom beinahe enthaupteten Kramer. Damit war Deutschland in der mittlerweile so implosionssicheren Chemie im Mittelfeld leicht geschwächt, auch wenn Kramer (kurz) und Schürrle (4ever) die Offensive auf Trab gebracht haben. Gleich zu Beginn passierten auch ein paar Konter, die den Argentiniern Selbstbewusstsein gegeben haben, weil sie gesehen haben, dass sie schneller als die Deutschen sind. Später wurde ihnen genau dieses Selbstbewusstsein wieder im Alleingang von Boateng genommen, dem man nachträglich den Ballon D’Or überreichen sollte und ihn Ronaldo wieder wegnehmen. Man kann eh getrost behaupten, dass diese angeblich so improvisierte Abwehrkette spätestens seit dem Algerien-Spiel die WM für Deutschland entschieden hat und das ganz ohne Zement.

In der zweiten Halbzeit wurde das Spiel dann immer mehr zu Bastian Schweinsteiger in „Die Hard In A World Cup Final“. Der Schiedsrichter hat ja wirklich alles dafür getan, dass Schweinsteiger zerschmettert vom Platz getragen wird und Argentinien sich ins Elfmeterschießen schleppt, aber dann kam der beinahe schon entzauberte Zauberlehrling Götze, der sich ganz im Gegentrend zu seinen Verschwindetricks bei dieser WM in letzter Minute unsterblich gemacht hat. Und den einsamen Hauch der Unsterblichkeit muss er auch gespürt haben, als er alleine am Spielfeldrand stand statt mit den Kollegen zu feiern.

Noch mehr Respekt als der Kriegsgott Schweinsteiger und Marathon-Läufer Schürrle hatten die Argentinier aber vor der Medusa Neuer. In ihrem Blickfeld erstarrten Higuain und Palacio bei todsicheren Chancen zu Stein. Pünktlich zum Finale hat auch Mesut Özil sein erstes gutes Spiel im Turnier abgeliefert, Kroos dagegen war in der ersten Hälfte mies und fiel in der zweiten zumindest nur noch selten unangenehm auf. Gekämpft hat auch er, deshalb Schwamm drüber, aber ich prophezeie, dass sein Phlegma ihm auch bei Madrid im Weg stehen wird.

Am Ende bin ich erleichtert, aber nicht überrascht, denn es hat wirklich die konstanteste, spielerisch wertvollste und wohltemperierteste Mannschaft bei dieser WM gewonnen. Stolz bin ich nicht, denn ich hab ja nicht gespielt. Es ist nur eine Mannschaft, die ich mag, die einen Pokal gewonnen hat, den sie unbedingt gewinnen wollte. Eine Mannschaft mit einem guten Trainer. Am meisten freut es mich für Lahm und Schweinsteiger, die nach der Championsleague-Lücke in ihrem Leben nun auch diese Scharte in Gold auswetzen können.

Ein paar Beobachtungen von der Siegesfeier noch bevor wir alle ins Bett gehen, und da passt das „wir“ dann auch endlich: Wie Höwedes und Hummels sich im Rasen geherzt und entspannt haben, hatte was von „Stand By Me“. Der eine ist Schalker, der andere sein theoretischer Erzfeind. Das sah mehr nach Liebe aus als zwischen so manchen herbeigerüschten Spielerfrauen und ihren Männleins. Auch schön wie Neuer und Großkreutz herumgetollt sind. Während Sepp Blatter den Lahm dann beinahe vor Begeisterung über sein eigenes Turnier unter sein Jackett genommen hätte, bekam Pille den Weltpokal von der unangenehm nach Erika Steinbach aussehenden brasilianischen Staatspräsidentin Rousseff sichtlich widerwillig überreicht. Natürlich musste Lukas Podolski noch vor allen anderen Siegergesten erstmal die Köln-Flagge auspacken, aber irgendeinen bleibenden Eindruck wollte er ja hinterlassen.

Einen bleibenden Eindruck hat bei mir auch Tom Bartels hinterlassen. Nachdem ich in der ersten WM-Woche noch twitterte, ich fände ihn „vollkommen okay“, bin ich jetzt bekehrt. Eine Platitüdenflak wie der gehört aufs Badeschiff oder ins deutsche WM-Quartier abgeschoben. Oder auf die Fanmeile. So, jetzt hab ich wenigstens auch noch eine Kriegsmetapher untergebracht. Apropos Krieg, wäre schön gewesen, wenn ein Spieler nach dem Spiel gesagt hätte, Israel und Palästina sollen sich nicht mehr ihre blöden Schädel zusammenhauen. Weltfrieden, ist das wirklich so ein abstrakter, ja strafnaiver Begriff geworden?

Ich geh jetzt ins Bett. Es war mir eine große Freude, hier berichten zu dürfen.

NACHTRAG
One last time in other news: Messi ist zum Spieler des Turniers gewählt worden. Von wem? Von Blatter? Und wäre es da nicht ehrlicher gewesen, man hätte ihm den Titel noch vor dem ersten Gruppenspiel verliehen?

10 comments / Add your comment below

  1. Vielen Dank burnster, ich hatte immer den Eindruck hier schreibt ein „Embedded Journalist“ in Sachen Fußball!
    So jetzt kann ich mir endlich meinen Bart rasieren, denn daß war der Wetteinsatz mit dem Fußballgott. Und vom Fußballgott schien auch unsere Abwehr gesegnet zu sein. Der Torhüter eingeschlossen. Von mir aus hätte Neuer nicht nur den „Handschuh“, sondern auch den „Ball“ verdient. Den heimlichen Chef Schweinsteiger zu Beginn noch zu schonen, lege ich Löw als Puzzleteil des Masterplans aus. Ein Bonmot hätte ich noch nachzureichen: der Gruß von Schweinsteiger an Hoeneß.
    Ob der wohl einen Fernseher in seiner Zelle hatte?

  2. Kann mich nur anschließen. Ich habe während der letzten Wochen sehr viele Artikel und Meinungen zur WM gelesen, aber hier was es wirklich am schönsten. Danke dir für den Brennerpass.

  3. Vermutlich ist es sentimentaler oder pathetischer Unsinn, aber ich mag den Gedanken, dass Schweinsteiger – obwohl er den einen oder anderen Piledriver einstecken musste – nur immer wieder aufstand, um seinem Team klar zu machen, dass sie eins sind. Vielleicht ahnte er, dass sein Ausfall in den letzten 15 Minuten entscheidend für die Psyche der anderen sein könnte. Demonstration für den Gegner und sein Team. Ich war schwer beeindruckt und habe es ihm und seiner psychischen Leistung am meisten gewünscht, dass die das schaffen.

    Pathos-Modus aus.

  4. Und ich mochte die Einsamkeit von Götze, die er ausstrahlte, als er so nachdenklich im Tumult rumstand und man sich fragte, was da in seinem Kopf wohl vorgeht.

  5. Auch von meiner Seite ein fettes Dankeschön. Deine Fußballtexte zählen zum allerbesten, was das Sportressort bieten kann. Das habe ich schonmal geäußert, ist aber scheissegal, weil ich mir zum Beispiel dieses Endspiel auch schon mehrmals angesehen habe und mich jedes Mal von vorne über das Tor vom Götzengott freuen kann.

  6. Danke für die Worte, liebe Brennerpassanten. Ihr haltet den Ball hier am Laufen. Bis zur Bundesliga… und jetzt endlich Sommerpause!

    Grüße aus dem niederbayerischen Sommer!

  7. Hi Berni,
    Ich schließ mich an! Du sprichst mir aus der Seele, auch wenn ich die Worte nicht finden würde – kein Satz zu viel und doch so fein zu lesen.

    Lass dich mal wieder sehen!
    Rainer

  8. Merci, Rainer. Ich bin zwar die Tage in Bayern, aber alleine mit dem Junior, schaffs eigentlich kaum wohin. Wenn doch, meld ich mich gewiss.

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