Das falsche Tagebuch: 23. Juli 2014

Es ist mir schon während der WM aufgefallen. Zeitung aufschlagen und es ist Krieg. Und nicht nur auf den Schlachtfeldern – was für ein Wort immer noch – auch in aller Munde und Profile. Tragisch ist das nicht, aber tratzen tut es mich dennoch, wie plötzlich jeder einen Furz zum Tagesgeschehen auf Facebook lassen muss und das mit politischem Interesse oder gar Engagement verwechselt. Bizarr ist ja auch, dass die meisten Leute an ihre sogenannten Freundeskreise schreiben, von denen sowieso jeder die selbe großbürgerliche Meinung vertritt. Vorsicht Antisemitismus ruft es grade von überall her, von Poschardt bis taz wird dafür alles verlinkt, was nicht auf einer Flash-Seite steht. Und ich empfinde das als Beleidigung, ja als Affront. Als ob ich hier rumlaufe und „Scheiß Juden“ schreie. Als ob ich nicht wüsste, was sich gehört. Ich nehme diese pseudohumanistische Aufklärungsgülle persönlich. Ich brauche keinen Poschardt und keine taz, ich lese doch schon die SZ, da werden alle nur denkbaren humanistischen Positionen als buntes Meinungsbuffet mit Wortwitzdressing, essayistischem Teigbaaadz und altjournalistischer Großkotzigkeit feilgeboten. Ich kann keine Meinung mehr hören, ich will nur noch Informationen. Eure Meinung schreit mich an und ich schreie zurück: „Scheiß Krieg, scheiß Darwin!“ „Zen“, schreie ich. „Zenfix halleluja!“ Nein, das ist gelogen, ich schreie ja gar nicht, ich bin mit dem Filius nach Niederbayern gefahren, an den See und ins Freibad, wo Schwimmengehen noch kein Event ist und auch keine 7,50 € Spaßbadzuschlag kostet. Dafür lassen wir uns von Stechmücken (vulgo: Staunsen) zerfleischen und merken wieder einmal, dass es gar kein gelobtes Land gibt (auch wenn die Kühlschränke bei der Mama/Oma tatsächlich niemals leer werden). Merk dir das, Nahostkonflikt.

7 comments / Add your comment below

  1. Mir ist es lieber, die Leute schreiben einen Scheiss mit immerhin humanistischen Absichten in ihrem Scheissfacebook, als sie blenden die Schlachtfelder mittels der zunehmend in die Quantität des Unermesslichen anschwellenden Scheissboulevardthemen vollständig aus. Und die gewünschten Informationen, die sich durch journalistische Qualität und aufwändige, mit geistigen und finanziellen Ressourcen ausgestattete Recherchen auszeichnen, werden zunehmend zur Mangelware. Das ist die Kehrseite der scheinbaren Meinungsdemokratie, die unsere rasante digitale Welt angeblich bietet.

  2. Die Absichten sind ja nicht humanistisch, lieber MQ, das ist ja das Traurige. Sie dienen der Profilierung. Andererseits waren die größten Revolutionäre egozentrische Arschlöcher, vermutlich lässt sich Gut von Böse auch in diesem Fall nicht trennen, story of the world. Das mit der Kehrseite der Meiunungsdemokratie ist wohl wahr. Mit Meinungen lässt sich schneller reagieren als mit Informationen und Meinungen kosten auch weniger. Es ist natürlich eine Polemik, die da oben steht, gänzlich schlecht ist es nicht, wenn selbst Hans Biosteak weiß, wo’s grade blitzt.

  3. Von meinem Lieblingsnihilisten:
    „Nichts lebt, das würdig wär‘
    deiner Regungen,
    und keinen Seufzer verdient die Erde.
    Schmerz und Langeweile ist unser
    Sein und Kot die Welt
    – nichts anderes.“
    Ich glaube ja eher, daß wir keine Meinungsdemokratie haben, sondern eine Ablenkungsdemokratie.

  4. stt: Man lenkt mit den Katastrophen und der Meinung dazu ja gerne von der eigenen charakterlichen Unzulänglichkeit ab. Das ist so wie nach Gerechtigkeit für die Asylbewerber in Kreuzberg schreien, aber unfreundlich zum türkisschen Taxifahrer sein, wenn er mal falsch abbiegt.

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