Das falsche Tagebuch: 29. Juli 2014

In unserem Wahn zu Gott und der Welt auf Teufel komm raus publizierte Position zu beziehen und dabei noch so pointiert wie möglich aufzucremen, räumen wir mittlerweile sogar hin und wieder ein, dass beide Seiten eines Disputs Recht haben könnten. Was mir viel zu wenig in Betracht gezogen wird: Niemand hat Recht, alle kehren vor der eigenen Haustür, weil sie unsichere Arschlöcher sind, deren einziger Spaß im Leben geblieben ist, sich an sich selbst zu ergeilen und andere alt ausschauen zu lassen. Planet Selfie. Vielleicht liegt’s auch nur an der stehenden Hitze, durch die man durchwaten kann wie einen Sumpf, dass ich so übelgelaunt bin und rhetorisch vor mich hinschwefle wie ein Furz ohne Druck. Ich meine, ist das normal, dass einen jede Zeitung, jeder Artikel zur Weißglut treibt, dass man nur noch sehen kann, wie der Mann/die Frau hinter den Zeilen sich selbst beim Schreiben einen harthobelt?

Und dann Eltern, ich hasse Eltern. Andere Eltern hauptsächlich, die das Netz mit Fotos von kleinen Kindern, die nix dafür können, dass sie sich entwickeln, die sich nicht wehren können dagegen, dass sie als Menschgewordene Medaillen um die speckigen Hälse ihrer Erzeuger baumeln, verpesten. Aber auch manchmal mich selbst als Vater, weil mir außer dem larmoyanten „Lass uns reden“, ein bisschen hausüblicher Cholerik und blöden Sprüchen von den eigenen Eltern nichts einfällt bei dieser Hitze. Nur dem System fällt noch viel weniger ein als mir: Spiel Feuerwehrmann, mal mal was, spiel Kaufladen, geh klettern. Kindsein kann überhaupt der langweiligste Beruf sein.

Und dann die Religionen. Und die politische Korrektheit mit der alle so herumwürgen wie mit einer besoffenen Python, die zu schnapsschwer ist, um sich auf wichtige Dinge wie das Verschlucken von Mäusen zu konzentrieren. Man sieht ja an meiner behinderten Metapher schon, wie schwer es mir fällt, meine Verachtung für die Apotheose im Zaum zu halten. Weil nämlich die Religion an sich nur ein intellektuelles Relikt ist. Ein Rudiment, ein Ohrenwackler, ein geistiger Atavismus. Würde der Mensch seinen Raubtier-Egoismus überwinden, könnte er erstmals ein Mensch sein und müsste nicht vorgeben, religiös zu sein. Ist ja eh keiner, der bis fünf zählen kann und genug zu fressen hat. Nur ohne Religion ist es wie ohne Tageslichtprojektor an einer Schule. Müsste man rhetorisch schon wirklich was auf dem Kasten zu haben um einen ganze Stunde nur mit Inhalten und Stimme zu gestalten.

Der Wasserspielplatz nebenan hat nach anderthalb Jahren wieder auf. Vielleicht sollte ich meinen Wutschädel unter einen der überdimensionalen Spritzfische halten, bevor ich mit der infernalischen Laune etwas ins Internet schreibe.

6 comments / Add your comment below

  1. („I love mankind – it’s people I can’t stand“, Linus van Pelt)

    Gibt so Tage, da ist man so wund, dass man es noch nicht mal ertragen kann, von innen an die eigene Haut zu stoßen. Die werden durch das Gefühl, durch nasse Wattebäusche atmen zu müssen, auch nicht unbedingt verbessert. Überhaupt ist Übellaunigkeit ein Menschenrecht. Im Gegensatz zu dieser Political-Correctness-Posse. Die wird, da wette ich meinen Arsch drauf, in McCarthy-ähnlichen Zuständen enden. Als ob nicht jeder wüsste, was richtig ist. Ist ja nicht so schwer.

    Die ersten zwanzig Jahre in dem Elternjob habe ich mich übrigens abwechselnd wie Karl der Koyote oder der Roadrunner gefühlt. In den letzten fünf ist das deutlich besser geworden. Jetzt bin ich ein ziemlicher entspannter Bugs Bunny.

  2. Furze ohne Druck haben aber wirklich Massenbelästigungspotential!
    So damit wär die Fäkalebene auch schon geklärt. Komme ich zum nächsten Thema: Religion. Ist eigentlich für mich auch kein Thema, taucht aber trotzdem regelmäßig bei meiner Steuererklärung auf. Ansonsten kann hier jeder soviel rumreligionieren wie er/sie/es mag, solange er/sie/es nicht in meinen Vorgarten rumtrampelt oder in der Türkei als Frau in der Öffentlichkeit zu laut lacht oder als Papst in der Vatikankantine koscheres Schweinefleisch isst. Ich hoffe endlich mal, daß wir ein paar Signale aus dem Weltall empfangen; dann hat sich das Geschäftsmodell „Gott“ seine eigene Grundlage entzogen. So und nun Amen.
    Zum Thema Eltern: mq, ich weiß jetzt ja nicht, ob du hier Hoffnung verbreiten willst, aber irgendwie fühle ich mich grad etwas desillusioniert. Als Eltern leidet man sowieso an einem latenten Schlafdefizit, das auch (bei mir) vorhanden ist, auch wenn eigentlich grad mal keine Katastrophe im Anmarsch ist. Aber es setzt auch eine gewisse Abstumpfung ein, die allerdings auch ungewollt in anderen Lebensbereiche reicht. Das waren zwar ein paar „auch“ zu viel, ist mir aber auch wurscht. Wasserspielplätze sind bei angemessener Kleidung (am besten gar keine) echt super. Einfach nur Spaß haben, das ist ein Glückszustand, den man mit Kindern nie genug haben kann.

  3. Magenta: McCarthy kam mir auch grade vor die Flinte, weil ich in meiner derzeitigen Westernphase ein Making-Of High Noon gesehen habe, dessen Kameraleute, Schauspieler (Gary Cooper ausgenommen) und sogar der Produzent massiv unter Anfeindungen litten. Ich glaube aber nicht, dass es soweit nochmals kommt. Letztlich ist „nur“ ein Zeitalter der Geschwätzigkeit. Sage ich, der Blogger (mir ist die Schizophrenie schon bewusst). Müsste ich mich mit einer Cartoonfigur vergleichen, dann mit dem Kater Sylvester. Womit wir schon wieder beim Tweeten wären.

    stt: Schlafdefizit zieht immer. Ich war bei meinem Erstling so drogenhaft euphorisiert (bins heute noch), ich habe von Problemen eigentlich nix mitbekommen, von den gelegentlichen Besuchen in der Wochenendnotaufnahme mal abgesehen. Meine Frau behauptet aber, es wäre gar nicht alles so leicht gewesen. Und wegen den Kollegen aus dem All. Ich wette, dass würde die Religionen noch befeuern. Von wegen All-ah oder Allvater und so, verstehst?

  4. so gesehen hast ja auch wieder recht,
    achja westernphase: nix geht über „once upon a time in the west“, aber highnoon ist natürlich auch einer der besten s/w-western!

  5. Um ehrlich zu sein, stt, sind Burnsters Zeilen über hassenswerte Miteltern und das eigene Elternsein ziemlich lang in meinem Kopf hin- und hergeschwappt und haben dort einen kilometerlangen Gedankensermon gebildet, der wirklich keinen interessiert, aber letzten Endes als alberner Comic-Vergleich wieder raus musste. Purer Eigennutz also, aber wenn ich damit ein bisschen Hoffnung versprüht habe: gutgut!

    (Schlafentzug entschuldigt einfach ALLES. Gab Zeiten, da wäre ich im Walking-Dead-Cast nicht weiter aufgefallen.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert