Das falsche Tagebuch: 6. Januar 2015

Ich finde Pegida gar nicht so schlecht. Als Moralpessimist gehe ich sowieso davon aus, dass ein Großteil unserer Bevölkerung seelenruhig in seinem Fremdenhass vor sich hin brodelt, und um dieses Brodeln wieder in ein Dimpfeln zu verwandeln, braucht es eben hin und wieder einen großen Gesellschafts- und Medienreflex wie die Anti-Pegida-Bewegung.

Das kann er nämlich – ganz ohne Hohn – ganz prima, der Nachkriegsdeutsche: Auf die Straße gehen, wenn das Gefühl entstehen könnte, er sein ein intolerantes Arschloch. Gegen sauren Regen, Wackersdorf, die Republikaner oder eben jetzt diese Hirnis mit Haupstadt Dresden, wo man damals kein Westfernsehen empfangen konnte, hat ein Freund heute beim Kaffee mal ganz leicht anpolemisiert. Insofern auch bitte gerne weiterhin schreihälsige Idiotie brandmarken, damit die stumme zuhause wenigstens so eine Art schlechtes Gewissen entwickeln kann. Die Kultur erzieht die Masse, umgekehrt ist immer verkehrt, siehe Helene Fischer.

Nur dass jetzt bei Facebook jeder zweite eine Pegida-Belehrung aus dem politisch korrektem Ärmel schüttelt, will mir nicht so recht einleuchten. Zumindest in meinen FB-Bekannten gibt es keinen einzigen, der bekennend mit AfD oder Pegida sympathisiert. Das pseudoaufklärerische Internet-Gehabe ist doch wieder mal nur PC-Geprotze und die Beruhigung des eigenen schlechten politischen Gewissens, weil man sonst auch nichts aus seinem Leben macht als Geld und Kinder anzuhäufen, um beides irgendwann in einer Eigentumswohnung zu dumpen.

5 comments / Add your comment below

  1. Nachdem sich die Ereignisse nun erneut zuspitzen, hier ein Zitat aus der FAZ zum neuen Roman von Michel Houellebecq:
    „Von den Islamfeinden, die dieser Tage nicht nur in Dresden vor der Unterwerfung des Abendlands durch Halbmond und Stern warnen, unterscheidet sich Houellebecq dabei in einem entscheidenden Punkt: Seine Kritik an der eigenen Kultur fällt mindestens so vernichtend aus wie die an der islamischen. Einerseits hat der um Provokationen nie verlegene Romancier schon vor Jahren behauptet, der Islam sei die „wirklich dümmste aller Religionen“ und der Fundamentalismus kein Ausrutscher, sondern eine plausible Interpretation des Korans. Andererseits behauptet der Achtundfünfzigjährige seit jeher, dass ein menschenwürdiges Leben im Westen unmöglich sei.“

  2. mq: Ich weiß nie so genau, was ich von MH halten soll, bin mir aber zumindest sicher, dass er zumindest versteht was derzeit – im Meinungszeitalter – zu wenige begreifen: es gibt keine eindeutigen Positionen mehr zu einem Thema. Feinsinn, Differenzierung und Aspektanalyse ist gefragt. Es macht mich echt fuchtig, wenn auf Facebook selbst gestandene Redakteure plötzlich zu Superanwälten des Islams werden. Pegida ist die bierdimpflige Ausscheidung des Durschnittsbürgers zum Thema Existenzangst, das haben wir ja alle längst begriffen, aber was ist denn mit der Erkenntnis, dass Religionen allgemein philsophische Ausschussware sind? Muss ich den Islam jetzt plötzlich gut finden? Nein, er muss mir wurscht sein. Um nicht zu sagen scheißegal.

  3. Bei „Pegida“ dachte ich bisher immer an PAGAN (People Against Goodness And Normalcy). Da bin ich doch ein ziemlicher Dummbeutel gewesen. PAGAN hat ja im Vergleich direkt humanistische Grundzüge.
    Tja Meinungs- und Versammlungsfreiheit kann durchaus auch mal in eine andere Richtung gehen. So ungefähr: „Ach die? Die sind harmlos, die wollen ja nur demonstrieren.“ Und wer sich wirklich mal ein Bild machen will, dem empfehle ich einen Besuch in so einer „zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber“.
    Und zum Schluss noch einen Polt: „Mein Nachbar sagt: Die Ausländer, das ganze Gschwerl, ich kann’s nimmer sehen! – Das ist nicht meine Meinung, aber ich toleriere was er sagt.“

  4. Grandioser Polt. Überhaupt ist er grade aktueller denn je mit vielen Themen, wenn man sich mal durch die „Fast Wia im Richtigen Leben“-Box durchwurschtelt. Was heute die Gentrifizierung ist, waren früher die Gewerbegebiete.

  5. MH ist die konsequente Aktualisierung innerhalb der Tradition des französischen Existenzialismus. Leider ist das Zeitalter der Provokation noch nicht abgeschlossen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert