Das falsche Tagebuch: 9. Januar 2015

Das Schlimmste an humanitären Katastrophen im Jahr 2015 ist neben der Katastrophe an sich, die Tatsache, dass sich jeder Hirsch verpflichtet fühlt, sich dazu zu äußern. Ich habe mir übrigens neulich den Magen verdorben, glaube ich. Ausnahmsweise kein Virus, sondern Shrimps-Salat in Cocktailsauce von Netto. Um ehrlich zu sein, wusste ich schon beim Verzehr, dass das kein gutes Ende nimmt. Ich glaube, bei dem ganzen Theater um den Islam haben wir eines verschwitzt: in einer ideal abgelaufenen intellektuellen und sozialen Evolution müssten wir eigentlich längst über das Thema Religion hinweg sein. Moralische Grundsätze (und Grundgesetze) haben wir doch eigentlich zum Saufüttern genug. Manchmal wäre ich gerne wieder auf dem Dorf mit der Familie und würde dort alles deinstallieren, was ich nicht sehen will. Nur die Abendzeitung mit den Neuigkeiten vom FC Bayern würde ich noch lesen am Frühstückstisch – wie früher. Doch wenn dann der Magen wieder in Ordnung ist, die hässlichen Shrimps und das Facebook-Pharisäertum final wegverdaut sind, hab ich doch wieder Lust zu raufen. Und wenns nur mit mir selbst ist. Und ich fürchte, das ist es: die Leute sind beinahe froh, wenn sie sich über etwas anderes echauffieren dürfen als ihre eigenen gottverdammten Unzulänglichkeiten.

2 comments / Add your comment below

  1. Die moralische Instanz muss der Staat sein mit sich in Evolution befindlichen Gesetzestexten und ständiger Bürgeransprache. Das kann in europäischen Ländern ein echter geistiger Fortschritt sein, in anderen natürlich zur geistigen Verödung führen (siehe Türkei).

    Aber das ist es ja, was ich meine. Jede Situation erfordert nicht nur einen eigenen Lösungsweg, sondern sogar oft eine Meinung die sich von der „grundsätzlichen“ unterscheiden kann. Wir haben halt alle zuviel Angst und wer Angst hat, versteift sich zu sehr auf Grundsätze.

    Irrerweise gibt es aber dann doch einen humanitären Grundsatz, der allen Weltreligionen gemein ist: seid nett zueinander. Aber daraus kann man halt nur schlecht eine Begründung zum Skalpieren herauslesen.

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