Das falsche Tagebuch: 17. Januar 2017

Weil ich grade in der Online-Zeitung lese, dass Stadtautofahrer mutmaßlich immer noch andere Autofahrer anhupen, wenn sie eine Landnummer beim unsachgemäßen Spurwechsel sehen, noch kurz eine artverwandte Anekdote.

Ich sitze im Café und rede mit dem Besitzer über Personalnot in unserer ehemaligen KiTa. Die ist entstanden, weil sich für die staatlichen Berliner KiTas momentan nur schwer genug qualifiziertes Personal finden lässt, aber auch durch Krankheitsfälle und andere schwer vorauszusehende Kalamitäten. Und natürlich ist der Erzieher- wie der Pflegeberuf weder der best bezahlte, noch meist geachtete und das vermutlich auch das Kernproblem, aber es liegt zumindest in diesem Fall nicht daran, dass der Senat zu wenig Erzieherstellen besetzt oder systemisch kein Budget dafür vorgesehen ist. Es gibt halt scheinbar momentan hier in Berlin einfach nicht genug Leute in dem Beruf, aber auch das ist eine Annahme, die ich vorsichtig auf Gesprächen mit leitenden Angestellten begründe. Ich habe keine Zahlen.

Der Zeitung lesende Mensch neben mir fühlt sich auf jeden Fal von unserem Thema so gekitzelt, dass er einschreiten muss. Dabei haben wir noch nicht einmal diskutiert, ich hab mir nur ein Update geholt, um anschließend drüber nachzudenken oder auch nicht. Es hat mich halt interessiert, aber es war gleichzeitig auch nur eine Form von Smalltalk. Der Zeitung lesende Mensch neben mir will aber unbedingt das Fass aufmachen, dass der Staat nicht genug Geld für KiTas zur Verfügung stellt und zwar das generelle Fass und dann mit aller Empörung, obwohl es uns nur um den bestimmten Fall geht, wo das nicht zutrifft, und es uns ja eigentlich eh um gar nichts geht außer Konversation.

Es ist natürlich das gute Recht des jetzt nicht mehr Zeitung lesenden Menschen, sich einzumischen und seine Meinung zu sagen, aber man muss ja nicht von jedem Recht Gebrauch machen, vor allem nicht, wenn man gar nicht recht hat.

Vielleicht hänge ich die Messlatte für unsere Gesellschaft auch zu tief, aber ich bin ziemlich dankbar, dass der Staat überhaupt die Erziehung von meinen Kindern mitübernimmt und das auch noch überwiegend gratis. Dass er zumindest versucht, meine kranke Tochter zu heilen und mein Sohn einen Lehrer hat, der ihm beibringt, wie Freundschaften funktionieren. Ich bin der Erste, der sagt, dass sich der Staat um seine Bürger kümmern muss und first and foremost um seine Kinder, aber ich bin weit davon weg, das als Selbstverständlichkeit zu begreifen. Und selbst wenn ich das täte, kann ich ja immer noch froh sein, dass er es tut.

Und ich reg mich natürlich auch auf, wenn die Betreuungssituation in KiTa, Schule oder Krankenhaus zu desolat wird – und ich krieg da cholerische Züge – aber mein Zorn ist dann nicht gerecht, sondern bestenfalls situativ und der Lösung eines praktischen Problems geschuldet oder manchmal auch meiner Arroganz oder Eitelkeit.

Dem Zeitung lesenden Mensch war sicher nur langweilig, er wollte ein bisschen Aufmerksamkeit, deshalb hat er sofort mit dem befremdlichen Bonmot geglänzt, dass er einen Freund in der Notaufnahme hat, der sagt: jedes Jahr sterben 30 Leute in der Charité wegen zu wenig Pflegepersonal. Fair enough. Oder auch nicht. Aber mein Tag brauchte zu diesem Zeitpunkt keine stürmische Diskussion, der vom Cafébesitzer vielleicht auch nicht und auch die Sachlage an sich verlangte nicht danach. Letztlich hab ich einmal widersprochen (was ignoriert wurde, aber hey, da darf man nicht sensibel sein) und mich dann weggesetzt und der Cafébesitzer hat ein anderes Gespräch begonnen. Der Zeitungsleser ist nach Hause gegangen. Sicher ein bisschen wütend. Niemand hat gewonnen.

Ich spar mir jetzt das naheliegende und altkluge gesellschaftskritische Fazit, weils ja eh auf der Hand liegt. Nur kurz noch der Schulterschluss zu den hupenden Autofahrern. Nur weil ich hupen kann und es offensichtlich ist, dass der Ebersberger, Havelländer oder Pinneberger sich hier nicht auskennt, muss ich nicht hupen. Alle reden von Trump und seinem Ego, aber worum es eigentlich gehen müsste als Gegenbewegung zu solchen Leuten, ist Zurückhaltung und Bescheidenheit, zumindest wenn man gerade nicht um die Existenz kämpft. Und wer tut das von uns hier schon wirklich. Aber nein, es ist 2017 und alle denken, sie müssten unbedingt weiterhupen, ganz egal worum es geht.