Patrona Bavariae

So, St. Softdrink verknistert sich erstmal für ein paar Tage nach Grafentraubach, Niederbayern und stellt sich seinen Hinterbliebenen als Auferstandener samt neuem Lebenskonzept vor. Schließlich haben mich die Eltern ja das letzte Mal vor meinem Ableben lebendig gesehen. Bin auch gespannt wie die Moosbüffel aus Ratisbona (Zwischenstop) auf lebende Tote und unheilige Berliner Exilanten reagieren. Vermutlich mit der für sie typischen saturierten Gleichgültigkeit, die sie mir auch schon prämortal entgegen gebracht haben. Auch wurscht, ich geh erstmal dahin, wo ich herkomm. Servus, bis nachad. Euer Burnstl.

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SPQR

Adora quod incendisti, incende quod adorasti –
oder Kein Stein bleibt auf dem anderen
wenn St. Burnstl in der Stadt ist

Mit monumentaler Wucht, epochalen Strapazen und kolossalen Eindrücken geht mein erster Besuch in Rom zu Ende. Die eingänglichen Wortklüngel seien mir erlaubt, denn was dem Tibertrutzburg-trainierten Italienurlauber ein alter Stiefel ist, wuchs sich für mich als ewigem Novizen zu einer epischen Rückbesinnung auf meine Kindheitsträume aus. Einmal im Colosseum zu stehen, das Titustor ins antike Rom zu durchschreiten, in der Abenddämmerung auf dem weiten Feld des Circus Maximus zu stehen und die perfekteste Lichtquelle der Antike im Pantheon zu begreifen.

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Umsonst war der Historienzauber freilich nicht. Neben forschen Eintritts- und frechen Getränkepreisen zahlte ich einen noch viel höheren, indem ich meine Geduld Meuten von schwätzenden Amerikanern opferte, die durch den Vatikan pilgerten als gäbe es keinen nächsten Papst. Die Schlange am Petersdom wickelte sich einmal um den gesamten Platz und wäre meine Begleitung nicht ein von Skrupeln erlöster, wiefer Vorschleichprofi, wir würden heute noch auf Einlass zu Peterchen Domfahrt warten. Aber irgendwie muss man sich ja auch zu wehren wissen, wenn der Nepp einen nach Fluidem lechzend zum Kauf eines 3,50€-Mineralwässerchens zwingt, das nach einem Panikrundgang im Vatikanmuseum mit einem erbarmungslosen, heerstarken Touristenmob lebensnotwendig wird.

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Apropos Vatikanmuseum, ich bin mir nicht sicher, ob die Renaissance tatsächlich ein ästhetischer Segen für diese Stadt war. Und überhaupt: würde man alles Gold dieser Stadt – wie es in selbst in der uneingezeichnetsten Kirche noch von der Decke tropft – einschmelzen, könnte man damit locker die Mark Brandenburg überfluten und hätte wenigstens noch was Gutes dabei getan. Da können sich die Michelangelos, Raffaels und Leonardos noch so sehr die Pinsel an den Kirchendecken reiben, meine Liebe werden sie nicht bekommen und solange sich nicht weniger als drei – statt dreihundert – Leute in der Sixtinischen Kapelle aufhalten, kann mich der Aquarell-Irsinn auch nicht begeistern, geschweige denn mit heiligem Geist befüllen. Gut übrigens, dass das Vatikanmuseum nachmittags geschlossen hat, sonst könnte der Ratzinger Bene mit seinen Bediensteten ja gar nicht ungestört Versteckste spielen. Denn mögliche Verstecke gibt es genügend in diesem Labyrinth aus sakralem Größenwahn.

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Freilich habe ich als Ex-Katholik bei solchen Schmähungen und auch live vor Ort immer noch einen Heidenrespekt vor meinem Ex-Schöpfer. Weiß ich doch nicht, ob er nicht doch grade mitliest und in irgendeinem Gewittergremium was zu sagen hat, das die Blitze über Berlin delegiert. Ach ja, italienisches Essen fällt mir noch ein. Gegessen hab ich einmal sogar ganz gut in Rom. Glaube ich zumindest. Denn in dem Moment, als die Spagetti Vongole gustiv einkicken sollten, überfiel mich eine urplötzliche Erkältung wie der Zorn Gottes und lähmte meinen Geschmackssinn. Brut-al dente waren sie, das bemerkte ich noch, bevor mich in vorauseilendem Gehorsam das Oeuvre eines verregneten Berliner Sommers mit durchschnittlichen 16 Grad bereits in Rom erfasste.

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Das nächste Mal fahr ich nach Ostia, leg mich ins Strandbad und wälz mich zwischen Badetouristen. Das ist allemal besser als im Kreise junger besandalter Ostchristinnen und alter, lukullusleibiger Amis im Treppenhaus zur Kuppel vom Petersdom festzustecken. Ein Wortwitz geht noch: Dass ich mich grundsätzlich im Sommerurlaub aufs übelste erkälte, ist der spanische Treppenwitz meiner Reiseautobiografie. Jetzt ist aber genug mit diesem Beitrag, könnte ich ja sonst gleich eine CD-Rom rausbringen.

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Zur See

Seit Jahren hege ich einen einen mittlerweile wildgewachsenen Berlintraum. Zu warten, bis die Zeit reif ist, bis die richtige Gelegenheit und die richtige Begleitung kommt, um sich ins Auto zu setzen, um ans Meer zu fahren. Genauer gesagt an die Ostsee. Und dort ins oberste Stockwerks eines Hotels zu gehen, von wo aus man schon beim Aufwachen die Wellen sehen kann, wie sie an den weißen Sand eines noch menschenleeren Strands stoßen. Und morgens dann nach dem Frühstück die Promenade entlang spazieren und sich unsinniges Zeug zu essen an den Büdchen holen.

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Just diese besagte Gelegenheit hat sich nach fast vier Jahren Berlin nun endlich ergeben. Und nach lauten Nächten und gewittergeschwängerten Morgen in Berlin führte mich mein Weg endlich ans Meer, im Speziellen nach Usedom, nach Ahlbeck. Herrschaftlich touristisch resozialisiert und gleich wieder vergreist, aber im besten Sinne des Wortes immer noch beschaulich. Ich war da und fand nichts, ausser das, was ich wollte: Die See. In einem schneeweißen Zimmer voll von gleißendem Licht aufgewacht und außerhalb der Fenster nicht gesehen ausser die unruhige See. Als wäre ich im Himmel aufgewacht, so ruhig und hell war es.

Doch die Idylle muss man verlassen, solange man sich noch nicht an sie gewöhnt hat, sonst verliert sie an Bedeutung. Also zurück nach Berlin, zurück zum Prenzlauer Berg, zum Helmholtzplatz, wo man vor lauter halbgebildeten, aber besserverdienenden Biosupermarkteinkäufern die Windschutzscheibe vor Augen nicht mehr sieht und man sich fragt, wer denn die Idioten vermissen würde, liesse man mal einen über die Kühlerhaube springen. Aber ich werde schon wieder gehässig, dabei sollte ich ganz ruhig und seelig sein, denn ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Am Meer und nichts anderes wollte ich die letzten Jahre. North Beach comes alive und die Kurtaxe können die sich n die Haare schmieren.

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Streifzüge durch Mariendorf

Es war mal wieder Zeit, um auf Fototour zu gehen und welch besseren Tag als den Herrentag und welch besseren Ort als den Mariendorfer Kulturlustgarten hätte ich wählen können. Südberlin bis der Arzt kommt. Ran an die Randbezirke, weg aus Schmusimitteland, hinein ins wirkliche Leben, wo Beschaulichkeit noch weh tut. Das ist der neue St. Burnster: hart im Gericht mit sich, Berlin und seinen Lesern. Und was das alles mit Bushido zu tun hat, seht ihr gleich.

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Wo St. Burnster, da ist auch der heilige Geist nicht weit, auch wenn er in diesem Fall etwas nazifiziert aus den Dreissigern daherkommt.

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Der Kulturlustgarten bietet Randstadt-Entertainment der Superklasse. Als langjähriger Besucher des Geiselhöringer Volksfestes fühlte ich mich hier wie zuhause.

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Statt einem Hellen trinkt man hier Erdbeerbowle. Ist gesünder, hält schlank und beschwippst trotzem wie Hansi.

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Das ist das wahre Leben. Vergesst Mitte!

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Schamhaare schneiden ab jetzt nur noch bei den Porns. Eh klar.

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Von wegen Ghetto. Das Eckener-Gymnasium. Bushidos Schule. Kein Scherz. The Great Hip Hop Swindle.

Swimming Pool

Stell dir vor, es ist 1992, du bist ein Turmspringer bei den Olympischen Spielen in Barcelona und hast trainiert wie ein Verrückter, um in der Stunde des Wettkampfs hervorragend abzuschneiden. Du hast das Schwimmbad inspiziert und es hat dich von Anfang an fasziniert, wie es am Hang des Montjuic liegt und du das Gefühl hast, nicht ins Becken, sondern ins Häusermeer zu springen.

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In der Stunde des Wettkampfes, im Moment vor dem Sprung stehst du da und weißt plötzlich nicht mehr, wo du eigentlich hinspringen sollst. Sollst du wirklich ins dafür vorgesehene lauwarme Wasser springen, oder lockt dich die Stadt mit ihren spitzen Türmen? Willst du in sie eintauchen und bis zur Sagrada Familia schwimmen? Willst du untergehen in den abendlichen Mengen von Leuten, die wie zähe, aber süße Flüssigkeit vom Tibidabo hinab ins Barrio Gotico fließen?. Willst du Teil der Stadt sein und in sie hineinspringen, oder willst du einfach einen guten Job abliefern und dich nach verrichteten Dingen wieder verabschieden? Stell dir vor, es ist 1992, du bist ein Turmspringer bei Olympischen Spielen in Barcelona und musst dich jetzt entscheiden.

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Kran

Well if she wants to see me
You can tell her that I’m easily found
Tell her there’s a spot out ’neath Abram’s Bridge
And tell her, there’s a darkness on the edge of town

(Bruce Springsteen, Darkness On The Edge Of Town)

In einem Tapas-Restaurant zu später Stunde verspätet sich der Wein und wir vertreiben uns die Zeit mit Lautschrift. Wer sich am Ende als Erster daran erinnert, mit welchem Wort wir angefangen haben, gewinnt einen Zug Fortuna.

Es ist ein Glück, dass wir mit mindestens einem Bein auf dem Boden stehen, sonst könnte man uns losbinden und wir würden fortwehen, hinauf in die Neustadt durch die Äste der Alleen, höher hinaus auf die Spitzen der Monumente bis auf die Türme des Tibidabo. Es ist nicht der Mistral, der uns weiter um die Ecken treibt. Es ist die Angst, am Ende plötzlich einen Anfang zu finden und sich nicht mehr einfach verbeugen zu können, den Hut zu nehmen und ins nächste Lichtspielhaus zu verfließen.

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Deshalb bleibt man ja in Bewegung. Damit man nicht stehenbleiben muss und sich umschauen, wer aller zusieht. Und doch werde ich langsam langsamer. Es fängt genau an jenem Abend an. Ich denke, ich werde werde bedächtig und will weniger hoch hinaus. Darüber hinaus täusche man sich bitte nicht. Um an mir herzumzudoktorn, reicht keine Rohrzange und kein Gabelstapler. Da ist immer noch ein Kran von Nöten.

In einem Tapas-Restaurant zu später Stunde verspätet sich die Zeit und wir vertreiben den Wein mit leisen Ideen. Wer sich letzten Endes an den Anfang des Songs erinnert, gewinnt einen Freiflug auf die Dächer der Stadt. Und kommt nicht mehr zurück.

The South Will Rise Again

Ein Sonnenstrahl markiert heute überdeutlich die Grenze zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Wir finden es kitschig, aber es kommt uns zu Gute, als wir die Brücke der Deutschen Einheit passieren. Denn schnell bauen sich die Landschaften auf, wie sie sollen. Grün und hügelig, satt und herbstlich, bewaldet und gut bestückt. Die relativ bergige Oberpfalz ebnet uns den Weg ins niederbayerische Flachland, hinein ins Land der Kreisverkehre und Umgehungsstraßen, der Neubaugebiete und Agrarflächen. Und überall baumeln die Seelen. Manche hat man aufgehängt, manche schaukeln sich in den Schlaf der Selbstgerechten. Hier ist nichts wie es nicht sein soll und seit Jahrzehnten dasselbe. Der Wildwuchs auf eigenem Grund und Bodens versöhnt mit der Armada von Kleingiebelhäusern der ewigen Dableiber und die Kunst zu beherbergen hat sich über Generationen in meiner Familie fortgepflanzt und wird auch durch Unkraut wie mich nicht entwurzelt. Die Sonne geht unter und ich könnte immer noch wie früher auf dem Spitzdach neben dem Kamin sitzen und rauchen, während sich die Straße weiter ins flache und vorhersehbare Land windet. An guten Tagen kann man den bayerischen Wald in der Ferne sehen, denke ich. Aber das ist nur ein Mythos meiner Kindheit. Ich bin gerne zuhause, aber ich war hier nie daheim.

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Regensburg saniert uns am nächsten Morgen mit Sonnenschein und Straßencafés im Schatten der Domtürme, doch die Assimilierung der Altstadt mit dem rücksichtslosen und subkulturfeindlichen Wirtschaftswachstum bereitet mir Magenschmerzen, anders als damals, als ich mit meinen Jungs die Kellerkneipen der Stadt leergetrunken habe und die Magenschmerzen vom Alkohol kamen. An dieser Stadt habe ich mich sattgelebt und mich letztlich an ihr vergangen. Und meine eigene Freundin hat im Haus gegenüber gewohnt und ich habe mich davor gefürchtet, ich Versager. Doch mein guter Freund sagt „Du warst noch ein Kind.“ und das beruhigt mich. Mein guter Freund bekommte es ein wenig mit der Angst zu tun bei soviel kontrollierter Idylle. Gut, dass ich keine Zeit habe, ihn auf die Winzerer Höhen zu führen. Hoch über der Stadt, wo ich einst im Sommer hinunter schaute und dachte: „Da unten ist sie jetzt. Dort küsst sie andere Jungs, während ich hier oben sitze und auf die Stadt starre.“

Einen Regionalexpress später sind wir in München. Englischer Garten, Biergarten, Hofgarten und doch entarten wir die romantische Erwartungshaltung unseres Gastes, als wir an die Schädelhöhe – die Theatinerkirche – kommen und bei erstem Nachtfrost kurz nach Sonnenuntergang den Königsplatz überqueren. Hier ist nicht alles in Ordnung und deshalb macht es mir keine Angst. Die Stadt hat Löcher, man sieht sie nicht, aber man fühlt sie. Ich erschrecke noch bei gewissen Staturen und gewissen Frisuren. Mich ängstigt die Kälte und die Dunkelheit weil uns der drohende November bereits kühl den Nacken hinunter bläst. Ich erinnere mich an finstere Winter in München. Enger, kälter und unberechenbarer als im weiten, grau ruhenden Winter Berlins. Erst eine Woche später, als es längst keinen Besuch mehr gibt, dem ich etwas beweisen könnte, wie schön es hier ist, erst dann erwache ich unter dem Himmel über dem Stiglmeier Platz mit fürchterlichen Kopfschmerzen aber dem Gefühl, mich wieder ein wenig mit der Heimat angefreundet zu haben. Jetzt kann ich ihr endlich wieder beruhigt fernbleiben.

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Jürgen

Es macht Spaß, die kurvenreichen Straßen des Berglands an der östlicheren Südküste Kretas zu befahren. Links neben uns liegt ein ausladendes und für Kreta ungewöhnlich grünes Tal und rechts türmen sich die Berge des Umlands von Pirgos, schroff, aber hochsommerlich gelassen. Ich singe Del Amitris „Always The Last To Know“ vor mich hin, einen belanglosen Poprocksong aus den Neunzigern. Entschlackt man die Musik von Produktion und Pathos und lässt nur Text und Melodie über, erhält man ein trauriges kleines Lied über eine entwischte Liebe und eine schwindende Informationspolitik.

We spent summers up beyond the bay
And you said these are such perfect days
That if the bomb drops baby, I want to be the last to know
But now youre living up behind the hill
And though we share the same city and feel the same sun
When your winter comes
Ill be the last to know

An dieser Textstelle bin ich angelangt, als ich aus dem Augenwinkel zu meiner Linken am Rande dieses grünen Tals ein Schild mit der Aufschrift „Safari Park“ wahrnehme. Ich fahre daran vorbei, aber im Rückspiegel sehe oder besser erahne ich einen verfallenen Vergnügungspark und einen hochragenden, ausgetrocknetem Springbrunnen, der selbst aus der Entfernung morbide in seinem Abglanz florierenderer Zeiten wirkt. Ich sage zu Tim: „Achtung, ich wende.“ und er fragt mich wieso und ich sage: „Du wirst Augen machen.“ Und ich spreche es eher als Floskel, denn als ernst gemeinten Appetitmacher auf den Safari Park aus, weil ich glaube nicht, dass der sanfte Tim meine Vorliebe für Verfall und das Leben danach uneingeschränkt teilen wird. Read More