Tag eins

Days and days, days and days, an un-English state
Days and days and days and days of sour grapes
Of sour grapes and a thousand miles of old headlines

(Leatherface – Sour Grapes)

Am ersten Tag, als ich geschunden und alleine war, tarnten wir uns als Verabredete. Ich wollte dir zeigen, wie großartig ich bin und du zeigtest dich von deiner schlechtesten Seite. Ich weiß nicht, ob du nervös warst, aber du redetest nur Unsinn und du warst kein bisschen hübsch. Dass ich trotzdem das Gefühl hatte, dass unsere Hände ineinander passen, war die erste Überraschung der Nacht von Tag 1. Die zweite war, wie schön ich dich von Anfang an fand.

Der zweite Tag ereignete sich viele Wochen später. Du warst wieder verschwunden, aber entwickeltest ein Faible dafür, in den unpassendsten Momenten aufzutauchen. Eine gewisse Aufdringlichkeit in deinem Tun und Treiben liess mich weich werden und ich war erstaunt, wie gut deine Hand tatsächlich in meine passte.

An Tag 3 holtest du mich nach Hause, ich war enttäuscht vom Leben und berauscht von meinen Alternativen, ich war mir selbst ein einziges großes Abschiedsfest und so fiel es mir gar nicht auf, dass mich jemand zwischendurch ins Schlafzimmer entführte. Am nächsten Morgen erwachte ich neben einem Geruch, der mir nicht wieder aus dem Sinn gehen sollte. Neben Haut, die manufakturiert wirkte, so perfekt und fließend in ihren vielen Auf und Abs. Als du mich noch ein Stück begleitetest und die Herbstsonne uns milde die blitzsauberen Zähne zeigte, dachte ich das erste Mal ans Dableiben.

Tag 4 fegte alle Langeweile aus der gesamten Stadt. Die Blätter rasten um die Häuserecken, das Lachen von Kleinkindern hielt nicht mehr an den Feuermauern, sondern hallte von Platz zu Platz und wir hatten keinen Sex, aber wir hatten etwas viel Intimeres: Wir hatten Ideen, was wir mit unserer Zeit anfangen wollten. Insgeheim arbeitetest du an einem ganz anderen Plan, der geheim war. Natürlich hatte ich ihn einmal gesehen, als du in der Dusche warst und ihn abfotografiert. Aber ich ignorierte ihn und hatte die Kopien an einem ebenfalls geheimen Ort verschwinden lassen.

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An Tag 5 feierten wir die Feste wie sie fielen und ich war einem völligen körperlichen Zusammenbruch nah. Und als ich bemerkte, dass ich dir in angeschlagener Kondition nicht von Nutzen war, hielt ich mich an jemand fest, dem meine Kondition egal war. In deinem Plan hattest du ja ohnehin keine Verwendung für mich. Warum sollte ich da bleiben? Meine Verabschiedung war eine Ohrfeige für dich und du begegnetest mir das erste Mal mit dieser faszinierenden Boshaftigkeit, die ich in der Folge immer mit Liebe verwechseln sollte.

An Tag 6 kam ich zurückgekrochen, weil ich längst entschieden hatte, zu bleiben. Mein kurzzeitiger Abgang war lediglich eine Pflichtübung in Sachen Stolz gewesen. Du empfingst mich in einem dunklen Kinosaal mit offenen Händen und wir begannen zu spielen und zu baden und ich war reinsten Herzens gücklich, ein Zustand den ich vor langer Zeit ins Reich der Fabel verwiesen hatte.

An Tag 7 eröffnetest du mir einen gravierenden Irrtum. Was ich für Knospen der Liebe gehalten hatte, war in Wirklichkeit nur ein Konstrukt meiner blühenden Fantasie. Und so stellte ich dich nochmals allen meinen Freunden vor, du durftest deinen guten Eindruck machen und dann verließ ich die Stadt ohne dich und zum Teil leider auch ohne mich.

Tag 8 verbrachte ich in einem fremden Land, während du zuhause endlich schön und einsam wurdest. Die Arbeit an deinem Geheimplan ging nicht so recht voran und so hing ich mit meiner Nummer noch als gelbe, zerknitterte Notiz an deinem Kühlschrank. Als man mich nach Hause schicken wollte, wehrte ich mich zunächst, aber dann dachte ich daran, wie wundervoll sich unsere Knochen gerieben hatten und so genug Wärme erzeugen konnten, um der deutschen Kälte zu trotzen. Ich entschied mich noch einmal für dich und du dich zum hundertsten Mal dagegen.

Als ich an Tag 9 wieder nach Hause zurückkehrte, fand ich menschenleere Flughäfen und Bahnhöfe vor. Du warst weit und breit nirgendwo in Sicht und die Bahn nach Hause war genauso leer wie deine Versprechungen. Ich kaufte mir die Zeitung und las deine impertinent überschätzten Artikel über die Situation in Berlin, aber ich wurde nicht schlau daraus und beschloss dich und das Wissen darüber, dass es dich gibt, in den Giftschrank zu sperren.

An Tag 10 zückten wir dann doch die Feuerwaffen, weil es in uns brodelte. Der Giftschrank wurde weit aufgerissen und ich brach dir den Unterkiefer und du mir den Arm. Lädiert verzogen wir uns wieder in unsere Verstecke und ließen uns pflegen. Deine Genesung schritt schneller voran als meine und du bestelltest mich zu dir. Noch angeschlagen und ausheilend schleppte ich mich zu einem Treffen, um mir anzuhören, was du zu sagen hattest. Und du sagtest gar nichts, knöpftest mir das Hemd zu und trankst meinen Earl Grey. Das reichte, um mich wieder zu verlieben.

An Tag 11 wusste ich, dass ich weg muss. Ich spürte, wir du dir deine Daseinsberechtigung aus meinen Lungen saugtest und mir meine Schritt für Schritt entzogst. Dass du jemand brauchtest, der dich über die ganzen anderen Hübscheren und Schnelleren stellte. Jemand, der dich adoptierte, aber dessen Zuneigung an dir abprallen konnte, das war eine aufregende Art zu leben. Da wollte man so schnell nicht zurück in die Unterschicht. Nie mehr dahin zurück. Und sentimental genug warst du ja, um die Tränen per method acting kommen zu lassen. Ich bin nicht schlauer als du, das war ich nie. Doch ich weiß, wann es genug ist. Wenn du mich magst, lässt du mich ziehen, sagte ich. Und dass ich jetzt gehen kann, ist so perfide wie genial. Denn es beweist, dass du mich magst und nicht magst zugleich. Es ist wie an Tag 1, ich bin geschunden und alleine, aber dem nächsten Wahsinn steht bereits Tür und Tor offen.