If you decide some day to stop this little game that you are a-playing
Im gonna tell you all the things my hearts been a-dying to be saying
Just like a ghost youve been a-haunting my dreams
But now I know youre not what you seem
Love is kind of crazy with a spooky little girl like you
(Dusty Springfield – Spooky)
Da ist zu wenig Grusel in meinem Leben, seit du weg bist. Da ist zu wenig Angst und zu wenig Grauen. Ich wandelte durch München wie ein Untoter und du kamst nie zu mir, du tauchtest nur vereinzelt auf, du erschienst mir. Du, die bleiche Erscheinung mit dem geisterhaft blonden, fast weißen Haar, den wässrigen, taghellen Augen und deiner finsteren jungen Seele. Dein pechschwarzes Herz und mein gleißendes Verlangen paktierten in jenen Tagen in einer unheiligen Allianz, doch ein Geist kennt keine Regeln, keine Gesetze. Er ist körperlos, er durchdringt Wände, Barrieren, Häuserfronten und schreckt nur vor fließendem Gewässer zurück. Am Fluss scheutest du. Du hieltst an, da wurdest du immer eine Weile fleischlich, du materialisiertest dich, solange wir zusammen am Fluss saßen und ich konnte dich bei den Füßen packen und hinter mir herzerren, solange bis der Abend kam und du, langsam durchsichtig werdend, vom Fluss Abstand nahmst. Ich blieb leise winkend zurück, nicht wirklich gewahr dessen, was ich gerade gesehen hatte.
Einst hatte ich die Idee, dass dich wohl einst jemand hingerichtet haben muss und du fortan umgingst. Ein ewiger ruheloser Rachegeist auf der Suche nach Vergeltung. Nie sah ich dich Auto fahren, nie auf dem Fahrrad, nie in der U-Bahn. Selbst wenn du nach Berlin kamst, warst du plötzlich da. Standest plötzlich vor meiner Haustür, lagst plötzlich in meinem Bett und warst genauso plötzlich wieder weg. In London, Barcelona, München, Lissabon, Berlin und wieder zuhause. Unsere Begegnungen erfolgten heimlich, unsere Berührungen waren unheimlich. Schauer über Schauer über Jahre und Jahre überkamen mich bei dem bloßen Gedanken an dich.
Ich war damals nach München gekommen, um zu arbeiten und du warst gerade hingekommen, um dort zu studieren. Das erste Mal erschienst du mir in einer Diskothek, inmitten von Hunderten standest du plötzlich und leuchtetest in die Nacht hinein. Nie und nimmer hätte ich mich in deine Nähe getraut, aber es gab Leute die den Mut besaßen. Und denen folgte ich, spürte sie auf, befragte sie nach dir und hielt sie solange fest, bis sie mir deinen Namen nannten. Eines Abends, als du fast durch mich hindurchglittst auf einem Konzert, nannte ich deinen Namen und deine milchigen Augen (die von Jahr zu Jahr wässriger wurden) richteten sich auf mich. Von dem Abend an versuchte ich, dich wiederzutreffen, aber es lief nie nach meinen Vorstellungen, nach meiner Planung, nur zu den unmöglichsten Zeiten und oft in tiefer Nacht kamen wir zusammen. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass es dich an die Isar zog, dass du nur da wahr werden konntest. Und so saßen wir ganze Sommer lang am Fluss und ich tat nichts weiter, als deine Haut zu bestaunen, wie die Sonne darauf fiel und mich zu wundern, dass du offensichtlich aus Fleisch und Blut warst.
Doch die Sommer gingen zu Ende und du verschwandst für Monate. Ich streifte durch ein verschneites München und suchte dich, ich hatte Fieber, ich war entkräftet, aber ich konnte nicht aufhören dich zu suchen. Manchmal fand ich dich im Winter und kurz streiften mich deine wässrigen Augen, aber wenn ich nur eine Sekunde abgelenkt war, dann warst du mir wieder entrückt. Bald beschloss ich, den Fluch der auf uns lastete, selbst beizulegen. Ich ließ noch einen Sommer passieren, ich zwang dich noch ein paar Monate an den Fluss, doch bevor der Herbst kam, verzog ich nach Berlin. Ich hätte wissen müssen, dass ein körperloses Wesen die 600 Kilometer spielend zurücklegt, dass es keine Stadtgrenzen und keine Häuserwände für den Spuk gibt. Ich versuchte mir so gut es ging, ein metaphysisches Zuhause nach eigenen ektoplasmischen Parametern einzurichten, doch du warst nicht aufzuhalten. Einmal bliebst du mehrere Monate lang und ich begann, an deine Existenz zu glauben. Als die Wohnung dann an einem Morgen im Frühjahr ohne eine Spur deiner Anwesenheit zurückblieb, wusste ich, dass der Spuk nur dann aufhören würde, wenn ich aufhörte, an ihn zu glauben. Ich veränderte alles. Ich zog in eine andere Wohnung, ich zerstörte alle diese schemenhaften Aufnahmen von dir, ich verbannte deinen Namen aus meinem Kopf und alle Zahlen- und Buchstabenkombinationen, die mit dir zu tun hatten. Und du erschienst mir nicht mehr. Dein geisterhaftes Eintreffen blieb endlich aus.
Jetzt, viele Jahre später, weiß ich, dass ein Spuk wie dieser nicht einfach aufhört. Er wird nur schwächer. Ihn zu amplifizieren oder zu ignorieren liegt allein in meiner Hand. Wenn ich blutend und weit offen, schwanger mit sinistren Ideen und voll mit Schnaps nachts nach Hause gehe, an der unbeleuchteten Zionskirche vorbei, in der wir zusammen gebetet haben, dann spüre ich, wie du hinter mir gehst. Die Frage ist dann nur, ob ich mich umdrehe. Es gibt zu wenig Angst und Schrecken in meinem Leben. Zu wenig Thrill und Grusel. Mir fehlt der nächtliche Terror und die bangen Sekunden vor deinem Auftauchen. Die Frage ist tatsächlich, ob ich mich umdrehen soll.
Jetzt auch als gespenstisch guter Blogread Beitrag vom stark vermissten Rationalstürmer!