Zur See

Seit Jahren hege ich einen einen mittlerweile wildgewachsenen Berlintraum. Zu warten, bis die Zeit reif ist, bis die richtige Gelegenheit und die richtige Begleitung kommt, um sich ins Auto zu setzen, um ans Meer zu fahren. Genauer gesagt an die Ostsee. Und dort ins oberste Stockwerks eines Hotels zu gehen, von wo aus man schon beim Aufwachen die Wellen sehen kann, wie sie an den weißen Sand eines noch menschenleeren Strands stoßen. Und morgens dann nach dem Frühstück die Promenade entlang spazieren und sich unsinniges Zeug zu essen an den Büdchen holen.

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Just diese besagte Gelegenheit hat sich nach fast vier Jahren Berlin nun endlich ergeben. Und nach lauten Nächten und gewittergeschwängerten Morgen in Berlin führte mich mein Weg endlich ans Meer, im Speziellen nach Usedom, nach Ahlbeck. Herrschaftlich touristisch resozialisiert und gleich wieder vergreist, aber im besten Sinne des Wortes immer noch beschaulich. Ich war da und fand nichts, ausser das, was ich wollte: Die See. In einem schneeweißen Zimmer voll von gleißendem Licht aufgewacht und außerhalb der Fenster nicht gesehen ausser die unruhige See. Als wäre ich im Himmel aufgewacht, so ruhig und hell war es.

Doch die Idylle muss man verlassen, solange man sich noch nicht an sie gewöhnt hat, sonst verliert sie an Bedeutung. Also zurück nach Berlin, zurück zum Prenzlauer Berg, zum Helmholtzplatz, wo man vor lauter halbgebildeten, aber besserverdienenden Biosupermarkteinkäufern die Windschutzscheibe vor Augen nicht mehr sieht und man sich fragt, wer denn die Idioten vermissen würde, liesse man mal einen über die Kühlerhaube springen. Aber ich werde schon wieder gehässig, dabei sollte ich ganz ruhig und seelig sein, denn ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Am Meer und nichts anderes wollte ich die letzten Jahre. North Beach comes alive und die Kurtaxe können die sich n die Haare schmieren.

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Swings

Diese Wetterumschwünge bringen Unruhe in die Stadt. Es ist ein Kommen und ein Gehen, es ist ein ewiges Umbrechen und die kleinen Leiden werden langsam mehr, während die großen Hoffnungen rasant anschwellen wie eine Wolke vor dem Zerbersten mit erlösendem Regen. Nervosität macht sich breit, Maßnahmen werden getroffen, Maßregelungen greifen nicht und das Chaos ist nur mit einer selbstzerfleischenden Selbstdisziplin zu ertragen. Alkohol und Tabletten wirken nicht mehr wie zuvor, die Zigaretten schmecken gefährlich gut und es kommt ein heißer Wind von unten und gleitet über die Spree, als würden wir im Juli an der Adria sitzen. Der Schweiß auf meinem Hals ist nicht zu trocknen, die Haut unter meinen Augen geht ab und mein Durst ist schon wieder unstillbar. Meetings, Meetings, immer nur Meetings, um in den Griff zu bekommen, was sich vor Tagen auf Nimmerwiedersehn verselbständigt hat.

Als wir die Torstraße entlang gehen, verfällt ein kleinwüchsiges altes Weib in ein kreischendes Kichern und es ist mir wie in einem David Lynch Film. Das Erschreckende an der Liebe ist ihre Notwendigkeit, denke ich. Das Erschreckende ist ihre Unbedingtheit. Je wärmer es wird, je näher der Sommer einem kommt, desto grotesker erscheinen mir die Möglichkeiten die sich bieten. Das, was wir tun können, das was uns offen steht, das was wir bewerkstelligen können, kann alles gar nicht sein. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, plötzlich so viele Möglichkeiten zu haben, denke ich.

Diese Wetterumschwünge bringen Unruhe in die Stadt. Es ist zu schwül, die Luft ist tonnenschwer und lähmt meine Hände. Nichts fließt zusammen, alles stockt, die Inspiration keucht durch den Flur, ich kann nicht schreiben, ich kann nicht atmen. Ich bin viel zu begeistert von der Idee, nichts mehr zu sagen zu haben. Ich bin entgeistert von der puren Geschwindigkeit, mit der ich durch die Trägheit dieser Tage mähe. Dennoch, es ist ein mürber Tanzstil, den wir da gerade pflegen. Aber wir haben angefangen uns zu bewegen und nur das Wetter ist willkürlicher als wir.

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Streifzüge durch Mariendorf

Es war mal wieder Zeit, um auf Fototour zu gehen und welch besseren Tag als den Herrentag und welch besseren Ort als den Mariendorfer Kulturlustgarten hätte ich wählen können. Südberlin bis der Arzt kommt. Ran an die Randbezirke, weg aus Schmusimitteland, hinein ins wirkliche Leben, wo Beschaulichkeit noch weh tut. Das ist der neue St. Burnster: hart im Gericht mit sich, Berlin und seinen Lesern. Und was das alles mit Bushido zu tun hat, seht ihr gleich.

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Wo St. Burnster, da ist auch der heilige Geist nicht weit, auch wenn er in diesem Fall etwas nazifiziert aus den Dreissigern daherkommt.

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Der Kulturlustgarten bietet Randstadt-Entertainment der Superklasse. Als langjähriger Besucher des Geiselhöringer Volksfestes fühlte ich mich hier wie zuhause.

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Statt einem Hellen trinkt man hier Erdbeerbowle. Ist gesünder, hält schlank und beschwippst trotzem wie Hansi.

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Das ist das wahre Leben. Vergesst Mitte!

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Schamhaare schneiden ab jetzt nur noch bei den Porns. Eh klar.

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Von wegen Ghetto. Das Eckener-Gymnasium. Bushidos Schule. Kein Scherz. The Great Hip Hop Swindle.

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Das Erwachen

„Nun sind wir wohl erwacht“, sagte sie – „für lange.“
(Arthur Schnitzler „Traumnovelle“)

Psst, St. Burnster. Aufstehen. Es ist Zeit.

Ich wache auf. Das Zimmer ist weiß wie ein Krankenzimmer, ein Aufwachzimmer. Nichts ist in dem Raum. Nichts außer ein Bett und weiße Wände. Nichts außer ein Bett, weiße Wände und ich. Ich bin aufgewacht und es ist nichts hier außer mir und einem weißen Mädchen, das neben mir in ein weißes Laken gewickelt ist und schläft. Das hier ist nicht die Hölle. Das ist nicht die Hölle, in der ich matt und kraftlos eingeschlafen bin. Ein weißes, warmes Licht bricht durch eine riesige Fensterfront in das weiße Zimmer und jetzt erwacht auch das Mädchen. Sie schiebt ein weißes Bein aus dem Laken. Sie ist nackt und wie aus Milch. Sie seufzt und dreht sich zu mir. Ihre Augen öffnen sich langsam und sie sind dunkel wie die Dunkelheit, aus der ich komme. Sie lächelt mild und ihre Wangen sind gerötet. „Du hast aber nicht lange geschlafen.â€?, flüstert sie und ich muss ihr Recht geben. Ich war nicht lange weg. Ich habe nicht lange geschlafen, obwohl ich gehofft hatte, es würde eine Ewigkeit dauern. Und jetzt bin ich wach und das hier ist definitiv nicht die Hölle.

Als ich mich vor zwei Wochen hingelegt habe, um zu schlafen, war da nicht viel, was mich wach gehalten hätte. Es lag etwas in der Luft, ich hätte es merken müssen, doch es war ein wenig zu spät, um Morgenluft zu wittern. Ich war aus der Hafenstadt zurück in den Moloch gekehrt, hatte die richtigen Leute an den falschen Orten getroffen. Der Verwesungsgeruch in dem Club war so stark, dass ich den Frühling nicht mehr bemerken konnte. Ich hatte mich schlichtweg aufgegeben. Es war ein kalter Abend und mein Körper war ein Bündel aus Schmerz und tauben Stellen. Als ich mich hineinlegte in das Bett, das mein Sarg werden sollte, war an ein Erwachen nicht mehr zu denken. Ich war bereit, ich wollte entschlafen, ich wollte dieser brutalen Szenerie endlich auf Dauer fernbleiben.

Obwohl ich so gut wie tot war, träumte ich seltsames Zeug. Da war dieses Mädchen mit der weißen Haut, die ich damals im dunklen Berliner November zuerst gesehen hatte. Die mir in einem Moment der tödlichen Unsicherheit erschienen war. Damals hatte sie mich, ohne etwas dazu zu tun, vor der Dunkelheit bewahrt, nur um mich genauso unabsichtlich zurück in dieselbe zu treiben. In meinem Traum, meinem zweiwöchigen Traum, hatte sie mich angetroffen und ich trank Wein, während sie nur neben mir saß. Wir liefen an alten Gebäuden vorbei und an Neuen, wo Regierungen in den ersten lauen Frühlingsnächten anfangen, uns genau zu beobachten, wenn sie zu lange im Büro sitzen. Wir erkundeten den Glaskoloss auf der Suche nach etwas zu essen und etwas Eiscreme. Wenn ich versuchte, sie zu ärgern, wurde sie noch eine Spur liebevoller und ich fing an zu hoffen, dass dies kein Traum war. Ich war schlaflos in meinen Träumen und sie war immer da. Doch bald verabschiedete sie sich und entwich der Stadt in der Dämmerung am vorderen Rand des Sommers. Ich sah nur zu und verfiel wieder in meinen alleserlösenden traumlosen Schlaf. Auf keinen Fall hätte ich gedacht, so früh wieder zu erwachen.

Und jetzt ist es passiert. Ich bin aufgewacht in diesem strahlenden Weiß, in diesem Zimmer, in dem Bett, das ich für leer gehalten habe, bis sie ihr weißes Bein aus dem Laken geschält hat. Sie drückt mich eng an sich und da sind diese winzigen Küsse. Ich muss sie berühren, sie muss mir ein wenig Gewalt antun, damit ich sicher gehen kann, nicht mehr zu schlafen. Dass dies kein Traum, sondern die Wirklichkeit ist, so surreal sie mir auch erscheinen mag. Ist das noch dieselbe Stadt da draußen? Ist das noch der Moloch, der sich in uns verbissen hatte mit seinen fauligen Zähnen und dem unguten Atem der Pestilenz seiner Bewohner? Höre ich da leise Musik von draußen? Das klingt wie Brian Wilson, das klingt wie die Siebziger, das könnten auch die High Llamas sein. So hell und so klar ist die Musik, mehrstimmig und harmonisch. Nun bin ich also erwacht, denke ich. Nun bin ich also endlich erwacht. „Psst..â€?, flüstert sie, „Es ist Zeit aufzustehen, St. Burnster, wir haben heute doch so vieles vor.â€? flüstert sie mir ins Ohr und Wasser läuft aus meinen Augen. Milchig und weiß.

„Steh auf.â€? sagt sie zu mir. „Du musst aufstehen.â€?

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