Das langsame Verlassen

You don’t move from that graceful pose
And I never want to close my eyes.
Every move that I make is phoney
And every word I say is lies

(The Unbelievable Truth – Settle Down)

Ich habe es schon oft gesehen und ich habe es selbst schon gespürt. Wie es ist, ganz langsam und schleichend verlassen zu werden. Ich habe es selbst oft grausam präzise praktiziert. Wenn sich der Körper anfängt zu sträuben, wenn einen die Nerven allzuschnell verlassen und man beim Einschlafen wünscht, der andere wäre gar nicht mehr da, obwohl man noch so sehr an dem Konstrukt hängt, das man sich im dreissigsten Anlauf erschraubt hat, damit dieses Mal gefälligst alles passt. Dann fängt man langsam an, den anderen liegen zu lassen, währen man selbst aufsteht.

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Tut man mir das an, bemerke ich es natürlich sogleich. Aber ich kann ja schlecht sagen: „Schluss mit langsam verlassen, denn ich geh jetzt von alleine. Ätsch, schneller gewesen.“ Das kann man ja nicht sagen, will man auch nicht, solange die Hoffnung bei einem Prozent verbleibt, dass man sich täuscht und der andere nur eine seltsame Phase durchlebt. Oder man ist es so wie ich leid, etwas zu sagen und lässt die Dinge nur noch mit sich geschehen. Tag für Tag entfernt sie sich dann ein bisschen mehr, verliert an Euphorie, an Kraft und an Schönheit. Tag für Tag zieht sie sich ein Stückchen mehr zurück. Sie hört nicht mehr genau zu, sie ist ständig mit ihrem Handy beschäftigt, sie hört auf mit dir zu schlafen und es nervt sie, dir beim Aufstehen zuzusehen.

Es ist ein grausamer und schleichender Verfall. Fast so, als würde man langsam und bewusst verwesen, während man in einem offenen Sarg vor den Augen der Kondulanten liegt. Ein unaufhaltsamer Verfall, denn hat sie sich einmal entschieden, kann niemand auf der Welt sie umstimmen. Sie wird noch eine Weile brauchen, bis sie sich ihr erneutes Scheitern eingesteht, aber dann wirst du irgendwann aus ihr verschwunden sein und sie entschläft dir eines Nachts und von da an ist dein Bett wieder leer. Ich habe es passieren sehen und es wird wieder passieren. Wer es einmal erlebt hat, sieht es immer wieder. Überall.

(Der Song zum Text von The Unbelievable Truth)

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Kurzkritik zu Death Proof

Jedes Mal wenn ein neuer Tarantino kommt, denk ich bei mir, nö, den guckste nicht, irgendwann is genug mit Tarantino-Filmen. Dann seh ich ihn aber meistens aus Neugier doch und bin wieder aufs Neue begeistert, dass es da jemand gibt der seinen Job als Filmemacher noch ernst zu nehmen scheint und jede Einstellung, jeden Schnitt und jede Dialogzeile ins bestmöglichste, liebevolle Licht rückt. Aber was heißt ernstnehmen? Eigentlich geht es Tarantino bei dieser Hälfte vom Grindhouse-Doublefeature vorwiegend um seinen eigenen Spaß. Nur geile Weiber am Set, die Lieblingsmusik auflegen, Nahaufnahmen von Schnaps, klasse Retro-Karren abfilmen, einen neuen Standard in Sachen Autoverfolgungsstunts setzen und ganz nebenbei zum x-ten Mal einem abgehalfterten Altstar (K. Russell) zu neuer Glorie verhelfen. So würde mir Filmemachen auch Spaß machen. Ich hab zwar keine Ahnung, wie man auf so eine kranke Storyline kommt, aber Hauptsache jemand ist draufgekommen. Apropos draufkommen. Auf den Geschmack bin ich bei Fräulein „Butterfly“ Vanessa Ferlito gekommen. Tolles Mädel, toller Film trotz und gerade wegen der Frauengespräche, sagt St. Softdrink.

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Ena

Alle sind sie gekommen. Alle Verwandten und Bekannten. Sogar die Clique, aus der sie sich herausgewunden hatte und die im Anschluss nicht mit subtilen Anfeindungen und Intrigen gegeizt hat. Alle sammeln sie sich jetzt um Enas Grab herum und die Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Es ist nicht die Trauer um Ena, die sie lähmt, es ist die nackte Furcht ums Überleben, die Großangst vor der eigenen Sterblichkeit. Es geht ihnen nicht um Ena. Es ging ihnen nie um Ena. Aber wem ging es schon je um den anderen? Beziehungen, Elternschaften, Verwandschaften, Ehen und Angestelltenverhältnisse. Wem geht es denn da um den anderen? Niemandem. Und so geht es auch heute an dem Tag, an dem es ausnahmsweise nur um Ena gehen soll, vermutlich am wenigsten um sie.

Der Fairness halber muss man sagen, dass es Ena tatsächlich auch fast auschließlich um sie selbst ging. Aber ihre Egomanie war keine böswillige. Es war noch nicht einmal Fahrlässigkeit. Ihre Rücksichtslosigkeit war eigentlich nur ein Versehen. Sie ging einfach nur voran und wusste haarklein, was sie wollte. Ihr Problem war, dass sie dabei niemanden aus dem Weg räumen wollte. Aber wenn man das nicht will, dann bekommt man auch nicht was man will und dann ist man unglücklich und am Ende tot wie Ena. Und liegt da zwischen all den Freunden und Bekannten, von denen keiner auch nur den blassesten Schimmer hatte, dass so etwas passieren kann. Dass so etwas vor allem unserer Ena passieren kann. Aber wie sollten sich auch etwas ahnen? Zum einen hätten sie sich mit Ena auseinandersetzen müssen und das fiel nicht leicht, weil Ena beinahe arrogant in ihrer aufgesetzten Sorglosigkeit wirkte, zum anderen hätte man Ena keines ihrer Probleme auch nur im Ansatz angemerkt. Niemand hat es kommen sehen. Niemand außer mir.

Für mich waren die Zeichen überall. Jeden Morgen lag der Tod ein bisschen intensiver in der Luft. Beim Aufwachen fand ich sie bereits halb tot vor in letzter Zeit. Und beim Einschlafen machte sie mir eine Heidenangst, denn sie drehte sich weg und rutschte ganz weit auf ihre Seite des Betts, damit ich nicht hören konnte wie kleine Tränen ihre Wange hinabliefen. Wenn sie lachte, lachte sie nicht aus tiefem Herzen, sie zeigte nur ihre makellosen Zähne. Und sobald wir alleine waren, schlief sie sofort ein. Sie entzog sich mir sofort. Sie wollte alleine sein.

Dass sie ihren Weg verloren hatte, merkte ich schon nach wenigen Wochen. Sie benutzte kein Make-Up mehr wenn wir ausgingen und bald gingen wir überhaupt nicht mehr aus. Sie ertrug mich mehr, als sie mich mochte, und das obwohl sie mich jahrelang verehrt hatte und seit wenigen Monaten endlich ihr Eigen nennen konnte. Aber das, aber ich half wohl auch nichts mehr. Ena war oft weggetreten, wenn sie las oder arbeitete. Man sprach sie an, aber sie hörte einen nicht. Oft rief sie tagelang nicht an, weil sie es vergaß. Weil sie einfach vergaß, dass es noch jemanden gab in ihrem Leben. Selbst ihr Vater, musste manchmal bei ihr klingeln, um mit ihr zu sprechen. Ena hatte vergessen ihr Telefon anzumachen. Seit fünf Tagen.

Ich weiß nicht genau, wie Ena früher war. Ob sie schon immer so war. Und ob es jetzt nur zuviel von diesem Immer war. Ich kannte sie ja kaum und erst seit ich mit ihr zusammen bin, verstehe ich sie in ihrer verzweifelten Gänze. Vielleicht hätte ich etwas tun können, um sie zu retten. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich irgendeinen Einfluss auf sie hätte ausüben können. Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht einmal das Gefühl, ihr Freund zu sein, obwohl sie mich so nannte. Ich habe kein schlechtes Gewissen. Ena war schon verloren, als wir zusammen kamen und vielleicht war sie das immer schon. Es ist nicht meine Schuld. Aber für mich war das eindeutig. Eindeutig, dass es so kommen musste. Die anderen haben es nicht kommen sehen. Sie stehen hier versammelt und fürchten sich vor der Eindeutigkeit. Ich habe keine Angst. Ich wusste, was auf uns zukommt. Ich wusste, wie Ena ist. Ich weiß, wie fürchterlich das Leben sein kann. Ich beneide Ena sogar ein wenig, jetzt wo sie das hinter sich hat.

(Anmerkend: Artikel aus der Kategorie B-Files sind fiktiver Natur. Es ist auch niemand gestorben, den ich kenne und ich kenne auch niemanden, der jener Ena ähnlich ist. Also keine Sorge, liebe Leser. Alles ist gut soweit.)

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SPQR

Adora quod incendisti, incende quod adorasti –
oder Kein Stein bleibt auf dem anderen
wenn St. Burnstl in der Stadt ist

Mit monumentaler Wucht, epochalen Strapazen und kolossalen Eindrücken geht mein erster Besuch in Rom zu Ende. Die eingänglichen Wortklüngel seien mir erlaubt, denn was dem Tibertrutzburg-trainierten Italienurlauber ein alter Stiefel ist, wuchs sich für mich als ewigem Novizen zu einer epischen Rückbesinnung auf meine Kindheitsträume aus. Einmal im Colosseum zu stehen, das Titustor ins antike Rom zu durchschreiten, in der Abenddämmerung auf dem weiten Feld des Circus Maximus zu stehen und die perfekteste Lichtquelle der Antike im Pantheon zu begreifen.

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Umsonst war der Historienzauber freilich nicht. Neben forschen Eintritts- und frechen Getränkepreisen zahlte ich einen noch viel höheren, indem ich meine Geduld Meuten von schwätzenden Amerikanern opferte, die durch den Vatikan pilgerten als gäbe es keinen nächsten Papst. Die Schlange am Petersdom wickelte sich einmal um den gesamten Platz und wäre meine Begleitung nicht ein von Skrupeln erlöster, wiefer Vorschleichprofi, wir würden heute noch auf Einlass zu Peterchen Domfahrt warten. Aber irgendwie muss man sich ja auch zu wehren wissen, wenn der Nepp einen nach Fluidem lechzend zum Kauf eines 3,50€-Mineralwässerchens zwingt, das nach einem Panikrundgang im Vatikanmuseum mit einem erbarmungslosen, heerstarken Touristenmob lebensnotwendig wird.

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Apropos Vatikanmuseum, ich bin mir nicht sicher, ob die Renaissance tatsächlich ein ästhetischer Segen für diese Stadt war. Und überhaupt: würde man alles Gold dieser Stadt – wie es in selbst in der uneingezeichnetsten Kirche noch von der Decke tropft – einschmelzen, könnte man damit locker die Mark Brandenburg überfluten und hätte wenigstens noch was Gutes dabei getan. Da können sich die Michelangelos, Raffaels und Leonardos noch so sehr die Pinsel an den Kirchendecken reiben, meine Liebe werden sie nicht bekommen und solange sich nicht weniger als drei – statt dreihundert – Leute in der Sixtinischen Kapelle aufhalten, kann mich der Aquarell-Irsinn auch nicht begeistern, geschweige denn mit heiligem Geist befüllen. Gut übrigens, dass das Vatikanmuseum nachmittags geschlossen hat, sonst könnte der Ratzinger Bene mit seinen Bediensteten ja gar nicht ungestört Versteckste spielen. Denn mögliche Verstecke gibt es genügend in diesem Labyrinth aus sakralem Größenwahn.

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Freilich habe ich als Ex-Katholik bei solchen Schmähungen und auch live vor Ort immer noch einen Heidenrespekt vor meinem Ex-Schöpfer. Weiß ich doch nicht, ob er nicht doch grade mitliest und in irgendeinem Gewittergremium was zu sagen hat, das die Blitze über Berlin delegiert. Ach ja, italienisches Essen fällt mir noch ein. Gegessen hab ich einmal sogar ganz gut in Rom. Glaube ich zumindest. Denn in dem Moment, als die Spagetti Vongole gustiv einkicken sollten, überfiel mich eine urplötzliche Erkältung wie der Zorn Gottes und lähmte meinen Geschmackssinn. Brut-al dente waren sie, das bemerkte ich noch, bevor mich in vorauseilendem Gehorsam das Oeuvre eines verregneten Berliner Sommers mit durchschnittlichen 16 Grad bereits in Rom erfasste.

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Das nächste Mal fahr ich nach Ostia, leg mich ins Strandbad und wälz mich zwischen Badetouristen. Das ist allemal besser als im Kreise junger besandalter Ostchristinnen und alter, lukullusleibiger Amis im Treppenhaus zur Kuppel vom Petersdom festzustecken. Ein Wortwitz geht noch: Dass ich mich grundsätzlich im Sommerurlaub aufs übelste erkälte, ist der spanische Treppenwitz meiner Reiseautobiografie. Jetzt ist aber genug mit diesem Beitrag, könnte ich ja sonst gleich eine CD-Rom rausbringen.

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