Aber auf die Frage, ob alles wirklich so kommen mußte,
wie es gekommen ist, gibt die Geschichte keine Antwort.
Und auf die Frage, wie es nun weitergehen wird,
ist ihre Antwort sphinxhaft. Sie lautet:
Immer ebenso und immer anders.
(Sebastian Haffner, 1972)
ch bin kein großer Freund von Romanen. Ich bin keine großer Freund von Monografien und faktgetränkten Historienwälzern. Vielleicht verehre ich eben aus dieser Zwitterstellung heraus mit Fug und Recht Sebastian Haffner, von dem ich nahezu alle als Buch veröffentlichten Niederschriften besitze.
Es ist nicht die Gleichgesinntheit des unbequemen Liberalen und Spötters, die ihn mir nahe bringt. Auch nicht die Selbstgefälligkeit, die ihn an mancher Stelle zum Erzähler statt zum Berichterstatter werden lässt und wobei die eine oder andere geschichtliche Ungeheuerlichkeit zur Anekdote verkommt. Es ist die fehlende Distanz zum Subjekt, die man dem Historiker so gerne als Primäranforderung an sein Schaffen in Rechnung stellt.
Dass der Historiker über den Dingen stehen muss, ist ein Etikett, das über die Jahre hinweg abgeblättert und hinfällig geworden ist. Der Siegeszug der Naturwissenschaften Anfang des letzten Jahrhunderts hat die Geschichtsschreibung in die missliche Lage gebracht, zu einer exakten Wissenschaften werden zu müssen, in der selbst der Hauch von Literatur oder Philosophie ein corpus delicti gewesen wäre. Dass die Literatur sich daraufhin gleich mit zur Wissenschaft aufgeschwungen hat, ist ein Treppenwitz der ewig minderwertigkeitskomplex-behafteten Geisteswissenschaften. Haffner scheißt spätestens nach seiner Emigration nach England auf die „neue Sachlichkeit“. Und wie auch nicht? Liegen nicht die verrücktesten Jahre hinter und vor ihm, die ein Mensch erleben kann? Vom verfinsterten Horizont am Ende des Ersten Weltkriegs bis zum nie dagewesenen Swing und Chaos der Inflation, dem Kontrollverlust in Weimar, bis zu den marodierenden SS-Banden in einem Berlin, das amüsierwillig bis zur Selbstvergessenheit und gleichzeitig gewillt war, sich in die totale Selbstaufgabe und Unmündigkeit führen zu lassen. Die Folgejahrzehnte waren nicht von minderer Bedeutungsschwere, so Haffner nach seiner Rückkehr aus dem Exil nun ein zerhacktes Deutschland vorfand. Wie also könnte er mit einer faktisch-überlegenen Gelassenheit an die Berichterstattung herangehen. Schlecht ist der Chronist, wenn er nichts vermisst, von dem was nicht mehr ist.
Haffner ist freilich auch ein Klugscheisser, Haffner ist ein Egomane und mit Sicherheit ein notorischer Nörgler, aber fernab jeglicher Bedeutung als Historiker ist er zu allererst ein erstklassiger Journalist, ein glühender Essayist, weil er das seltene Talent ausschöpft, mit Zeitgeschichte bestens zu unterhalten. Heutzutage würde man das Infotainment schimpfen und einen unangenehmen Gedanken an Guido Knopp unterdrücken, aber für deutsche Verhältnisse ist Haffner der Letterman unter den Geschichtsschreibern. Wer also wissen will, wie sich deutsche Geschiehte nicht nur abgespielt, sondern auch angefühlt hat, nähere sich bitte dem Werk dieses Mannes. Dass er der Erforschung des preußischen Wesens zu einer Renaissance verholfen hat, Schwamm drüber.