Den Todestag vom Opa Edi Karl Henn alias Neobazi werd ich mir gut merken können, denn am 28.01. vor einem Jahr ist schon mal jemand, den ich kannte, viel zu früh gestorben. Ich hab’s immer hinausgeschoben, Edi mal zu treffen, insofern waren wir nie die besten Bekannten, aber eine Zeitlang kreuzten wir die verbalen Klingen im Netz und hatten viel Spaß dabei. Mehr Worte sollen denen vorbehalten sein, die ihn wirklich kannten. Servus, Edi, ich hab viel von dir gelesen und sogar ein paar Sachen von dir gelernt.
Monat: Januar 2009
algorithmen
x² +10x = 39
(Al-Khwarizmi, ca. 830 BC)
Vor genau einem Jahr war ja diese schlimme Geschichte. Ich rief einen Freund an, um ihm zu erzählen, was passiert war. Am Ende des Gesprächs sagte ich zu ihm. „Ich merke schon, dass der Winter nicht mehr lange dauert.“ Ich fand mich ziemlich irre in dem Moment. Das klang kein bisschen optimistisch, sondern wie unter Drogen. Mein telefonisches Gegenüber meinte, wenn man mit solchen Sätzen auf eine Katastrophe reagiert, dann ist das ein gutes Zeichen. In den folgenden Wochen und Monaten war ich zornig und fühlte mich, als würde ich unter dem Bretterboden einer Holzhütte beim Ungeziefer wohnen. Verdreckt und zornig, über Monate hinweg.
Und zornig bin ich immer noch über Gebühr. Aber wenn ich mich jetzt zurückerinnere, fällt mir wieder dieser Satz zu T. über den weichenden Winter ein. Und dass da mehr Perspektive und mehr Idee ist, als ich glauben will. Weil sich selbst zu den Ratten sperren, den Underdog markieren, das ist einfach. Unterm Radar fliegen und dann sich selbst mit einem völlig unwahrscheinlichen Happy End überraschen. So entsteht ein Leidensweg wie aus dem Lehrbuch. Ich bin unsicher, worauf ich eigentlich hinaus will. Wohlmöglich darauf, dass ich ich kein Vertrauen in die Mathematik des Daseins habe. Dass ich glaube, an nichts zu glauben. Und dabei hänge ich wie verrückt an jedem einzelnen Tag und an jeder einzelnen Idee. Und an der hochgradigen Wahrscheinlichkeit der Veränderung des Wetters.
Kurzkritik zu Revolutionary Road
Ach ja, und dann war ich neulich in Sam Mendes´ „Revolutionary Road“. Im Sony Center. Und um mich und meine Frau herum saßen Menschen über Vierzig, die wohl besser in den Komödienstadel gegangen wären. Lautes Gelächter nach jedem vierten Dialog. Konnten den Schrecken wohl nicht ertragen. Eigentlich fast ein psychologischer Horrorfilm. Züge von Rosemary’s Baby und Stepfather. Man könnte sich glatt vorstellen, dass Wes Craven ein Sequel dreht, wo Leo aus ewiger Rache an Kate durch die Großstadt slasht. Spaß beiseite: ein zutiefst unangenehmer Film mit nur einer übertriebenen Szene, als Kate Winselt diesen hysterischen Lachanfall bekommt. Genau wie das Publikum um mich herum den ganzen Film über. Michael Shannon als der verrückte Mathematiker (warum hat den nicht Russell Crowe gespielt) war natürlich der wahrheitstrunkene Narr von der Gesellschaft zwangsausgenüchtert, aber noch wach genug, um den Untergang von Leo und Kate zu riechen. Der hätte sicher auch bei uns im Kino seine helle Freude mit den Leuten gehabt, die beim in den cineastischen Spiegel schauen zunehmend hysterischer geworden sind.
aussichtsposten
Gestern vormittag über die Avus raus aus Berlin gefahren. Bäume links und rechts vergoldet mit Schnee, Eis und Sonne. Auf dem Nachhauseweg war es schon dunkel und der Vollmond hing so wuchtig über Mitte, das ich zurücknehmen musste, was ich neulich ganz laut zu ein paar Leuten gesagt habe. Dass der Mond nur in Hollywoodfilmen so tief und fett hängt. Ich weiß nicht genau, was es mit diesem Sonntag auf sich hatte, aber die Farben des Tages waren klar und die Konturen scharf. Die Dunkelheit kam schnell, doch die Konturen blieben. In nur vier Stunden war es wieder spiegelglatt bei uns in der Straße und die Kälte, die heute morgen eine kleine Auszeit genommen hatte, ließ am Abend wieder die Muskeln spielen. Ich habe keine gute Begründung, vielleicht findet sich eine zwischen den obigen Zeilen, aber irgendwas Frühlinghaftes war in meinem Kopf. Obwohl sich mein ganzer Körper zusammenzieht bei der Kälte. Aber ich erinnere mich, auch schon mal das Meer gerochen zu haben und es war 600 km weit weg. Eine Vorahnung kann man es immer nennen, denn man muß kein Nostradamus sein, um zu prophezeien, dass das Wetter sich irgendwann ändern wird.
Das Seebad. Eine Verärgerung.
Es ist genauso bizarr, sich dem Koloss zu nähern, wie sich von ihm zu entfernen. Am ersten Tag kommen wir mit dem Auto über die Straße nach Prora und dieses Urvieh von einer Urlaubskaserne gruselt uns mit seinen verfaulenden Betonarmen entgegen. Am zweiten Tag wandere ich zu Fuß aus Binz und nähere mich von der Meerseite. Das ist noch bedeutend gespenstischer. Man schlägt sich vom Strand ganz Lost-mäßig durch ein Waldstück, plötzlich steht man auf einer steinernen Lichtung mit verfallenen Treppen vor einer der längsten Fassaden Europas, übersät mit zerbrochenen Fensterscheiben wie mit Narben. Die Vegetation auf der Strandseite ist völlig verwildert.
Der eigentliche Spuk offenbart sich aber erst im Innern eines der Blöcke, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Wohlgemerkt meine ich nicht das Dokumentationszentrum, das scheint integer zu sein. KdF-Museum schimpft sich die Alternative dazu. Darin befinden sich dauerhaft schauderhafte Ausstellungen. Die eine widmet sich dem Gebäude an sich und dem KdF-Leitmotiv als solches, die andere stellt NVA-Devotionalien aus und dann stehen da noch ein paar Motorräder aus der DDR rum. An der Kasse frage ich nach einem Journalistenrabatt und der Mann hinter dem Counter faselt etwas von einer rücksichtlosen Presse, die ihn und seine Ausstellung schäbig behandelt hätten. Spiegel und Konsorten hätten ihm gar rechte Propaganda unterstellt. Da wird man natürlich hellhörig. Der Einführungsfilm tut wenig mehr als das Funktionalgebäude per Zeitzeugen zu loben und der Jugendliche in der Thor-Steiner-Jacke nickt andächtig dazu. Eine Menge Nazikram hängt rum. Organigramme der Hitlerjugend, ein Prospekt zu „Jud Süß“, alte Zeitungsmeldungen und diverse kontextlose Nazi-Devotionalien. Auf dem offenbar liebevoll bestückten, detailgetreuen Modell des Seebads an der Prorer Wiek stecken NSDAP-Käsehäppchen-Fähnchen ohne Hakenkreuz, aber das Kraft-durch
-Freude Logo wurde respektvoll nachempfunden. Von Reflektion keine Spur. Einen Gang weiter sind sie DDR Motorräder ausgestellt.
Wäre ich mir der Dubiosität dieser Veranstaltung noch nicht gewahr, spätestens im zweiten Stock spränge sie mir ins Gesicht. NVA galore mit Uniformen, Waffen, Broschüren, dazu ein bisschen Marschmusik und ein Film über Waffenmanöver mit einem martialischen Titel, den ich sofort wieder verdrängt habe. Ein Freund und meine Frau sind schon ein wenig eher mit der Besichtigung durch und fragen den Mann an der Kasse, warum man hier so unreflektiert und ohne den Hauch von Aufklärung Nazischmarrn und Militärpropaganda aufreiht.
„Wenn Sie das so sehen.“, raunzt der Mann an der Kasse sichtlich beleidigt. Man kann also wirklich nicht sagen, dass hier verantwortungsvoll mit deutscher Geschichte umgegangen wird, um so mehr erstaunt es mich, dass das zuständige Land – in diesem Fall Mecklenburg-Vorpommern – noch nicht interveniert hat. Wollen sie nicht oder können sie nicht? Die Ausstellungen sind privater Natur, das Gebäude ist es ganz sicher nicht, obwohl Teile davon mittlerweile unter anderem an unbekannte Investoren veräußert wurden. Mindestens ein Block soll ja unter Mitfinanzierung des Bundeslandes zur idyllischen Jugendherberge umgerüstet werden. Wie man hört, ist die Instandhaltung des Monsters der reinste Geldstaubsauger. Da vermietet man dann auch gerne an halbseidene Geschichtszündler. Ich will nicht wieder per se auf dem Ostdeutschen herumreiten, aber eine Sympathie für DDR- und Naziregime zugleich scheint mir ein deutliches Symptom der intellektuellen Verödung zu sein. Aber vielleicht liegt es ja auch am Inseldasein.
Wenn man von der Gebäuderückseite zurück zum Ostseestrand geht, durchquert man wieder das kleine Wäldchen und landet auf einem dermaßen idyllischen Streifen Sand und Meer, so als wäre nie was gewesen. Und das ist eigentlich bei all den Verdrängungsärgernissen das Schlimmste.