emotional stuntmen

Manchmal ist der Reiz so groß, das Verlangen so lasziv, dem Chaos seinen Lauf zu lassen. Sich einfach überlaufen zu lassen, sich auf die hässlichen Straßen hinausschwemmen zu lassen. Sich dem puren Verlauf hinzugeben. Weil du weißt, dass das nie wieder so passieren wird. Weil du sicher bist. Weil du dir sicher bist, dass ein weiterer Kontrollverlust vielleicht der letzte sein könnte. Dass er nur am Anfang, wenn das Ausmaß des Grauens noch ein Jahr in der Ferne liegt, seinen Reiz behielte. Und vielleicht ist es genau das, was Erwachsenwerden bedeutet. Der Sprung hinter die sichere Deckung. Das ist die furchtbare und furchtbar beruhigende Wahrheit über das Ende der Jugend. Dass du dich nicht mehr treiben lässt. Hinaustreiben aus deinen Plänen und Vorstellungen von Kommodität und diesen No-Risk-No-Fun Gedanken bis in eine haarsträubend gefährliche emotionale Stuntman-Tätigkeit ausufern lassen. Bis aus dem Leben ein Überleben wird.

Aber das kannst du dir nur leisten, wenn du ganz alleine bist und sein magst, denn wenn du andere da mit hineinziehst, bist du ein ganz egoistisches Arschloch. Und das wolltest du doch ab 30 nicht mehr sein. Also ziehst du den Kopf ein, wenn Gefahr droht, beschützt dich und diejenigen, die sich gerne mitbeschützen lassen. Aber wenn es so regnet wie heute, dann möchtest du manchmal die Pfähle, die diese Stadt über Wasser halten einfach umnieten und zusehen wie alles untergeht, den Bach hinuntergeht. Und an einem anderen Tag an einem völlig anderen Ort aufwachen. Von der Strömung, vom Chaos einfach wo anders an Land gespült. Von einem unendlichen Heimweh geplagt, das dich am Leben erhält.

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Längere Kurzkritik zu Frost/Nixon

Ein Film mit Überlänge über ein Interview, der auch schon vor dem Interviewpart vorwiegend Dialoge in den Vordergrund stellt. Eigentlich ein sicheres Todesurteil für meine Bandscheibe und meine Aufmerksamkeitsspanne. Ohne eine einzige Filmkritik gelesen zu haben, vertraute ich Ron Howard bei diesem Film. Diverse fabelhafte Regisseure wie Clooney, Sam Mendes und Scorsese standen zur Diskussion, aber man hätte die Aufgabe kaum besser lösen können als der eigentlich eher unpolitische Ron Howard, vom Ende einmal abgesehen. Schon im Trailer wirkte die Ausstattung fantastisch, die Bilder milchig weich und die Darsteller bis zum Anschlag auf den Punkt spielend. Und so war’s dann auch.

Ich kenne von den Original-Interviews nur kurze Ausschnitte und bin deshalb vorsichtig mit meiner Behauptung, dass die entscheidenden Stellen zeitgeschichtlich exakt wiedergegeben wurden. Ansonsten wird natürlich in Sachen Mimik ordentlich dramatisiert (in wörtlich wie im übertragenen Sinn), aber darin liegt der Reiz. Frank Langella und Michael Sheen beim Zubeissen zuzuschauen, ist wie den Endkampf eines Rocky-Films zu sehen. Ein Show- und Staredown, der bei bereits bekanntem Ausgang dennoch die Nerven flattern lässt. Die beiden hatten auch jede Menge Zeit zu üben, schließlich sind sie auch die Hauptdarsteller des gleichnamigen Theaterstücks und duellieren sich schon ein paar Jahre vor Publikum.

Am Ende verwirrte mich dann dennoch die offenbar durchaus intendierte Erzeugung von Mitleid mit einem gestrauchelten Nixon, der wie wir alle nur Liebe und die Anerkennung will. Das ist eine zutiefst humanistische Quintessenz, die den Film kurz vor Schluß noch ein paar Zentimeter in Richtung Rührstück biegt. Frost/Nixon ist sicher eher Schauspielerkino als Zeitdokument und soll auch nicht als moralischer und politischer Anschauungsunterricht herhalten, aber die grenzenlose Einsamkeit versprühende Dackel-Sequenz am Schluss lässt einen furchtbaren Politchauvinisten wie Nixon moralisch fast ungeschoren davonkommen. Und das kann man eigentlich nicht so stehen lassen. Und ihn auch nicht so. Am Meer, im Sonnenuntergang.

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