Und dann steh ich da auf der Straße nachts um halb 2 und obwohl der Tag wärmer als die vorhergehenden war, ist es jetzt schon wieder eiskalt. Ich habe das Gefühl ich zerbreche. Oder vielleicht löse ich mich in der Kälte auch langsam auf. Mein Rückenschmerz zwingt mich, nach Hause zu gehen, obwohl ich noch ein zwei Schnaps vertragen könnte. Er zwingt mich, diese Straße hinunter zum Nordbahnhof zu gehen, eine Straße, von der ich glaube, sie mal gemocht zu haben, aber an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Denn in diesem Zustand ist sie nur kalt und skalpiert mich. Wirklich. Die Haut geht mir in Fetzen ab und je länger der Winter dauert, desto dünner und weniger wird meine Haut. Ich muß mir am Rosenthaler Platz ein Grillhähnchen besorgen und mich auf dem Rest des Heimwegs daran wärmen, sonst gehe ich noch während des Gehens ein. Bleibe einfach auf der Stelle stehen und verende auf der Stelle. So kalt ist mir nämlich. Dann kommt diese Frau aus meiner ehemaligen Arbeit und spricht mit mir. Ich kann kaum zuhören vor lauter Heimweg. Das Hendl in meiner Manteltasche gibt sicher nur noch Wärme für ein paar wertvolle Minuten. Minuten, die ich nicht in diesem Gespräch zubringen möchte. Der Freund der Frau aus der ehemaligen Arbeit will eine Show machen. Vermutlich will er ihr beweisen, dass er super ist. Viel mehr super, als der Typ mit seinem Hähnchen in der Manteltasche. Er macht sich über meine Krawatte lustig, die ich im Reissverschluss meiner Unterjacke eingeklemmt habe. Ich rücke sie zurecht und gehe nicht auf seinen Witz ein, weil er sonst denkt, kontern zu müssen und dann komm ich nie hier weg. Ich rede gedankenverloren von dem australischen Café bei mir an der Ecke. Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich das Gespräch am Laufen halte, während der Hahn in meinem Mantel gerade seine letzte Grillwärme aushaucht. Der Freund der Frau aus der ehemaligen Arbeit sagt, dass der Besitzer des Cafés einer seiner besten Freunde sei, obwohl ich ihn noch nie dort gesehen habe. Aber das sagen alle angeblichen Freunde von dem Cafébetreiber. Weil er Australier ist und die Leute ihn mit ihrem tollen Englisch beeindrucken wollen und er dann was lustiges sagt und dann die anderen wieder 20min erzählen lässt. Da denken die gleich, sie sind jetzt beste Freunde. Warum ich schon nach Hause gehe, will die Frau aus der ehemaligen Arbeit wissen. Weil mir kalt ist, sage ich und kann das Grillhendl nicht mehr spüren. Und weil ich in der Arbeit in 5 Jahren nicht so viel mit dir geredet habe wie in den letzten 5 kostbaren Minuten meines Lebens, die mich nahe an die völlige Zerbröselung meines Körpers gebracht haben, sage ich mir. Ich war mal mit meiner Schwester im Urlaub in Spanien und da haben wir diese Frau aus der damals noch tatsächlichen Arbeit auch getroffen. Zufällig. Das war eine schlimme Geschichte, was nicht ihre Schuld war. Aber zu reden hatten wir auch da eigentlich nicht viel. Ich prognostiziere zum Abschied ein Treffen in dem australischen Café zu dem es vermutlich nie kommen wird. Ich sage, ich finde mein Handy nicht zur Abspeicherung der Nummer. Ich weiß auch wirklich nicht, in welcher meiner 10 Jackentaschen es sich befindet, weil ich ja drei Jacken übereinander trage. Aber sie ruft mich an und der Vibrationsalarm verrät mich und schon bin ich zum Nummerntausch gezwungen worden. Ich renne fast nach Hause in der irrigen Hoffnung, es könnte sich noch ein Hauch Wärme in dem Grillhendl befinden. Wie ein Irrer zerreiße ich am Küchentisch das halbe Huhn und stopf es in mir in den Mund. Am Ende ist mir tatsächlich noch ein bisschen warm davon geworden. Aber ich schwöre, wenn das so weiter geht mit der verlorenen Zeit und der verlorenen Körperwärme, dann geh ich vor die Hunde. Wenn nicht diesen, dann nächsten Winter.