Kriminalgericht

Und dann war ich in Moabit, am Kriminalgericht. Endlich verspricht ein Gebäude mal nichts, was es nicht auch halten kann. Architektur der ewigen Schuld. Erdrückung durch Wilhelminismus ist das Urteil, das schon mal grundsätzlich an alle ergeht, die hineingehen. Die, die ihr eintreten wollt, lasset alle Hoffnung auf genug Tageslicht fahren. Das erste elektrisch beleuchtete Gebäude in ganz Berlin, sagt Wikipedia. Mir hat sie auf Anhieb gefallen, die andauernde Anwesenheit von Drakonie, der unsubtile Anklang von höherer Strafgewalt. Falls jemand fragt, ich selbst stand nicht zur Anklage und Zeitzeugen für Volksverdummung wurden an jenem schneeverhangenen Dienstag im Januar auch nicht aufgerufen. Die eigene Schwester inmitten eines juristischen Referendariats mit der ersten Verhandlung war der Grund für meinen Auftritt vor Gericht. Der Fall selbst, ein dichter Milieuplot mit überraschenden Twists. Eine sich selbst zerstückelnde Zeugin, ein ganz wiefer, harter Burschido und ein Staatsanwalt, der fast vergaß, dass man sich als Zeuge nicht selbst belasten muß. Macht ja nix, weil stehen ja nur Biografien auf dem Spiel so einer halbstündigen Verhandlung. Quasi Fertiggericht, weil’s schnell gehen muss. Und dennoch ist es Burschido und der Zeugin mit den Neonazipostern grade recht geschehen. Und schon auch traurig die meisten Listen mit den Namen der Vehandlungssache und der Uhrzeit. 10:20 ausländischer Name, 11:15 türkischer Name, 11:50 türkischer Name. Man fühlt sich ja schon schuldig, das überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, aber Melancholie, schlechtes Gewissen und Naivitäten sind hier unter Angestellten schwer verpönt, sagt man mir. Anderthalb Stunden später wieder im freien Tageslicht, lastet das Kriminalgericht noch ein wenig auf dem bis dato arglos bürgerlichen Gemüt. Der Cappuccino im Kaffee gegenüber kostet 2,80 und ist viel zu groß. Altmoabit ist am Leben. Das Kriminalgericht und die JVA sind gar nicht wirklich da, wenn man nicht hineingeht.