Weil es nahezu zur Unsitte geworden ist, gerade da man es mittlerweile bei Hinz und Kunz toleriert, über das eigene Wohlbefinden zu publizieren und Auskunft zu geben über das, was man frisst und tut den lieben langen Tag, möchte ich mich für den nächsten Satz jetzt schon entschuldigen und anführen, dass ich diese Befindlichkeit nur deshalb zum Besten gebe, weil sie inhaltlich einen höheren Zweck erfüllt. Jetzt kommt sie: Ich habe am Sonntag im Sarah-Wiener-Café im Hamburger Bahnhof (in Berlin, nicht in Hamburg) einen wahnsinnig guten New-York-Cheesecake gegessen. Aber nicht der Kuchen, sondern der Überbringer desselben ist das erfreuliche Sujet dieses Artikels, wie schon ein Dummkopf an der Überschrift erkennen könnte, läsen hier überhaupt Dummköpfe mit.
Der Kellner, der mir den Kuchen gebracht hat, trägt einen schmalen Schnurrbart wie Marlon Brando als Don Corleone. Und auch die Frisur ist eine Ähnliche, selbst wenn das Haupthaar noch spärlicher als bei Brando ausfällt (ha, ausfällt!). Der Kellner geht nach vorne ziemlich gebückt, er scheint eine Beschwerlichkeit mit dem Rücken mit sich herum zu tragen. Das sieht nicht unbedingt traurig aus, wirkt sogar auf eine gewisse Weise ehrwürdig, weil er selbst bei einem Käsekuchen und einem Cappucino aussieht, als schleppte er die Last der Welt für ein kleines Trinkgeld zu dir an den Tisch und wieder zurück hinter die Theke. Der Kellner ist weder besonders humorvoll, noch besonders überschwänglich. Er ist dafür besonders darum besorgt, ausserhalb seiner kellnerischen Tätigkeiten – und die umfassen vor allem einen korrekten und sauber artikulierten Umgang mit den Gästen – nicht weiter aufzufallen. Höflichkeit kann man es auch nennen. Bei aller Korrektheit steckt ihm aber dennoch ein gewisser Schalk im kaputten Rücken, auch wenn er ihn sich aufs Härteste verbeissen muss. Ein bisschen erinnert er mich damit an Batmans Butler Alfred, die Seele eines Maschinisten und Vigilanten. Der Kellner übt seinen Beruf so aus, als hätte er ihn gelernt und als hätte er ihm einst Spaß gemacht. In seinem schwarzen Hemd und der schwarzen Schürze hat er zugegebenermaßen auch etwas von einem Bestatter, aber es gibt ja auch freundliche Bestatter. Der Kellner ist unter all seinen Kollegen in dem Café garantiert der einzige über vierzig und sieht aber nach siebzig aus. Er ist ohne Zweifel ein Relikt einer Kaffeehauskultur, die schon im letzten Jahrhundert längst ausgestorben war. Und das in einer Stadt, in der der arbeitslose Hipster und Studenten das gastronomische Service-Ruder fest in der Hand halten und damit auf Tugenden wie Schnelligkeit, Freundlichkeit und Flexibilität einschlagen, bis sich nichts mehr rührt. Der Kellner ist ein Grund, warum ich gerne am Sonntag eine Stunde dort verbringe. Selbst dem größten Sonntagsgewühl trotzt er noch eine unheimliche Ruhe ab und die Gewissheit, dass nichts so wichtig ist, wie der nächste Kaffee, aber nur, wenn er ohne Umstand und ohne diese grässliche Hast serviert wird.
Von uns hat der Kellner erst länger nicht Notiz genommen. Dann hat er ein Getränk am falschen Tisch abgestellt und zwei statt einem Käsekuchen gebracht. Am Ende hat er vergessen, dass wir zahlen wollten. Wir haben ihm aber auch den irrtümlichen New York Cheescake abgenommen und ihm ein bisschen mehr Trinkgeld als normalerweise gegeben.