I’ve got a dying urge to feel the way you do
Too close for comfort, bed and breakfast in a spoon
The shortest breath of your young life
A long walk home on Friday night
You made one last stop at the store
(Alkaline Trio – Continental)
Mein Lebensgefühl war der Tod. Und das, obwohl er erst Jahre später gekommen ist. Erst Jahre später haben die Leute angefangen zu sterben. Erst Jahre später hat er Einzug gehalten und ist zu einer furchterregenden Normalität verkommen. Und trotzdem war alles voller Blut damals.
Schon morgens nach dem Aufstehen, du gehst in die Küche und alles ist voller Blutspritzer. Die Blutflecken im Bad, im Bett auf dem Spiegel. Alles trieft. Auf dem Weg zur Arbeit siehst du den Leuten schon die Angst vor dem Tag an, es ist Mitte Juni, sie schwitzen Blut. Im Büro – als es noch ein Büro gab – dann die Leute unter Aspirin, unter Ibuprofen, unter Thomapyrin, unter Paracetamol. Wir alle gedämpft, wir alle betäubt und gelähmt. Immer diese Musik, den ganzen Tag im Büro diese Musik. Immer ist irgendwo die Ewigkeit drin in dieser Musik. Man kann sich nicht auf die Arbeit konzentrieren, weil die Arbeit aus Musik besteht und Musik weh tut. Die Leute, die Kollegen, alle tragen so eine furchtbare Sinnlosigkeit in sich, eine Entleerung, eine einzige Aufhebung durchleiden sie und hinterlassen Blutspuren auf dem Boden der ehemaligen Näherei. Die Stunden bis zu den ersten Drinks ziehen sich wie der Sommernachmittag. Manche gehen nachmittags in den Englischen Garten auf ein Weißbier oder einen Joint, ich finde, der Nachmittag wird noch länger dadurch. Ich schreibe Mails, auf die ich niemals eine Antwort bekomme, ich plane Nächte, die niemals stattfinden werden. In anderen Ländern geht das Leben weiter, aber nicht hier.
Als sich das Tor der Näherei endlich in die Sommernacht öffnet, geht es wieder in die Auflösung hinaus, bis um vier Uhr morgens nur noch ein roter Fleck auf dem vom Vortag warmen Asphalt der Wilhelmstraße vor dem hässlichen Appartementbau übrig bleibt. Ouzo, Gin Tonic, Becks, Weißwein, Jägermeister und Augustiner. Emma, Alexandra, Alina, Rashana, Marina, Stefanie, Paulina, Christine und eine Ungarin, deren Namen ich vergessen habe, die bei McDonalds arbeitet. Es geht gar nicht immer was, meistens sogar nicht, aber Blut fließt immer. Soweit kommt es immer. Irgendwer verplappert sich immer und offenbart seine Todessehnsucht. Warum sind nur alle so verzweifelt, woher kommt das? Wir sind noch keine Dreißig und wollen schon alle weg. Schwarz ist die Isar in der Nacht und man denkt, sie reißt einem den Fuß ab, wenn man ihn hineinsteckt und es bleibt nur der Stumpf zurück. Je später es wird, desto höher werden die Stellen, die man aufsucht, desto erhabener der Blick auf die Stadt, desto verbindlicher der Pathos, desto unwirklicher der nächste Tag. Jeder sucht ein grandioses Finale für jede Nacht. Der Vorhang schließt sich und tosender Applaus spült einen in den Schlaf, bis man am nächsten Morgen aufwacht und überall die Blutspritzer vorfindet.
Mein Lebensgefühl war der Tod. Jetzt ist es die Notwendigkeit, sich zu erhalten und das gut zu tun. Draussen sterben die Leute über Dreißig aber nur die darunter denken ständig daran, auch wenn sie es nie so nennen.