Und zum dritten Mal jauchzte dein Mai, o Italia, höher,
Als wieder dein Bürgertum sprach.
(Giosuè Carducci)
Der Tag nach dem Urlaub ist der grässlichste. Wenn du bei REWE stehst und fassungslos die Verkäuferin mit den lila Strähnen anschaust, ihr Mund bewegt sich tranig, wie in Zeitlupe, und heraus schält sich dieses ordinäre Deutsch, das dir mit der inbrünstigsten Gehässigkeit sagt, dass sie eben keine andere Salami als diesen fetttriefenden Hohn von einer Mailänder hat. Wenn du nach Hause gehst und dich im Juni auf den Balkon stellst, auf die Feuerwand starrst und dir ein frostiger Ostwind den Teint im Sekundentakt wieder aus den Poren zieht. Das ist ein gottverlassener Ort, diese Stadt, dieses Berlin, dieses Deutschland, denkst du.
Heute morgen hättest du fast geweint, als du über die Via Aurelia in Richtung Livorno durch die samtenen Nebelbänke geglitten bist und rechts von dir wie ein Feuerball über der Savanne die Sonne hinter den etruskischen Hügeln hervorgestiegen ist. Geweint, weil es wie die willkürlichste Gemeinheit, der grausigste Zufall erscheint, dass es Leute gibt, die als Südländer geboren sind und andere als Deutsche. Weil die einen ihre Freizeit am Sonntag gerne auf Autobahnraststätten verbringen, während die anderen bei einem Glas Rotwein auf der Viale dei Cipressi campen, weil sie wissen, dass sie die schönste Straße der Welt vor der Haustür haben. Weinen, weil Leute wie wir im Weinbergspark oder auf dem Gärtnerplatz sitzen, und dem sogar noch etwas Mediterranes abringen, während man auch in Bolgheri oder oben in Sassetta, oder auf dem ewig dämmernden Park auf den Dächern von Castagneto einen Vermentino zu sich nehmen könnte.
Aber es muss, es darf gar nicht nur dieser schwäbisch angehauchte, pseudohumanistische Landschafts- und Weintourismus sein, der einen in den italienischen Müßiggang treibt. Es ist das Beiläufige, das Wurschtige dieser Region, die sich in den 16 Jahren, in denen du nicht da warst, nicht um einen Deut verändert hat. Das geordnete Herumtreiben der Landbevölkerung, das permanente sich-Verhocken, die lässige Selbstverständlichkeit von hohem Gras und hohen Pinien vor Sandstränden und die charmant indifferente Einrostung der Aufspannmechanik der Sonnenschirme in Marina Di Castagneto. Das sanfte und überhaupt nicht boshafte Ignorieren, dass du überhaupt da bist mit deiner Vorstellung von Italien, deinem blasphemisch Goethe-istischen Anspruch von dem gottgegebenen Land, das Gott leider unrechtmäßig den Italienern und nicht uns Deutschen gegeben hat. Das sanfte Wegschauen und Weghören, hinweg hören über unsere brutale und verbrecherische Sprache ohne Lust und Melodie. Und die kulinarische und grenzenlose Loyalität Kindern gegenüber, selbst wenn es die von den Deutschen sind.
Morgens um acht sitzen sie alle vor den Bäckereien in Donoratico und reden und essen und trinken einen Kaffee und reden. Dann sitzt lange mehr niemand irgendwo. Erst zwölf Stunden später sitzen wieder alle und dann wird durchgesessen bis spät in die Nacht, während du ja längst schläfst wegen den ganzen Ausflügen und atemlosen Aufsaugen der Szenerie. Ständig mäht jemand eine Wiese, irgendwo parkt jemand ein und wieder aus und in aller Seelenruhe verfallen die alten Häuser und Bauernhöfe, falls nicht jemand einen Agriturismo draus macht oder ein Schweizer vorbeischaut und alles aufkauft. Dem sanften Verfall schaut man überaus gern zu, wenn der Mond längst aufgegangen ist und die letzten Fäden eines glutroten Sonnenuntergangs aus dem Himmel hängen, während man im Wasser liegt und darüber nachdenkt, was für eine Verschwendung an Energie doch die eigene Mentalität ist.
Der Tag nach dem Urlaub ist der grässlichste.