Du hast dir dein Leben ganz anders vorgestellt.
Viel zu viel Theater für viel zu wenig Geld
Du hast den Jesus-Blues, was zum Teufel ist da los?
(Berni Mayer, „Der Jesus-Blues“, unveröffentlicht)
21.02.2013 Münster, Fyal
So angenehm eine Zugfahrt sein kann (wenn man nicht gerade verkatert neben Rotkäppchen-Sekt-Trinkern sitzt), so toll sind Autofahrten mit Kumpels. Man entwickelt saisonale Hymnen, an die man sich auch nach Jahren noch erinnert. Letztes Jahr in Leipzig war es ein Sampler mit Hip-Hop-Musik aus GTA: San Andreas (Dre, Snoop, Cube, NWA etc), dieses Jahr war es unerwarteterweise „Whipping Post“ von der „Allman Brothers At Filmore East“, was schon aufgrund der Länge (23min) nicht unbedingt auf seine Hymnenhaftigkeit hindeutet. Honorable Mentions gehen an „Bad Girls“ von M.I.A., an Taylor Swift, Frank Ocean und Django Django.
Ich war noch nie in Münster und muss zugeben, dass ich fast ein wenig erschrocken ob der absoluten Aufgeräumtheit der Stadt bin. Grade wenn man aus Berlin anreist, hat man das Gefühl sich unberechtigt eingeschlichen zu haben in diesen unterkühlten Wohlstand, obwohl ich natürlich weiß, dass das nur ein Vorurteil sein kann. Die Lesung im Fyal ist weniger aufgeräumt, was zum einen daran liegt, dass im Keller hinter/unter mir ein Studententreffen stattfindet, dessen Wortlaut ich nur allzu genau während meiner Lesung wahrnehme, zum anderen habe ich zwischen der letzten Lesung und jetzt einen Stand-Up-Comedy-Auftritt absolviert, nach dem ich mich für so unglaublich komisch halte, dass mein Eingangsmonolog nur glorios scheitern kann. Allerdings sind die Leute auch danach weder besonders konzentriert noch interessiert. Nie wieder Gratislesungen, denke ich, bis zur nächsten Gratislesung. Es ist aber auch Positives an diesem Abend zu vermelden, denn ich trinke fast im Alleingang auf zwei Stunden eine halbe Flasche Jack Daniels aus.
22.02.2013 Köln, Lichtung
Dementsprechend todessehnsüchtig breche ich den nächsten Tag und den nächsten Teil unserer Dom-Tournee (Münster, Köln, Mainz) an. Zudem fällt uns ein, dass wir vergessen haben, uns in Köln um eine Unterkunft zu kümmern. Das herzhafte Pancake-Frühstück im Münsteraner Hotel wird somit durch ein paar hektische Telefonate meinerseits mit diversen Pensionen und Jugendherbergen getrübt, denn in Köln ist – wann eigentlich nicht – Messe. Irgendwie schaffen wir es doch, am Bahnhof in einem Hostel unterzukommen, in dem man zirka 27x in andere Gebäudeteile abbiegen muss, um in seine Schlafkammer zu kommen. Einen Großbrand möchte man hier nicht erleben. Die Lesung selbst ist dann super, weil ich geprügelt von Münster mit großer Demut und Sorgfalt (und ohne Stand-Up) lese und Musik mache, und sich so tatsächlich eine recht ausgelassene Stimmung entwickelt, vor allem beim Stück „Die Beichte“, aber da ist auf die Katholiken-Hochburgen eh immer Verlass. Ich glaube, in Köln fängt auch das Phänomen an, dass die Leute lachen, sobald ich einen Ford Focus erwähne. Zudem kommt hier eine Eigenkomposition namens „Jesus-Blues“ so gut an, dass ich auch weiterhin an ihr festhalte, obwohl man doch wissen sollte, dass der Frohsinn in Köln etwas großzügiger gestreut wird als beispielsweise in Erlangen. Während und nach der Lesung trinke ich weiter Whisky, obwohl mir meine Ärzte zu Wodka geraten haben, und stehe noch einige Stunden in der Winterjacke in einem Club herum. Der freundliche Linus Volkmann ist da, freundliche entfernte Kölner Verwandtschaft, irgendjemand kommt, irgendjemand geht und ich dämmere angenehm tumb vor mich hin. Es gäbe sicher einiges zu sehen im freitäglichen Kölner Nachtleben, aber ich musste mein gesamtes Pulver ja schon in Münster mit Jack Daniels verschießen. Am nächsten Tag hab ich eine aufgewärmte Erkältung, wenn es so etwas gibt.
23.02.2013 Mainz, Buchhandlung Bukafski
Nach einem French Toast im Halmakenreuther, wo Sky-Legende Ecki Heuser den Geburtstag seiner Tochter feiert, falls mich mein Katerauge nicht trügt, fahren wir durch eine wildestes Schneewehen weiter nach Mainz, wo uns der großartige Musikmacher und Gitarrenspieler Thomas Müller empfängt. In Vorbereitung auf die Lesung spielen wir zusammen „New Slang“ von den Shins und eine Maxiversion von „Nix mitnehma“, wie wir sie auf der tatsächlichen Lesung in der Euphorie nicht mehr hinbekommen werden (siehe Foto). Danach gehen wir in die Kneipe und sehen wie der FC Bayern zur Abwechslung mal wieder ein Spiel gewinnt. Die Lesung selbst ist eine runde Sache, vor allem, weil die Gitarrenduelle zwischen Thomas Müller und mir mich davon ablenken, dass ich mittlerweile eigentlich nicht mehr nur leicht erkältet bin. Nach der Lesung entwickelt sich ein ungezwungenes Herumgehänge, was irgendwann in einem Club, dessen Namen ich vergessen habe, mündet. Das Besondere ist aber auch nicht der Name, sondern die Stereoanlage, in die – egal was man ihr füttert, alt oder neu – am Ende ein 60er-Jahre-Garagensound herauskommt. Wie schon in Köln bin ich geistig nur noch halbanwesend, bekomme aber immerhin mit, dass mein Kumpel J. sich wünscht, eine Woche lang der sehr passioniert und gleichzeitig völlig indifferent gegenüber dem echten Leben wirkende Garagen-DJ dort oben in der Kanzel zu sein. Nachdem wir uns vom guten Thomas Müller und vom guten Matthias vom Bukafski verabschiedet haben, legen wir uns in der WG in ein Erkerzimmer. Plötzlich kommt die freundliche Mitbewohnerin ins Zimmer hineingeschossen und warnt uns intensiv vor dem Erfrierungstod, weil es in dem Zimmer keinen Heizkörper gibt. So schlimm wird’s schon nicht werden, denke ich, bis ich nachts davon aufwache, dass mein Haar Frost ansetzt. In zwei Hosen, drei Pullovern und zwei Schlafsäcken überleben wir die Nacht dann aber knapp und fahren am nächsten Tag zurück nach Berlin, sechs Stunden durch die größte Schneematschscheiße, die ich in meinem ganzen Leben je auf einer Autobahn gesehen habe.