Ich ging nach Haus und schlief, als ob
Die Engel gewiegt mich hätten.
Man ruht in deutschen Betten so weich,
Denn das sind Federbetten.
(Heinrich Heine, Deutschland – Ein Wintermärchen)
08.03.2013 Erfurt, Franz Mehlhose
Schon wieder Schnee. Und Schnee. Die Lesereise ist eine Winterreise, aber wir hören nicht Franz Schubert im Auto, sondern wieder die Allman Brothers und reden über Jimi Hendrix. Ich habe am Vorabend das Rainbow-Bridge-Konzert auf Youtube gesehen und fand es hinreissend, wie sich ein paar verstreute Zerstreute in dieser giftgrünen Vulkankulisse auf Hawaii bedröhnt beiläufig dem größten Gitarren-Schamanen ihres Jahrhunderts hingeben.
In Erfurt ist es bereits dunkel, als wir ankommen, das bedeutet, es ist kurz nach 16:00 Uhr. Beim Hineinfahren passieren wir eine elektronische Anzeigetafel, auf der steht: „Noch 666 freie Plätze im Parkleitsystem.“ Ohne Witz. Der Erfurter Dom thront auf einem Hügel und sieht in der Dunkelheit deshalb aus wie ein Schloss in Siebenbürgen. Fehlen noch die Fledermäuse, die um die Spitzen kreisen. Alles passt, das weiß man spätestens seit der elektronischen Anzeigetafel. Das Franz Mehlhose ist die schönste Station auf der gesamten Lesereise. Wunderbare Gastgeber, ein eigenes Künstlerappartement (Ich werde sowieso für mein Leben gerne „Künstler“ genannt), ein großartiges Publikum und eh mein bester Abend. Ich kann es eigentlich kaum erwarten, die Stadt im Spätsommer zu sehen.
Die Nacht nach dem Auftritt endet in einer kleinen Bar, in der eine Armada an VHS-Kassetten sauber beschriftet und aufgereiht hinter dem Tresen steht. Daraus entnimmt der Besitzer ausgewählte Videos und lässt sie über mehrere Röhrenfernseher laufen. Ich bin angetrunken genug, um nochmals von Jimi Hendrix anzufangen und frage in die Runde, ob Mitch Mitchell bei dem Rainbow-Bridge-Auftritt trommelt, weil ich mir fast sicher bin, und ob das die Band of Gypsies ist oder die Experience. Damit verstöre ich den Gastwirt, nicht nur weil er denkt, dass auf Hawaii Buddy Miles trommelt, sondern weil ich statt Rainbow Bridge ständig – in einer Art Sprachdefekt – Isle Of Wight sage. Es entsteht ein musikhistorisches Chaos, das nur dadurch zu entwirren ist, indem der Wirt zum einen ein Lexikon aus dem Regal neben den Obstlern holt, wo genau drinsteht, wer auf welcher Platte und bei welchem Konzert von Jimi Hendrix mitgespielt hat. Und wenn mich meine Erinnerung nicht trübt, legt er am Ende sogar die Rainbow-Bridge-VHS ein, womit sich endgültig bestätigt, was ich seit gestern vermute: Mitch Mitchell trommelt mit Hendrix auf Hawaii und Billy Cox vertritt Noel Redding am Bass, was das Line-Up zu einem Vorläufer der Band Of Gypsies macht, bei der besagter Buddy Miles am Schlagzeug hockt.
09.03.2013 Chemnitz, Arthur
Es hätte alles so schön sein können. Wilder, schöner Osten, Allman Brothers, ich hundsverkatert und J. kutschiert uns rüber nach Karl-Marx-Stadt. Aber nein, ich muss ja quasi noch auf der Autofahrt sterbenskrank (sprich: grippal erkältet) werden und den gesamten Nachmittag im Chemnitzer Hof verbringen, wo ich unter anderem ein kurioses Fußballspiel zwischen Bayern und Düsseldorf sehe. Auf dem Weg nach Chemnitz ist mir das Navigationsgerät hinter das Handschuhfach gefallen und liegt jetzt wahrscheinlich im Motorblock.
Den Gedanken werde ich nicht los, als wir ins Kulturhaus Arthur fahren. Im Arthur sind eine viertel Stunde vor Lesebeginn nur drei Leute, zudem hat der defätistisch wirkende Kneipier Einstürzende Neubauten laufen, was nicht unbedingt die Stimmung hebt. Jetzt stelle ich auch noch fest, dass ich meine Brille im Hotel vergessen habe, was in der Folge bedeutet, dass ich das Buch einen halben Kilometer von mir strecken muss, um einzelne Buchstaben erkennen zu können. Um mich davon abzulenken, dass keine Leute kommen, nehme ich das halbe Auto im Dunkeln auf dem Parkplatz auseinander um das Navigationsgerät zu finden. Den Motorblock werde ich allerdings erst am nächsten Tag im Hellen untersuchen, beschließe ich.
Immerhin sind am Ende zehn Leute da und ich muss mehr schneuzen als lesen, aber ich entwickle mit dem Publikum eine Mitleidsroutine, die mich durch die doch ganz schöne Lesung trägt. Der sehr freundliche Veranstalter fasziniert mich. Er erinnert mich ein bisschen an eine Figur von Dieter Krebs. Er erzählt mir, dass hier auch manchmal Aktionskeramiker auftreten, oder ich habe mir das in meiner Krankheit zusammenfantasiert. Dann bringt mich J. wieder ins Hotel und im Fieberwahn schaue ich das Aktuelle Sportstudio und dreimal „Alle Spiele alle Tore“, bis ich eigentlich schon wieder vergessen habe, wer eigentlich gespielt hat. Ich kann ewig nicht einschlafen wegen dem Navi im Motorblock.