Von der Mulmigkeit in den Wurstmonaten und der Zerbröselungspanik
Ein mulmiges Gefühl. Denk ich an Berlin bei Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. Ein mulmiges Gefühl. Ein mulmiges, leich defätistisches Gefühl habe ich, wenn ich mir die Stadt anschaue. Ich kann nicht „meine“ Stadt schreiben, es geht einfach nicht, ich brings nicht übers Herz. Mir ist vollkommen klar, dass meine Mulmigkeit in nachbarschaftlich guten Beziehungen zur Paranoia steht, aber die Ratio gibt klein bei.
Eine ehemalige Arbeitskollegin und gebürtige West-Berlinerin hat vor beinahe zehn Jahren gesagt: Das größte Problem an Berlin ist, dass jeder denkt, um die Ecke kommt noch was Besseres. Sie hat das damals eher auf Parties, Drogen, Sex und Hockeyclubs in Zehlendorf bezogen, aber das lässt sich tatsächlich auf jeden Lebensabschnitt übertragen. Jetzt ist es die bessere KiTa, die bessere Schule, die größere Eigentumswohnung etc. Klar, der Mensch denkt, er muss sich weiterentwickeln, Zufriedenheit ist auf der Stelle treten, das ist verpönt, suspekt und vermutlich sogar verwerflich. Ist es einfach die Gewissheit der eigenen Endbarkeit, der horrende Schiss vor der eigenen unvermeidlichen Zerbröselung, den uns jemand in den Gencode geschrieben hat, oder ist es einfach der gnadenlose Neid (was ja vielleicht einfach die Folge ist)?
Ich fühle einen Hauch von Panik. Das äußert sich vor allem im Umgang mit Kindern. Da ich selbst eins habe, muss ich mich gezwungenermaßen mit anderen Eltern abgeben und mein Leben ist seitdem schlechter geworden. Ich bin tätowiert, arbeite zuhause und man kann mich googeln. Das reicht, um den meisten Leuten hier (in Berlin Mitte) Angst einzujagen. Nicht, dass ich den geringsten Wert auf eine gemeinsame Freizeit mit den Eltern aus der KiTa legen würde, aber eine friedliche Ko-Existenz, bei der man noch nicht einmal im Ansatz darüber nachdenkt, wie der andere eigentlich ist und was er macht, wäre drin. Kinder intensivieren den Wahnsinn in den Leuten. Plötzlich schaut jeder ganz genau hin, obwohl es ihn einen Scheißdreck angeht. Was macht der andere mit dem Kind, wie ist die Frisur und die des Kindes, wann geht er zur Arbeit, wer ist das überhaupt, der sein Kind in die Nähe des meinigen lässt?
Und dann kommt das: Zwangssozialisierung, Lästern, Kinder nicht zu Kindergeburtstagen einladen. Kinder nicht miteinander spielen lassen. Und natürlich schwingt sich irgendeine Mutter (ja, es sind leider immer die Mütter) zum Blockwart (westdeutsch: Hausmeister) auf und schreibt ach so freundlich mahnende E-Mails an ALLE. Um nichts auf der Welt möchte ich auf unseren Sohn verzichten. Dennoch wünsche ich mich manchmal wieder in die soziale Isolation zurück, die man als kinderloses Paar genießt.
Dass alles zugeschneit ist, beruhigt mich. Die kaputte Stadt hier kann sich auf den Kopf stellen in ihrem kollektivindividualistischen Massenegoismus, es sieht trotzdem jedes Penthouse und jeder SUV gleich aus. Klar treibt mich auch der Neid der Besitzlosen um, das will ich nicht leugnen. Die Impulse sind ja nicht das Gefährliche, die mangelnde Impulskontrolle ist es, oder in anderen Worten: der Stil.
Das hier soll gar keine Abhandlung über die Berliner Gesellschaft sein, dafür kenne ich sie zu wenig. Man pendelt ja nur zwischen Mikrokosmen. Es ist nur die Bestandsaufnahme einer Stimmungsmisere, die ärgerlicher als ihre Gründe ist. Statt mich auf ein paar grundsätzliche buddhistische Regeln zu konzentrieren, wie ich das zu meinen besten Zeiten (die sind allerdings rar) im Ansatz schaffe, maule ich mit den Haien und vermiese mir selbst die Schneetage, die zum Besten gehören, was die zwei Wurstmonate Januar und Februar zu bieten haben. Und frag mich nicht, warum Wurstmonate. Das ist hier ein falsches, aber dann doch ein Tagebuch. Man schreibt auf, was man vom Feeling her so fühlt.
Was ich auch noch irgendwo aufschreiben will: True Detective ist großartig. Ich glaube, ich kenne nach Agent Dale Cooper und Marshall Raylan Givens keinen so großartigen „Gesetzeshüter“ wie Rust Cohle. Seine Art von Weltverneinung ist fast zärtlich und er hat einen derart feinen Sinn für Humor, dass es beinahe unmöglich ist, seine Belustigung von seiner Erschütterung zu trennen. Natürlich trägt die Serie visuell und dialogisch ganz ganz dick auf, aber irgendwie tut sie das von ganz unten, mit einem langsamen, scheinbar endlosen Ausatmen.