Ich fühle mich älter, jetzt wo ich wieder daheim bin. Im positiven Sinne älter. Und ja, DAHEIM. Ich sage das, weil ich es meine. Seit langem bin ich wieder mal auf den Westfunkturm zugefahren und habe gedacht: gleich daheim. Wo war ich? Ach ja, ich war auf Tour. Sagt sich cool, liest sich cool, ist aber wie das meiste in meinem Leben nur die halbe Wahrheit. Es waren nur drei Auftritte im Süden mit meiner Heavy-Metal-Band The Gebruder Grim. Der Begriff Heavy Metal kommt mir manchmal schwer über die Lippen, aber sobald ich anfange, etwas von Retro- und DIY-Metal zu erzählen, wirkt es wie eine Rechtfertigung. Wer die Band live sieht, versteht dann aber alles. Wo einst Ironie vermutet, regiert die Liebe für die Musik meiner Jugend und dasselbe gilt für die Bandmitglieder. Die Besetzung gibt es erst seit letztem Herbst, es war wichtig die menschlichen Grenzen auszuloten. Und wo geht das besser als auf einer Rock’n’Roll-Tour.
Tag 1: Regensburg
Weil Regensburg gerade brutaler durchgentrifiziert wird als jedes Townhouse in Schussweite des neuen BND-Gebäudes in Berlin-Mitte, macht das Ordnungsamt Tabula Rasa mit der Livemusik. Somit ist uns das Lokal „Heimat“, in dem wir ursprünglich auftreten sollten, als Auftrittsort quasi unter der Nase wegbürokratisiert worden und wir sind auf lokale Hilfe angewiesen. Da zahlen sich dann doch wieder die Unjahre in der Gastronomie und Musikergesellschaft aus, die man eigentlich an der Fakultät hätte verbringen sollen. Nicht nur, dass wir mit dem W1 eine wunderschöne Bühne und saufreundliche Gqstgeber vorfinden, es ist auch noch was übrig von der alten Kommunenwärme der Altstadt. Mein alter Lieblingsmischer Mike zieht die Tonfäden für uns und sein kleiner Bub, der damals immer ins Zimmer geschlichen kam, wenn ich mir den neusten Half-Life-No-CD-Patch geholt habe, ist von einem Tag auf den anderen 23 Jahre alt. Ich komme mir nicht alt vor, ich finde es fantastisch, dass die Zeit vergeht und ich die andere Seite kennenlerne. Älterwerden ist altogether now. Insofern schaue ich auch durchaus mit Bewunderung zu, wie unsere juvenile Vorband The Edge Of Reason auf sogenannten Ego-Risern herumturnt, tätowierter ist als ich und rhythmisch dermaßen versiert, dass man nur den Hut ziehen kann (Musikersprech: arschtight). Unser Auftritt ist okay, dafür, dass wir zwei Monate nicht geprobt haben und natürlich ist er der Auftakt für eine dreitägige Reihe technischer Unzulänglichkeiten. Gott hat Röhrenverstärker erfunden und danach hat er eingesehen, dass er was stabileres braucht. Nachher sagen uns wie so oft viele, dass sie jetzt einsehen, dass wir Metal nicht parodieren wollen und ich sage, für eine Parodie lern ich doch auch nicht solieren wie ein junger Gott.
Nach dem Auftritt gehen wir in die Filmbühne, die ja auch umziehen musste, weil an ihrem Traditionsort ein Fahrradkeller entstanden ist. Dort ist eine Weiberfaschingsparty und ich mag das, wenn einem ständig betrunkene Frauen mit Katzenmasken um den Hals fallen. Am nächsten Morgen dann aufgrund des erziehunsgverpflichteten Schlafrhythmuses um 7 aufgewacht und auf die Straßen hinaus gegangen. Dienstleister-Stunde, Morgengeruch, Müllabfuhr und Aufbackbrezen. Und ein Anfall (auch ein Abfall) von gravierender Erinnerung, nur ein paar Sekunden lang, aber hart an der Schmerzgrenze. Erinnerung an die unzählbaren Morgen, an denen man genau zu dieser Zeit vom Arbeiten (und nachlumpen) aus der Kneipe gekommen ist. Ich nehme erst einen Kaffee in der Cafébar, aber dort sitzen grässliche Chauvinisten mit zuviel Geld, keinem Geschmack und Telekom-Anoraks, die der Bedienung ungefragt von den „flachen“ Brüsten ihrer Jugendfreundinnen erzählen. Eigentlich muss man erst zuhauen und dann gehen, ich lasse das zuhauen weg, weil ich noch so müde bin. Dann im Goldenen Kreuz mit den Rentnern warten, bis der Tag tatsächlich anbricht und die Bandkollegen aus den Kojen schlüpfen. Schon wieder Treffen der Generationen, ich mag das.
Tag 2: Salzburg
Kaum haben wir das Wabertal der depressiven Donaunebel (dagegen ist der Berliner Ostwind ein Fön) hinter uns gelassen, zerreißt es die Wolken. Der Chiemsee glitzert wie ein Haufen blauer Diamanten neben der A8 und in der Kaffeerösterei Dinzler lass ich mir einen Schwarzen hinunter, dass es raucht und pfeift im System. Hochwürze mit sofortiger Druckbekoffeinierung, das ist Kaffee, das ist Leben. In Salzburg ist Metal-Shirt-Wetter und die Umzinglung durch die Steilwände wirkt nicht halb so bedrohlich wie bei meinem letzten Besuch im Winter. Wobei das tödliche Wintersalzburg auch durch Murnbergers „Silentium“ fest in meinem Hirn verankert ist. Wir fahren zum Salzburger Regionalfernsehen, wo wir ehrlich zu uns selbst sein müssen. Können wir in drei Anläufen pro Song überhaupt sendefähige Musik generieren? Ja, wir können und machen uns dabei im Sender auch gleich mehrere Freunde, die uns später auf der Metal Outbreak Scream Tour 2014 MARK.freizeit.kultur, Salzburg als Kernpublikum die Treue halten werden. Übrigens der längste Konzertname, den ich je gehört habe.
Draußen im Industriegebiet sind wir die erste Band, die sich blicken lässt. Und das um 18.00 Uhr. Piefkes halt. Niemand kümmert sich anfangs um uns, Aufmerksamkeit wird uns erst zuteil, als minütlich der Veranstaltungsbeginn geändert wird und pro geänderter Uhrzeit jeweils vier Leute uns mitteilen, wann wir gefälligst anfangen sollen. Uns egal, weil bereit geboren. Wir spielen um neun hauptsächlich vorm Sender FS1 und es ist vielleicht unser bestes Konzert auf der „Tour“, trotz dem wenigsten Publikum und dem desinteressiertesten Mischer. Es ist die Güte der schlaflosen Gleichgültigkeit, die uns wurschtig besonnen und gleichzeitig nothing-to-lose-super macht. Das recht antithetische Marketing und die wenigen Gäste sind leider typisch für Wald-und-Wiesen-Promotion im Metalbereich, zumindest solange man in der Kleinkunst bleibt. Natürlich will man als Metallist seiner Zunft treu sein, aber die bessere Gesinnung und die hübscheren Frauen liegen einfach mehr im Indie und Hardcore, da kann man solieren so viel man will. Die Band Adamon hat sich immerhin in der Fanbeschaffung reingehangen und einen ganzen (halbleeren) Bus aus dem sogenannten Waldviertel in Oberösterreich kommen lassen. Weiß Gott auch nicht der nächste Weg. Nach dem Konzert treffe ich drei jüngere Menschen, die es nicht fassen können, dass ich auf dem letzten Nirvana-Konzert aller Zeiten war und mich deshalb auf ca. 78 schätzen. Außerdem reißen sie Witze über Minidisk („Habt’s es die Blattn auch aufm Minidisk?“). Ich finde es toll, ich hab nur leider nichts über das Nirvana-Konzert in München-Riem zu erzählen, weil meine Erinnerung an vergangene Konzerte in etwa den Detailgrad einer Landarzt-Folge aufweist. Dämon Alkohol. Apropos: Unsere Jameson-Flasche ist fast leer und nur ich und der Drummer trinken daraus. Kurz vor der Nachtfahrt nach München rauche ich noch eine Kräuterzigarette. Dann hören wir Pearl Jam und fahren bei „Indifference“ vom Münchner Ring ab, vorbei an der Tankstelle, wo mal jemand gearbeitet hat, den ich kannte. Das ist Erwachsenengrusel – nachts benommen in Ex-Städte fahren, Grunge hören und über alles nachdenken.
Tag 3: München
Gottseidank war ich beim Bandkollegen privat untergebracht, was gleich zwei Vorteile hat. Zum einen wird die Band für einen halben Tag aufgesplittet, zum anderen können wir uns bei McDonalds vollstopfen und dann bis zum Soundcheck in einer geheizten Wohnung auf der Couch herumranzen, Minztee trinken (Rock’n’Roll) und im Minutentakt zu einem Blödsinn wie dem neuen Riddick einschlafen. Der Abend ist dann eigentlich minutiös durchgeplant. Soundcheck und Aufbau soll so verschlankt werden, dass wir punkt 18:30 im Lokal sitzen und Bayern gegen Schalke schauen. Leider fällt mein Verstärker komplett aus und die Beschaffung eines Ersatzes nimmt die entscheidenen 90 Minuten in Beschlag. Unsere Vorband ist eine Lesung. Großartige Idee: zwei Menschen lesen sich gegenseitig absurde Rezensionen von Metal-Platten vor und ein DJ liefert Hörbeispiele von Vinyl. Leider geht es mit den zwei Jungs etwas durch und am Ende lesen sie länger als wir spielen. Wir spielen aber auch länger als geplant, weil mich die Selbstüberschätzung und Euphorie eines guten Auftritts dazu verleiten, noch „The Prisoner“ von Iron Maiden und „Supernaut“ von Black Sabbath anzuhängen.
Als wir später gegen drei Uhr nachts noch etwas aus der Glockenbackwerkstatt holen, fegt die tolle Paula vom Departement für Volxvergnügen grade die Kippen vom Gehsteig. Während sie den anderen irgendeine Einfahrt aufschließt, nehme ich den Besen und bürstel München an der Kreuzung Blumen- und Corneliusstraße sauberer als die Maximilianstraße. Kommt ein Rentner (um 3 Uhr nachts) vorbeigehinkt und sagt zu mir, dass wir uns schämen sollen. Wie es hier aussähe. Pfui, widerlich, was wir der Stadt antun. Meinen tut er ein paar verbliebene Zigaretteb auf dem Grün- bzw. Erdstreifen zwischen Bürgersteig und Fahrbahn. Am nächsten Tag fahren wir um 10:00 Uhr morgens zurück nach Berlin, damit ich abends meine Fußballkolumne schreiben und mir nebenbei das aufgezeichnete Bayernspiel anschauen kann. Zuhause wartet der Dreijährige und fragt, warum ich für seinen Geschenk (Ninja-Turtles-Kampfstock) mehrere Tage weg war. Generationen sind etwas schönes.