Mit dem Kind rausgegangen.
Der September fängt an zu modern. Die Gegend um unser Viertel hat sich im Lauf der Jahre in eine Wüste voller Kräne, Löcher im Boden und Absperrungen verwandelt und jetzt kommt das Wasser. Mittlerweile ist die Infrastruktur beim Teufel und dennoch wird auch die kleinste Baulücke genutzt, um eines dieser Häuser mit den grauen glatten Fassaden hinzubauen. Wie Unkraut schlingen sie sich aus jedem Freiraum. Es nieselt hämisch oder es nieselt sanft. Es stimmt einen hässlich feixend auf das eklige Wetter demnächst ein, oder es führt einen sanft heran, wer weiß. Der Anfang ist nie so schlimm. Ein paar Symptome. Leichte Kopfschmerzen. Am Ende die Krankheit.
Mit der S-Bahn in den Wedding, ins Einkaufszentrum gefahren. Im Einkaufscenter im Kinderspielgeschäft steht eine Frau sehr nah hinter mir und sagt: „Die ganze Scheiße ist doch scheiße.“ Sie sagt es mit einem türkischen Akzent und riecht nach Schnaps. Als ich mich umdrehe, sagt sie nicht ganz zu Unrecht: „Nach vorne wird geschaut, mein Freund.“ Der Bedienung im Spielzeugladen gehen die Haare aus und sie trägt Sommersandalen über weißen Nylonstrümpfen. Unten beim Fruchtsaftstand fragt mich die Kellnerin „Na was denn jetzt?“, weil ich nicht auf die Sekunde genau sagen kann, ob wir mitnehmen oder bleiben wollen. Natürlich würde ich gerne bleiben, aber es gibt keine Sitzgelegenheiten und die ruppige Frau am Tresen ist sicher kein guter Gesprächspartner. Bei McDonald’s steht ein größerer Junger mit seinem kleinen Bruder. Er ist etwa zehn und sagt mehrmals laut: „Hey, du riechst nach Fotze“. Mein Sohn sieht mich fragend an, ich zucke nur mit den Schultern. Im Zoogeschäft bei den beiden Kornnattern stinkt es so bestialisch, dass ich es nicht wage, in den langsam auswärmenden Cheeseburger zu beißen, den ich in meiner Hand halte.
Draußen vor dem Einkaufszentrum raucht eine Familie und wenn das Kind im Buggy einen Mucks macht, wird es zusammengeschissen und ihm der Rauch ins Gesicht geblasen. In der S-Bahn spielt mein Kind mit einem Sesamstraßenplüschtier, das wir gerade gekauft haben und es sind immer die alten Leute, die einen mit Gravitas und Milde gleichzeitig anlächeln, so als wären wir die letzte Hoffnung der Menschheit. Am Nordbahnhof bleibt ein wahrscheinlich geistig behinderter Rollstuhlfahrer in der Tür stecken und die Bahn will losfahren. Ich drücke ihn nach draußen, wo er verzweifelt ist, weil er irgendetwas verloren hat und es auf den Gleisen vermutet. Er lässt den elektronischen Rollstuhl in Richtung der Gleise rollen und wirkt aufgebracht. Ich hole einen Bahnbeamten. Zu zweit fragen wir den Mann, was er sucht, ob wir helfen können. Es ist der Deckel von seiner Colaflasche. Er ist weg. Er sagt, es geht schon wieder, es ist nur der Deckel. Die nächste S-Bahn kommt, er rollt zurück in die Bahn und fährt weiter. Der Bahnbeamte nickt mir zu.
Mit dem Kind wieder reingegangen.