Ach, falsches Tagebuch, wie gerne würde ich dir von meinen gelegentlichen Panikanfällen und der grotesken Angst, dem verschütt‘ gegangenen Urvertrauen und dem Unverstand, der sich in dieser Welt breit macht, erzählen. Aber du bist ja kein echtes Tagebuch und die grausliche Wahrheit hat nur in Extrakten und Sinnbildern hier etwas verloren.
Deshalb erzähle ich stattdessen von dem neuen Kaufhaus am Potsdamer Platz, der Mall Of Berlin. Und wie schön es hätte werden können, so an historischer Stelle, quasi in vermintem Grund und Boden. Wie schön kann so ein Kaufhaus sein, wenn aus den Lautsprechern Georg Friedrich Händel statt Ariana Grande blättert, wenn unten die Feinkost und das Kaffeehaus sitzt statt dem Schlüsseldienst und Aldi. Wenn oben sich die Himmel im Luxus lichten, wo nur die Betuchten noch kaufen, aber alle anderen dennoch wandern und verhandeln dürfen, statt durch Desigual, Berlin 54, Madonna und H&M zu hinken und nach reduzierten Angry-Birds-Mützen zu suchen.
Es könnten Schauspieler mit grellen Gesichtern aus Satyr-Spielen statt Saturn-Mitarbeiter auftreten, es könnten Liftboys statt Klofrauen das Kleingeld einsammeln. Wir könnten uns schwarz anziehen und durch lila-rote und nach Süßigkeiten duftende Arkaden (im mythologischen Sinn) lustwandeln statt von Camp-David-Proleten durch die Gänge geschubst zu werden von einem Smoothie-Stand zum nächsten von Nordsee über Subway bis zum Asia-Pavillion in Schwaden von Frittierfett.
So ein Kaufhaus kann doch ein Lichtblick in dunklen Zeiten wie diesen sein, eine Flucht nach Arkadien, ein Wellness-Aufenthalt im schönen Schein. Stattdessen ist es wie Berlin halt nun mal so ist. Kurzfristig, unsicher und visionslos. Ausnahme: der FC Bayern-Fanshop im Obergeschoss und der Hertha-Laden im Keller neben dem Schlüsseldienst. Da hatte jemand eine Vorstellung.