Liebes falsches Tagebuch,
ich habe dir länger nicht geschrieben, weil so viel Irrsinn passiert ist, den ich nicht in Worte fassen konnte. Nicht wollte. Und jetzt hat sich so viel mehr Irrsinn angesammelt, dass ich dir nur fragmentarisches hinterlassen kann. Will. Ich fange einfach mit den „Bushes Of Love“ an. Eigentlich ist das nur ein Lied, das diese Menschen von Bad Lip Reading (Nomen est Omen) aus dem ersten Star Wars-Film gemacht haben. Vermutlich reine Comedy, die mich aber komischerweise an einer ganz empfindlichen Stelle trifft. Text geht so:
How did my father die?
49 times, we fought that beast
Your old man and me
It had a chicken head with duck feet,
With a Woman’s face too
And it was waiting in the bushes for us
Then it ripped off your dad’s face
He was screaming something awful
In fact there was this huge mess
And I had to change the floors
You see, his blood, it drained into the boards
And I had to change ‚em
But we all got a Chicken-Duck-Woman thing,
Waiting for usEvery day I worry all day
About what’s waiting in the bushes of love.
Cause something’s waiting in the bushes for us
Something’s waiting in the bushes of love
Das hat mir trotz seiner Albernheit den Zeigefinger in die Eingeweide gebohrt, weil es so eine kurze und brutale Bestandsaufnahme von jedem Lebensentwurf ist. Egal, wohin man geht, irgendwo wartet eine Sensation, eine Verliebtheit, eine große Herzensbegeisterung auf einen. Die einen ganz einnimmt, ob man will oder nicht. Und einen früher oder später zerfetzt. Kinder, Partner, Eltern, Freunde, alles zerfällt irgendwann. Langfristig deprimiert mich das nicht, denn – Streicher bitte – Liebe ist ein Zustand, der sich über alle Zerfallserscheinungen und Tempi erheben kann. Aber manchmal und momentan bleibt die Zeit stehen und man sieht überdeutlich alle die Risse in seinem Leben.
Es gab so ein paar gnadenlose Risse in letzter Zeit, liebes falsches Tagebuch. In der Gesundheit von jemand, dem ich als allerletztes auf der Welt einen Riss irgendwo wünsche. Ein Riss in der Realität in der Mitte der Strecke zwischen Klinik und Zuhause. Zwischen den Haltestellen Fürsorge und Selbstmitleid. Dafür schließt sich die Lücke zwischen meiner Biografie und dem Buch, das ich geschrieben habe. Über die vielen nächtlichen Lektoratssitzungen verwischen die Grenzen zwischen den Dingen, die ich erfunden habe und denen, die ich selbst erlebt hab. Und ich schwöre, das Erfundene hatte ursprünglich die Oberhand. Es ist auch eine Zeit, in der man die Risse mit Medikamenten überbrückt, Chemie ist das Wort der Stunde. Chemie ist auch jemand, der kurz mit einem in den Abgrund starrt und dann von mir aus auch wieder weitergehen kann. Ist kein Problem für mich. Nur einen kurzen Augeblick zusammen starren.
Und während sich ein Tag an den anderen reiht und schon drängelt zu passieren und das Wetter sich nicht gerade Mühe gibt, einen Schönheitspreis zu gewinnen, bin ich sicher, dass auch jetzt etwas auf mich und alle im Gebüsch der Liebe wartet. Etwas, das uns zerfetzt und wahnsinnig freut.