Ich brauch Power für mein Akku.
Denn das ist ein Hochverbrauchsritt zwischen Begeisterung, Ratlosigkeit und Verzweiflung. Ein performierendes Leben im besten und ein perforiertes im schlechtesten Sinne. Es liegt ja alles so nah beinander – Tod, Sex, Aufbruch, Abbruch, Scheißhaus, Waschbecken. Mir gings wirklich selten besser und selten schlechter und ich kann nicht ewig so leben – mein Rücken begs to differ – aber eine kleine Zeit lang will ich es, muss ich es. Weil Gespräche und einzelne Vokabeln, die lexikalischen Einheiten wieder so viel bedeuten. Es ist das Zeitalter der Semantik. Weil die Zeit auch wieder wichtig ist, weil mich interessiert, wie lang die Schatten werden und der Blick auf der Uhr wie der Blick aufs Meer ist. Es sieht unendlich aus, aber nur weil man nicht weit genug sieht.
Als ich damals an der Uni Dickens‘ „Große Erwartungen“ gelesen habe, wollte ich auch zumindest einen Umriss für meine kommende glanzvolle, von mir aus auch tragikomische, Vita erahnen können. Immer ich – und immer ich vorne dran in der Aufzählung des Casts meines eigenen Lebens. Selbstdarstellung bis es weh tut, bis verdammt-noch-mal Resultate kommen. Ich hab mir das einigermaßen abgewöhnt, dachte ich. Durch Familie und so. Die Wahrheit ist aber, dass ich selbst die Familie andauernd in einen Kontext bringe, der etwas über mich aussagt. Das gibt mir Power für mein Akku, das macht mich sogar zu einem guten Familienmensch, weil ich dann gerne Familienmensch bin, aber es macht mich auch blind und rücksichtslos für andere Menschen, die ihre eigenen „Großen Erwartungen“ haben.
Dickens, Kafka, Bernhard, Zweig, Updike, Chomsky, Bronte und Easton Ellis hab ich während meiner Zeit an der Uni gelesen. Alles Geschichtenerzähler großer Desillusionierung, right? Trotzdem will man nicht wahrhaben, dass man auf dem Holzweg zur Komplettierung gehörig entgleisen wird und wahrscheinlich sogar muss. Ich will nicht sagen, ich hab das jetzt hinter mir, denn es wird noch ganz oft was rasend daneben gehen, aber ich weiß jetzt ein bisschen, wie es sich anfühlt, zu verlieren. Genauso brutal wie ich dachte, aber – hey – es ruft Aufwachmechanismen ab, die man nicht für möglich gehalten hätte.
Ich kann Erdbeeren am Kanal essen und oder in der Kantine vom Krankenhaus sitzen, ich kann singen und gleich danach bluten und schwitzen wie ein Vieh. Ich kann wieder panisch beten und ich kann mehr denn je auf meine innere Ruhe vertrauen, ich kann alles und ich kann absolut überhaupt nichts. Ich kann Grandioses schreiben und im nächsten Moment alles mit Entsetzen tiefrotstiftig wegkorrigieren wie ein Deutschlehrer den Aufsatz eines nachhilfebedürftigen Schülers. Es ist wirklich alles drin und alles draußen. Es gibt für alles einen Zugang, doch an die wenigsten Dinge kommt man in einem Leben heran. Vielleicht übernehm ich mich, vielleicht überheb ich mich – so oder so: ich brauch Power für mein Akku.