And there’s a certain light in L.A.
(David Lynch)
Palm Springs dient als nervenberuhigendes Präludium für L.A. Ich sitze nachts am erleuchteten Motel Pool. Um mich herum, auf den Straßen in den Höfen und Gärten: Palmen und nochmals Palmen. Ein paar Felsen ragen im Hintergrund in die Szenerie hinein, doch nachts sieht man sie nicht. Alles um uns herum ist Wüste. Sternklarer Himmel, 27 Grad und zwei Sternschnuppen mit einem langen Feuerschweif und einem dramatischen Verglühen im kalifornischen Nachthimmel. Palm Springs. Mit Sicherheit einer der wärmsten, angenehmsten, großzügigsten und schönsten Orte in den USA. Fünfziger Jahre für immer. Eine einzige wundervolle Momentaufnahme.
Aber wie gesagt nur das Vorspiel zu L.A., dem amerikanischen Ruhrpott, wollte man eine ausschließlich straßenverkehrstechnische Parallele ziehen. Tatsächlich hat man das Gefühl, L.A. beginnt 100 Meilen bevor man seine Stadtgrenze passiert. Innerhalb derselben angekommen, bin ich erstmal einem Kanye-West-artigen Tobsuchtsanfall nahe, weil das Hotel, das ich gebucht habe, zusätzliche Parkgebühren von 24$ von uns haben will. Das ist übel, dafür, dass wir unmittelbar am internationalen Flughafen residieren. Dass die Parkplätze in West Hollywood nicht für Appel/Ei zu haben sind, ist mir eh klar, aber am Flughafen, ich bitte dich. Natürlich symptomatisch für L.A. Eine Stadt, die nur per Auto zu durchqueren ist, verdient eben an ihren Parkplätzen und mein Glaube an die Machbarkeit von unendlichen gratis Parkplätzen auf dieser immensen Stadtfläche erweist sich als sehr naiv. Tatsächlich ist es eine Ungeheuerlichkeit, dass bei teilweise 8-spurigen Freeways (in eine! Richtung) und Tonnen und Abertonnen von Autos die Car Pool-Spur meistens freie Fahrt gewährt. Und um die zu benutzen, muss man lediglich mehr als eine Person pro Auto sein. Die Quintessenz möge nun der Leser selbst ziehen.
Doch nicht alles am Verkehr dort ist beunruhigend. Es herrscht mitunter eine Rücksicht vor, von der man als gemeiner (und das meine ich wörtlich) Europäer nur träumen kann. Der US-Autofahrer ist zwar meist zu dumm zum Einfädeln, aber er gibt sich immerhin alle Mühe und nimmt jede erdenkliche Gelegenheit wahr, um es dir zu ermöglichen. Mal in der Spur geirrt und schnell nach rechts rüber? In L.A. kein Problem, in Berlin nur unter Drohungen machbar, in München lebensgefährlich und in Köln ist kein Platz dafür. Nicht zu vergessen, dass man auch bei roter Ampel rechts abbiegen darf, aber wenn ich jetzt von Berliner Ampelschaltungen anfange, sitzen wir bei der nächsten Emmy-Verleihung noch hier.
Eine Beschäftigung mit dem lokalen Verkehr ist leider auch bitternotwendig, will man nicht den ganzen Tag im Sheraton Gateway sitzen und den Fliegern beim Starten und Landen zusehen. Ein weiser Mann (vermutlich ich selbst) hat mal gesagt: „In L.A. braucht man mindestens 20 Minuten zum Ziel und maximal zwei Stunden.“ Die angesprochenen 20 Minuten brauchen wir schon mal bis zum ersten Stau wegen Unfall kurz vor’m Santa Monica Beach. Nach weiteren 20 Minuten sind wir dann da und schauen uns auf der Promenade um. Ein paar Skateboarder, ein paar Badetouristen aber überwiegend Normalos, Anwohner und Inner City Ausflügler auf einem Areal, das genauso nach Baywatch aussieht, wie man es befürchtet und er(hassel)hofft. Ein wenig später werden wir uns natürlich auch die Freakshow am Venice Beach gönnen, inklusive Bodybuilder in freier Natur und urbanem Herumgehopse einer öffentlichen Tanzveranstaltung am Strand.
Nach nur zwei Stunden L.A., müssen wir bereits ein wenig Abstand nehmen und unsere Stadtflucht improvisiert sich in einem Besuch des Getty Museums in den Santa Monica Hills. Der verrückte alte Ölmann mag kurz vor Ende seiner Lebzeiten noch eine Menge Leute vergrault haben, sein Rückzug hat sich aber architektonisch rentiert. Ein erstaunlich geschmackvolles und dennoch prunkvolles Reservoir für europäische Kunst vergangener Jahrhunderte steht da oben und wir oben drauf und blicken das erste Mal auf L.A. in seiner Gesamtheit. Man kann von hier aus kaum Downtown sehen, obwohl es nur ein paar Viertel entfernt liegt. Das liegt nicht ausschließlich an der Smogglocke, sondern einmal mehr an der grotesken Ausdehnung dieser Stadt. Hat mich bei meinem ersten New York-Besuch vor zehn Jahren noch die schiere Höhe verängstigt, so ist es hier die Breite.
Eine Zerfaserung von Stadtteilen kennen wir ja aus Berlin zur Genüge, aber wie diese Stadt zerfällt, um dennoch als homogenes Urbanereignis ohne Schuttgürtel zu bestehen, grenzt an ein Wunder. An ein Wunder grenzt auch, dass wir später inmitten des Trubel um den Walk of Fame am Hollywood Boulevard einen Parkplatz für umsonst finden. Nicht natürlich, ohne vorher ehrfürchtig den etwas verranzten Sunset Strip entlang vorbei am Rainbow und Whiskey A Go Go’s per Stop’n’Go zu kriechen und uns zu erinnern, dass mal so etwas wie eine musikalische Revolution von L.A. ausgegangen ist. Sleaze- und Glamrock, mit Guns N Roses als populärste Vertreter. Leider wurde die Revolution von ihren eigenen hirnamputierten Kindern nach wenigen Jahren aufgefressen. Und wer überlebte, hat entweder keinen Erfolg (Mötley Crüe), keinen Drive (Aerosmith), keine Freundin (Brett Michaels) oder überhaupt keine Band mehr (W. Axl Rose). Und eigentlich auch keine Daseinsberechtigung.
Aber zurück zum Hollywood Boulevard. Die wenigen erhaltenen Theater der goldenen Zeit sind trotz unabgeschlossener Renovierungsarbeiten noch ansehnlich und sehr atmosphärisch. Das Kodak und das Chinese Theater lassen tatsächlich den Glamour vergangener Dekaden und Dekadenzen aufblitzen. Ich filme mit Vergnügen einen Mann im Batman-Kostüm und freue mich über eine dramatische Geste samt Umhang, bis mir meine Frau erklärt, dass der Mann nur deshalb seine Maske mit dem Umhang verdeckt, um nicht gagenfrei gefilmt zu werden. Ich wähle alternativ einen Gene-Simmons-Wiedergänger (in voller Montur), der in einer Pause seine lange Zunge um einen Bagel mit Frischkäse wickelt.
Es ist schon Nacht geworden und ich halte es für eine gute Idee noch ein bisschen in den Hollywood Hills herumzukurven bis man eine gute Stelle mit Blick auf das Hollywood-Zeichen erwischt. Ich muss zwei Dinge feststellen. Man sieht das Scheißding eigentlich nur von sehr wenigen Stellen aus, selbst in den Hills steht nach jeder Kurve eine kleine Villa oder eine Felswand und versperrt die Sicht. Zudem ist das Scheißding nachts offenbar nicht beleuchtet, was ich gar nicht glauben kann, schließlich beleuchten sie bei uns zuhause in Bayern doch jede Kleinstdorf-Sakristei rund um die Uhr. Na gut, dann eben über die Hills und far away zum Mulholland Drive. Doch auch der ziert sich. Obwohl der Mulholland gesamt Beverly Hills und West Hollywood in luftiger Höhe umzirkelt, ist er nur von wenigen Querstraßen der „Innenstadt“ aus zufahrbar. Am Ende unserer Serpentinen-Odyssee durch die Hills stehen wir vor einer vergitterten Privatstraße, aber immerhin erhaschen wir zwischen den Villen einen Blick auf die Lichter der Großstadt, wie man so schön sagt und in unserem Fall auch ziemlich schön sieht. Ich muss an die Nachtaufnahmen aus Lynchs Mulholland Drive denken.
Den folgenden Tag verbringen wir erneut zu einem großen Teil im Auto. Wir fahren raus nach Malibu und plötzlich sind wir wieder auf dem Highway 1, wo unsere Rundfahrt vor 1,5 Wochen begonnen hat. Man muss nicht viel zu Malibu sagen. Die Strände sind traumhaft und in den Hügeln stehen die passenden Villen dazu. Ich kann es keinem Klinsmann, Bob Dylan oder Thomas Gottschalk verübeln, sich hier ein Domizil zu gönnen. Leider ist die Getty Villa schon geschlossen als wir ankommen, aber selbst vom Boden der Tatsachen sieht das cäsarische Anwesen surreal aus. Ein hervorragendes, wenn auch beiläufiges thailändisches Abendessen in Chinatown und ein paar sonntäglich gemächliche Schritte durch ein gespenstisch leeres Downtown samt seiner Wolkenkratzer beschließen den Tag. Den Abend werde ich hauptsächlich am Hotelpool und vor der Glotze zubringen. Los Angeles überfordert mich und meine kaputte Hüfte auf Dauer.
Am letzten aktiven Tag unserer USA-Reise halten wir uns überwiegend in den Universal Studios auf. Überteuert, ein wenig albern, aber nostalgisch genug, um sich zu amüsieren. Ein neuer „Thrill Ride“ kombiniert die Hydraulik eines Wagons mit einer komplett animierten 3D-Umgebung. Besagte Umgebung ist das Springfield der Simpsons und das Krustyland ist wohl die halsbrecherischste Gauklerei der Welt. Und das obgleich unsere Gondel keinen Millimeter an Strecke zurückgelegt hat. Irgendwann (spätestens nach der grotesken Waterworld-Show) ist dann aber auch wieder gut mit Jubeltrubel und an diesem späten Hollywood-Nachmittag entkommt mir der Mulholland Drive kein zweites Mal, nehme ich mir vor.
Wir spazieren noch ein bisschen am Melrose Place herum und fahren den Rodeo Drive entlang, weil meine Frau sagt, da kauft man ein, wenn man wirklich nichts mit H&M und Zarah anfangen kann, aber dann ist das Licht gut genug, um über den Coldwater Canyon Drive auf den Mulholland zu stoßen und sich die Definition eines „scenic drive“ in aller Gemütsruhe anzuschauen. Und das ist tatsächlich sein Benzingeld wert. Auf der einen Seite der schmalen, sich um die Hügel schmiegenden Straße blickt man ins San Fernando Valley in seiner konträren Friedlichkeit, auf der anderen liegt einem gesamt L.A. und vordergründig Hollywood zu Füßen. In der Ferne ist die ehemalige Immobilienwerbung, die wir als Hollywood-Sign kennen, angebracht. Ein Erdrutsch hat einst den Zusatz (Hollywood)Land abstürzen lassen. Weit weg sind die Kapitalen, scheinbar unerreichbar, sogar schwer in die Kamera zu bekommen und wie ich vorher schon angedeutet habe, keineswegs omnipräsent. Wir fahren in der Dämmerung zurück zum Flughafenhotel, aber das Licht dieses letzten Tages in L.A. wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Am nächsten Tag um vier Uhr früh beginnt eine Rückreise, die ich gerne vergessen möchte.