How long will you wait
At the shady end of the slope
Am I already late
With my pyramide sized hopes
(Kashmir – Still Boy)
Die Mädchen im Zug scherzen herum. Mädchenscherze, das kann man hören, auch wenn man kein Hebräisch kann. Süß sehen sie aus mit ihren Locken und der dicken Schminke, auf jeden Fall nicht erwachsen. Die Uniformen sitzen toll, das sieht ganz organisch aus. Selbst die polierten Griffe der Maschinengewehre in ihren Händen glänzen angenehm träge in der Mittagssonne. Überhaupt ist die Stimmung ganz gelassen in dem Zug. Die Mädchen scherzen herum und der Rest telefoniert.
In Tel Aviv sitzen wir an dem Frühstückskiosk und trinken frisch gepressten Orangensaft. Am Nebentisch zwei Models, eins einheimisch, das andere wo anders her. Die Frühjahrssonne lullt uns in den Vormittag hinein. Kein Mensch möchte bei so einem Wetter arbeiten oder Krieg führen. Ich würde rauchen, aber mein Magen ist ruiniert. Unten am Meer, in Jaffa, mit den Katzen und dem Auf und Ab der kleinen Treppen, hat man den weißen Blick auf Tel Aviv. Die Hochhäuser dort kennen eine Menge Tricks und Kniffe. An einem Sabbath liegen die Leute am Meer und ein paar betätigen sich als Surfer. Das Dolphinarium ruht brach und verfault über dem Wasser, seit sich 2001 jemand freiwillig mit vielen Unfreiwilligen in die Luft gesprengt hat. Eine 747 kommt übers Meer, über den Strand, in die Stadt.
Nachts ist alles so, wie man es kennt. Die scharfen Weiber sind in den Clubs mit der scheiß Musik und die gute Musik ist da, wo die Ökos und Emos sich die Zeit vertreiben. Bist du DJ aus Berlin, bist du wer, das kann man den Südländern einfach nicht austreiben. Und die ganzen Restaurants. In Tel Aviv machen sie was aus ihrem vielen Gemüse. Anders als in Jerusalem, wo sie eine Gurke und eine Tomate in kleine Teile schneiden und damit hat sich’s. Mein ruinierter Magen hat eh nichts davon. Kein Mensch kann vernünftig Auto fahren und der Asphalt ist noch warm vom Nachmittag.
Der Busbahnhof von Jerusalem ist waffenstarr. Ich muss hier weg. Die alte Jaffa-Straße in die Altstadt. Vorbei am Markt, der unzerstörbare Markt. Alles wirkt wie eine Echtzeitumsetzung vom ersten Assassin’s Creed. Wie modellgetreu die Stadt von Süleyman dem Ersten immer noch wirkt. Wir suchen uns aus, ob wir über die Dächer gehen oder unten durch. Ein Labyrinth, ein Spiel, genau wie die Windungen und Ecksäle der Grabeskirche, wo der Griechisch-Orthodoxe die Leute ins Grab Jesu hinein- und wieder hinausherrscht. Der Tempelberg, der Felsendom, das gelobte Plateau, und es kümmert sich niemand um den Olivengarten dahinter. Der an die Stadtmauer heranreicht. Die Stadtmauer über dem goldenen Tor, das zugemauert ist, nur für den Fall, dass der Messias doch noch. Müll und Katzen in dem Olivengarten. Im arabischen Teil ist es lauter, freundlicher, gelassener. Niemand nimmt Notiz oder Abstand von uns. Wenn man muss, kann man miteinander.
Mitten in Bethlehem. Mitten in der West Bank. Eine Kolonne Autos der Fatah. Niemand schießt mit dem Maschinengewehr in die Luft, aber es wird gleich dunkel. Ich habe die Mauer zuerst für einen Schallschutz gehalten. Zu grotesk erschien mir die schiere Gewalt der Trennung. In Berlin kennen wir keine Mauern mehr. Über diesen Satz habe ich nachgedacht, ihn trotz des übermächtigen Klischees hier hinein geschrieben. Wir nehmen die falschen Abzweigungen und sind die plötzlich die Einzigen. Jetzt erkennt man uns. Alle sehen uns zu, wie wir etwas suchen. Ein unangenehmes Gefühl ist das. Zuflucht vor diesem Gefühl haben wir in der Geburtskirche gefunden. Die Holzbalken hoch oben haben was Katholisches in mir aufgeweckt. Eine Ehrfurcht. Ich habe mich ohnehin schon gefürchtet. In der West Bank. An den Checkpoints. In dem Land.
Die Ruhe vom Toten Meer ist schwarz. Eine stille Masse Wasser, lautlos, farblos und dunkel. Ein paar Meter nur nach Jordanien. Ein paar Meter nur bis zum heiligen Gral aus Indiana Jones und der letzte Kreuzzug. Um das Tote Meer herum ein paar ausradierte Landschaften. Leere Häuser, Einschusslöcher, Bushaltestellen. Mitten in der Wüste, gleich neben Jericho so tief alles unter dem Meeresspiegel. Still ist es, selbst wenn jemand vorbei fährt. Eine Rauchsäule, man denkt gleich Uh. Aber dann nur Palmenblätterverbrennung. Es riecht nach Verbranntem, kilometerweit und schon wieder ein bisschen Ehrfurcht, aber diesmal nicht katholisch. Im Bus spricht uns ein palästinensisches Mädchen an. Es geht in die sechste Klasse in Jerusalem und lernt Deutsch. Sie will wissen, warum wir hier sind. Überhaupt wollen das immer alle genau wissen.
Um den Flughafen herum überall diese Orangenbäume. Im Flughafen drin eine Ruhe. In all dieser Ruhe gesamtbiografische Durchsuchung. Ich mach einen Spaß nach dem anderen, trotz Aviator-Sonnebrille und dunklem Haar, vielleicht gerade deshalb. Tief in die Augen wird einem geschaut und gestoppt wie lange es dauert, bis man auf seinen phonetisch verhunzten Vornamen anspringt. Man sollte nie zulange mit etwas warten hier, bei aller scheinbaren Ruhe. Zwei Hosen und einen Magen hab ich mir hier ruiniert. Aber es geht ja immer weiter.