Mit ihrem Milchkaffee und einer Packung Zigaretten steigt sie auf die oberste Plattform ihres Zuckerbaudachs. Sie ist in dieses Haus gezogen, um über der Stadt zu wohnen. Um über der Stadt spazieren zu gehen. Sollten die Leute ruhig auf der großen Allee wandern, sie schwebt über die Dächer und Fluchten. Hier oben erscheint ihr Traum von der Musikerkarriere umsetzbarer als unten. Und so schäbig die Pappdächer und alten Antennen an den Herbsttagen wirken, der ungebändigte Himmel im Oktover veredelt alles. Und wenn das Flachdach vom Abendlicht in Gold gegossen wird, erscheint ihr die Straße dort unten wie ein Fluss.
An einem anderen Tag kommt er auf das Dach. Zufällig und sensationslüstern. Achtlos gegenüber den Feinheiten ihrer Himmelskultur. Er spricht schön, doch damit kaschiert er nur seine nervöse Zielstrebigkeit. Er ist ohne Hoffnung, aber ohne dass sie ihm fehlen würde. Er ist im Stande, ihr Dach, ihr Dasein zu verwüsten, an einem einzigen Tag. Dann wird er wieder hinabsteigen, ohne sich zu erinnern, je hier oben gewesen zu sein. Sie fürchtet ihn, aber natürlich lässt sie sich gerne von ihm verfolgen, an diesem frühen Abend auf dem Dach. Fast beiläufig injiziert er ihr das Gift der Bodenständigkeit und nachdem er weg ist, kann sie keine Begeisterung mehr auf dem Zuckerdach empfinden. Lange Tage verbringt sie in ihrer Wohnung unter dem Dach, ohne wieder hinauf zu steigen. Irgendwann ruft er an, sie packt ein paar Sachen zusammen und geht die sechs Stockwerke hinunter, bevor sie auf die große Allee tritt.