Ich habe nichts zur Vorstellung von Pep Guardiola geschrieben, ich habe mich nicht zu den Testspielen, Gerüchten, Verletzungen und Scheinneuigkeiten aus dem Bayern-Camp geäußert, weil ich a) noch keine Lust hatte, mich mit dem neuen FC Bayern zu beschäftigen und stattdessen in wohligen Triple-Erinnerungen schwelgte und b) mir bisher nicht das geringste Bild vom Zustand der Mannschaft und ihrem Innenleben zusammenreimen konnte.
Das kann ich auch jetzt nur im grobkörnigsten Ansatz, aber genau wie man oft kurz vor dem Spiel in den Gesichtern der Spieler lesen kann, was gleich passiert, so kann man vielleicht anhand der Bilder, Interviews und der gerade abgeschlossenen Pressekonferenz vom Gardasee gewisse Stimmungen ableiten.
„Es braucht Zeit.“
Es ist schon bedenklich, wie oft dieser Satz in der letzten Woche fiel. Ich glaube, Guardiola hat ihn auf der Pressekonferenz alleine fünfmal geäußert, aber ich habe ihn auch von Lahm, Robben, Kroos, Kirchhoff, Müller, Ribery und seiner Großmutter gehört. Und natürlich braucht es Zeit, alles braucht Zeit, aber wofür denn eigentlich nun?
Das System
Was für ein System eigentlich? Sammer tut das alles als marginale Änderungen und Experimente ab und man könnte doch meinen, dass eine derart eingespielte Mannschaft sich nicht schwer tun kann, ein wenig anders zu stehen und ein bisschen offensiver zu spielen als unter ihrem Vorgängertrainer. Vielleicht liegt in der Eingespieltheit das Problem. Vielleicht hat Heynckes aus so manch fehlender Spielintelligenz eine Tugend gemacht und eiserne Regeln installiert, denen die Spieler bewusst wie unterbewusst immer noch folgen. Ich halte das für eine Möglichkeit, glaube aber nicht daran. Ich glaube vielmehr, dass der Brechstangenehrgeiz von Guardiola auf das bockige Selbstbewusstsein eines stolzen Triple-Gewinners trifft. Robben klingt zwar derzeit eher devot, vermutlich weil er ahnt, dass sein Stammplatz ungesicherter denn je ist, aber aus dem Hause Ribery kommen die ersten anarchischen Untertöne, wenn er von einem „komischen“ System spielt. Guardiolas Vision umfasst wohl mehr als nur kosmetische Änderungen, aber noch keineswegs einen gravierenden Umbruch – die Spieler sollen sich mal nicht so haben. Klar ist aber auch, dass um die Stammplätze gewissermaßen die Fäuste fliegen werden, neue Hierarchien müssen gefunden werden, die Triple-Harmonie dürfte erstmal dahin sein.
Thiago
Dass Pep Guardiola noch gerne einen Barcelonesen hätte, kann niemanden vom Hocker hauen. Dass er unumwunden und sogar passiv aggressiv auf der an sich meist eher schmusigen Garda-PK von seinem Wunschspieler spricht, ist ein Zeichen dafür, dass er so noch nicht zufrieden mit der Mannschaft ist. Wie es ihm das Gesicht verzieht, wenn vom Testspiel gegen Brescia die Rede ist, ist ein weiteres Indiz. Thiago ist der Jugendspieler, der Hoffnungsträger, den er so nicht in der zweiten Bayernreihe vorfindet, auch wenn er sich sehr lobend über Weihrauch und Højbjerg äußert. Aber über wen hat er sich die Tage nicht im Vorbeigehen mal schnell lobend geäußert. Die Personalie Thiago Alcantara deutet darauf hin, dass Pep auch nicht kurzfristig Heynckes Erbe verwalten will, dass er eine andere Mannschaft und eine andere Handschrift will. Er nimmt in Kauf, dass es Startschwierigkeiten in der Bundesliga geben könnte, er antizipiert sie geradezu, wie es im Moment scheint.
Fehlende Spieler
Die Spieler, die wegen verlängertem Urlaub oder Verletzungen nicht im Kader stehen, ärgern ihn. Guardiola hätte eigentlich jetzt schon gerne die umfassende Gewissheit, auf wen er sich verlassen kann. Er spielt das routiniert runter, aber es wurmt ihn, nicht mit Martinez, Gustavo und Dante trainieren zu können und noch mehr wurmen ihn die Verletzungen von Schweinsteiger und Götze. Letztere sind ein Politikum, hierarchisch, medienpolitisch und spielerisch. Ein Damoklesschwert im schlimmsten Fall, eine spielerische Erleuchtung im besten.
Lewandowski/Gomez
Bei all dem grotesken Hickhack um den Polen ist das vermutlich die Angelegenheit, die Guardiola am wenigsten juckt. Er hat Mandzukic, Pizarro, Müller und Götze, die alle in seinem Fußball als Spitzen und Torschützen fungieren können. Dass Gomez nach Florenz geht, ist ihm nicht nur wurscht, es kommt ihm grade recht. Wer Gomez in den letzten Monaten (und sogar beim Feiern auf dem Rathausbalkon) zugesehen hat, weiß, dass Gomez wusste, was unter Guardiola auf ihn zukommt. Dieser Trainer unterhält sich ja nicht erst seit Ende Juni mit dem Vorstand. Es zeigt auch, dass Guardiola nicht der bedingungslose Humanist ist, als den man ihn gerne beschreibt. Er hat wie jeder erfolgreiche Trainer Vorstellungen und Vorurteile.
Dortmund
Auch Dortmund dürfte Guardiola bisher noch relativ egal sein, die Sticheleien zwischen „Kalle“ und den selbsternannten Robin Hoods vom Borsigplatz – was wirklich das blödeste ist, was seit langem aus Klopps Mund kam – bekommt er wahrscheinlich noch nicht einmal vollständig mit. Wenn er aber gesehen hat, wie der BVB ohne großes Bohei, Systemdiskussionen und Integrationsarbeit mit den Neuen, Aubameyang, Sokratis und Mkhitaryan den FC Basel ausgehebelt hat, dann sollte er gewarnt sein. Denn was die Robin-Hood-Metapher wirklich bedeutet: Die Bayern gehen das Ganze noch ziemlich verkopft an und der BVB spielt wie immer drauf los.
Fazit
Die Harmonie und der Pepolismus sind vorerst einer angespannten und im Ansatz chaotischen Situation gewichen. Ein Chaos aus dem entweder erstmal ein Gewurschtel entsteht oder sich ein nagelneuer und so bisher in Bayern nicht bekannter Fußball erhebt.