Es gibt ein Licht

And if a double-decker bus
Crashes into us
To die by your side
Is such a heavenly way to die
And if a ten-ton truck
Kills the both of us
To die by your side
Well, the pleasure, the privilege is mine

(The Smiths – There Is A Light That Never Goes Out)

Damit hier nicht alles den Bach runtergeht und sich am Ende noch Amokläufer, Selbstmörder und Selbstmordattentäter auf die sinistren Auswürfe dieser Publikation berufen und mich verklagen, folgt hier ein Text über erfüllte Liebe, über die furchterregende Schönheit eines Gewitters und die architektonischen Schnapslaunen von Leo von Klenze und Ludwig I. von Bayern. Gestern habe ich nämlich ein altes Tagebuch durchgeblättert und ich fand diesen Eintrag:

Odins Zorn lässt Regensburg in einem Göttergewitter erzittern. T. ist weit weg in Florenz und der Himmel weint mit mir Tränen der Sehnucht.

Pfui, ein geradezu grauenvolles Zeugnis abstoßenden, studentischen Pathos. Und doch weckt es die Erinnerung an einen Abend vor vielen Jahren, den ich als nahezu mythisch im Gedächtnis behalten habe und der tatsächlich eine halbwegs arrivierte Liebe propagiert. Man höre und staune:

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(Illustration geklaut von der Website der Asociación Centro Arquitectura Metropolitana)

Es war ein seltsamer Abend. Du warst in Urlaub mit deiner damals besten Freundin, einem affektierten Etepetete Chefarzttöchterchen, einer ausgemacht blöden Kuh. Ich war strikt dagegen, dass du ohne mich in Urlaub fährst, aber was hätte ich tun sollen? Du hast doch sowieso immer deinen Kopf durchgesetzt. Und fast hätte ich dich verlassen, weil wir uns immerzu in den Haaren hatten und du so ein naives und trotziges Ding warst. Ich konnte mich gerade noch entschuldigen, bevor du abgereist bist. Es waren die zwei heissesten Wochen im Sommer und es war die Blütezeit meiner studentischen Clique. Wir absolvierten vormittags einen Übersetzungskurs mit Al Gores Buch zur Rettung der Welt, mittags tranken wir in der Mensa unser erstes Bier. Danach in der Cafeteria noch ein Hefeweizen hinterher und schlussendlich versammelten wir uns bei Flo in der Wohnung, sahen Star Trek: The Next Generation und nahmen Haschisch per Wasserpfeife ein. Abends gingen wir in den Biergarten, dann in die Kneipe und eigentlich blieb nicht viel Zeit, dich zu vermissen, obwohl ich dich so liebte und Angst hatte, dass wir uns über den dummen Urlaub aus den Augen verlieren könnten.

Einer aus unserer Studentenpunker-Clique besaß damals einen Bus und mit dem fuhren wir eines warmen Abends aus der Stadt auf die Walhalla. Außerhalb der Stadt, hoch oben über der Donau hatte Ludwig der Erste nämlich einen Parthenon hingestellt, mit einer korinthischen Säulenordnung wie man sie in ganz Griechenland nicht in dieser Manier findet. Ein Koloss von einem Bauwerk, hoch oben auf einem bewaldeten Hügel über der glitzernden Donau. Von dort aus konnte man die fast sprichwörtlichen Lichter der Stadt sehen und so bedrohlich alleine und abgeschieden man auch in Winternächten dort oben war, so übervölkert war das Plateau im Sommer. Scharen von nachtlebenden Freizeitschärlern machte es sich hier oben im Sommer bequem mit Bier, Bong und Bongos und auch an jenem Abend waren wir weiß-Odin nich die Einzigen, die sich der bayerisch-griechischen Variation der nordischen Mythologie mit einem Kasten Kneitinger näherten. So weit, so witzig. Doch während wir da saßen und darüber nachdachten, ob wir jetzt für den Rest unseres Lebens bei unseren Freundinnen bleiben würden und nebenbei Schulkinder unterrichteten, zog ein Unwetter im Süden auf, das nicht nicht nur sich sondern bald auch uns gewaschen hatte. Die Blitze sah man bereits viele Kilometer entfernt und das anrollende Grollen verhieß nichts Gutes ausser man tat es und verschwand schleunigst in eine Kneipe oder nach Hause.

Doch wir blieben sitzen und ließen die Gewitterfront auf uns zukommen. Wir fühlten uns besonders an jenem Abend. Ich musste an dich denken und wie du vermutlich grade mit der dummen Katharina über die Ponte Veccio spaziertest und dir die italienischen Jungs lautstark mit ihren Rollern nachstellten. Irgendwann wurde es stockdunkel und ein kühler Wind fing an, durch die korinthische Säulenordnung zu fegen. Es fing an zu regnen und wir packten unser restliches Bier zusammen, stiegen in den Bus und machten uns auf den Weg zurück in die Stadt. Plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Knall und mit einem Mal entfesselte das Gewitter eine Gewalt, wie wir sie nicht selbst Angesichts dieser gewaltigen Wolkenfront nicht für möglich gehalten hatten. Der Regen verwandelte sich in rauschende Fluten, die in wenigen Sekunden die Sicht auf die Straße unmöglich machten und wir im Schritttempo dahin kriechen mussten. Im Kassettenrekorder lief „William“ von Into Another und dieser andere Song über eine verendende Großstadt-Existenz, „Drowning“. Und die morbide aber wunderschöne Ballade „Two Snowflakes“. „William“ war ohnehin ein unangenehm geisterhafter Song und im Kontext dieses Jahrhundert-Gewitters ließ er uns das Blut oder vielmehr den Alkohol in den Adern gefrieren.

And I understand, truth lives in a house on the borderland. Love rules the nightland and ghost pirates wait at sea for me.

Mir schaudert heute noch, wenn ich den Song höre. Ich empfand diese Nacht als ungeheuer bedeutsam und ich tue es heute noch. Und du warst nicht da, um diese Ungeheuerlichkeit mit mir zu teilen.

Der Regen hörte auch nicht auf, als wir zurück in der Stadt waren. Es schien, als wolle er überhaupt nicht mehr aufhören. Ich musste mein Auto noch nach Hause bringen und als ich hoch fuhr, zum höchsten Punkt der Stadt, neben dem Fernsehturm, dort wo ich wohnte, sah ich zwei Mädchen in Badeanzügen auf der Straße stehen und winken. Sie waren sehr hübsch, so weit ich das im strömenden Regen beurteilen konnte. Sie wollten wohl mitfahren, doch ich war zu konsterniert, um zu halten. Zudem hatte ich nur noch wenige Meter bis zu meinem Haus und die Mädchen wollten sicher raus aus der Stadt. Immerhin war es nach Mitternacht. Zuhause lag ich wach und malte mir die verrücktesten Szenarien aus, was passiert wäre, wenn ich die beiden mitgenommen hätte. Vielleicht hätte ich mich in eine verliebt und wenn du aus dem Urlaub zurückgekommen wärst, hätte ich dir gesagt, dass es aus sei. Warum musstest du auch ohne mich in Urlaub fahren? Während ich auf meinen Schlaf zudämmerte und draussen der Regen gegen das Fenster prügelte, klingelte plötzlich das Telefon. Ich erschrak und riss den Hörer förmlich von der Gabel. Du warst dran und du wolltest mich sprechen, weil du an mich denken musstest und die Nacht so besonders sei. Es sei dir völlig klar, dass du zu mir gehörst und du vor Sehnsucht an mich schon Bauchschmerzen hast. Es sei das größte Gefühl deines Lebens, mit mir zusammen zu sein. Und wie du mich vermisst und dich auf deine Rückkehr freust. Ich war gerührt und während sich draussen das Gewitter langsam entfernte, aber der Regen noch bis zum Morgen blieb, während der Sommer sich weiter übergab, währenddessen schlief ich tief und fest und träumte von der einen großen Liebe.