Ein Sonnenstrahl markiert heute überdeutlich die Grenze zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Wir finden es kitschig, aber es kommt uns zu Gute, als wir die Brücke der Deutschen Einheit passieren. Denn schnell bauen sich die Landschaften auf, wie sie sollen. Grün und hügelig, satt und herbstlich, bewaldet und gut bestückt. Die relativ bergige Oberpfalz ebnet uns den Weg ins niederbayerische Flachland, hinein ins Land der Kreisverkehre und Umgehungsstraßen, der Neubaugebiete und Agrarflächen. Und überall baumeln die Seelen. Manche hat man aufgehängt, manche schaukeln sich in den Schlaf der Selbstgerechten. Hier ist nichts wie es nicht sein soll und seit Jahrzehnten dasselbe. Der Wildwuchs auf eigenem Grund und Bodens versöhnt mit der Armada von Kleingiebelhäusern der ewigen Dableiber und die Kunst zu beherbergen hat sich über Generationen in meiner Familie fortgepflanzt und wird auch durch Unkraut wie mich nicht entwurzelt. Die Sonne geht unter und ich könnte immer noch wie früher auf dem Spitzdach neben dem Kamin sitzen und rauchen, während sich die Straße weiter ins flache und vorhersehbare Land windet. An guten Tagen kann man den bayerischen Wald in der Ferne sehen, denke ich. Aber das ist nur ein Mythos meiner Kindheit. Ich bin gerne zuhause, aber ich war hier nie daheim.
Regensburg saniert uns am nächsten Morgen mit Sonnenschein und Straßencafés im Schatten der Domtürme, doch die Assimilierung der Altstadt mit dem rücksichtslosen und subkulturfeindlichen Wirtschaftswachstum bereitet mir Magenschmerzen, anders als damals, als ich mit meinen Jungs die Kellerkneipen der Stadt leergetrunken habe und die Magenschmerzen vom Alkohol kamen. An dieser Stadt habe ich mich sattgelebt und mich letztlich an ihr vergangen. Und meine eigene Freundin hat im Haus gegenüber gewohnt und ich habe mich davor gefürchtet, ich Versager. Doch mein guter Freund sagt „Du warst noch ein Kind.“ und das beruhigt mich. Mein guter Freund bekommte es ein wenig mit der Angst zu tun bei soviel kontrollierter Idylle. Gut, dass ich keine Zeit habe, ihn auf die Winzerer Höhen zu führen. Hoch über der Stadt, wo ich einst im Sommer hinunter schaute und dachte: „Da unten ist sie jetzt. Dort küsst sie andere Jungs, während ich hier oben sitze und auf die Stadt starre.“
Einen Regionalexpress später sind wir in München. Englischer Garten, Biergarten, Hofgarten und doch entarten wir die romantische Erwartungshaltung unseres Gastes, als wir an die Schädelhöhe – die Theatinerkirche – kommen und bei erstem Nachtfrost kurz nach Sonnenuntergang den Königsplatz überqueren. Hier ist nicht alles in Ordnung und deshalb macht es mir keine Angst. Die Stadt hat Löcher, man sieht sie nicht, aber man fühlt sie. Ich erschrecke noch bei gewissen Staturen und gewissen Frisuren. Mich ängstigt die Kälte und die Dunkelheit weil uns der drohende November bereits kühl den Nacken hinunter bläst. Ich erinnere mich an finstere Winter in München. Enger, kälter und unberechenbarer als im weiten, grau ruhenden Winter Berlins. Erst eine Woche später, als es längst keinen Besuch mehr gibt, dem ich etwas beweisen könnte, wie schön es hier ist, erst dann erwache ich unter dem Himmel über dem Stiglmeier Platz mit fürchterlichen Kopfschmerzen aber dem Gefühl, mich wieder ein wenig mit der Heimat angefreundet zu haben. Jetzt kann ich ihr endlich wieder beruhigt fernbleiben.