Kalifornia, have you gone wild?
I’m sifting through your dark miles
reaching out for you
in the headlight’s glare
but you’re way to devious
to be aware.
(Kashmir – Kalifornia)
Das war ein Vorweihnachtstag wie er im Buche stand und das schreibe ich jetzt speziell für dich, meine Liebe, denn egal was für beschissene Zeiten noch auf uns zukommen, diese eine Gute sollten wir festhalten und zwar schriftlich. Und weil du doch immer so fleißig nachgelesen hast, um dich zu vergewissern was für ein Unsympath ich bin, hast du dir jetzt endlich deinen eigenen Beitrag verdient.
Die Fahrt nach München dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Der Alfa Romeo von A. schaffte Spitzenzeiten auf seiner letzten Fahrt, bevor er Platz für den Grand Cherokee machen musste. Vielleicht dauerte es auch länger, weil ich ständig einschlief, aber Berlin war bald nichts mehr als eine finstere Erinnerung an lange, sinnlose U-Bahnfahrten und tausende von Zeitungsannoncen für Drei-Zimmer-Wohnungen. Mit dem neuen Morgen brachen auch wir nach München hinein und nach einer Tasse Pfefferminztee und ein paar Stücken aus der neuen Polt CD ging es hinaus auf die tollwütigen Einkaufsstraßen der Stadt, vom Stachus, die Kaufinger entlang bis hoch zum Isartor. Ich kaufte mir eine bunte Wollmütze bei H&M, wo ich mit Abstand der älteste Kunde war und ich bestaunte die Stadt, wie sie der Kälte und der unglaublichen Hektik mit vorweihnachtlich guter Laune trotzte, ja es ist wahr, sogar die Verkäufer lächelten einen an und die hatten eigentlich weiß Gott nichts zu lachen. Nach all den ereignisreichen Jahren hier in München war die Stadt zu einer Art seelischer Touristenattraktion für mich geworden. Ich schlenderte durch die Kulissen einer längst vergangenen Kinoproduktion und erinnerte mich, den Film irgendwann mal gesehen zu haben. Es war ein bisschen wie damals als Kind in den Bavaria-Filmstudios, als ich in den Kulissen von Petersens Boot stand. So hatte es sich schon heute morgen angefühlt, als wir durch das Schwabinger Häusermeer gefahren waren, auf dem letzten Ritt von A.s Alfa, an meiner alten Wohnung in der Wilhelmstraße vorbei, durch die Clemens- hinunter in die Belgradstraße, wo wir seiner Zeit gelaufen waren und uns gegenseitig die Luft abgeschnürt hatten. Wie die Kulissen eines Films, den ich mal gesehen hatte. Als hätte ich selbst gar nicht mitgespielt.
Entschuldigung, ich schweife ab und ich schweifte ab, denn ich hatte Zeit übrig und vergeudete sie in der wiedererrichteten Schrannenhalle und auf dem neubebauten St. Jakobs-Platz dahinter, wo jetzt ein jüdisches Museum steht, das ich so noch nicht gesehen hatte. Überhaupt sah alles anders aus am Oberanger. Der Platz vorm Filmmuseum war plötzlich leer, weitläufig und völlig vom Straßenverkehr isoliert. Es war hundskalt, aber die Sonne richtete ihre Suchscheinwerfer auf München an diesem 22. Dezember, es war die sonnige Variante von Advent, die ich in Berlin so vermisse. Man muss verstehen, dass mir nach zwei Monaten katalanischer Sonne die Raubeinigkeit des deutschen Wetters schon noch ziemlich zusetzte. Vermutlich würde ich aber in diesem Winter auch nicht mehr abhärten, denn ich sehnte schon jetzt den ersten Tag der großen Schneeschmelze herbei, auch wenn es noch nicht einmal geschneit hatte. Zumindest nicht vor meinen Augen.
Wo war ich? Ach so, am Oberanger. Zum Aufwärmen reichte leider auch nicht die katholische Adventssonne, da musste es schon ein Earl Grey mit frischer Zitrone sein und weil alle mir bekannten Münchner Cafés im Glockenbachviertel proppenvoll mit halberfrorenen Weihnachtseinkäufern waren, blieb mir nur noch das Baader Café. Kaum niedergelassen, verwickelte mich schon eine junge Frau, ihres Zeichens Studentin der Psychologie, in ein belangloses Gespräch über Zeitungen und die besten Orte, um sie zu lesen. Hut ab davor, dass sie mich mit einem Dreiviertelsatz wie „Hier ist es ja immer wieder schön so mit Zeitung und so..“ überhaupt angesprochen hatte, aber wir kamen nicht so richtig in die Gänge. Als sie das Thema Wohnen in Berlin lancierte, fiel ich ihr unangenehm auf, indem ich konstatierte, ich wohne lieber im Prenzlauer Berg mit all den Yuppie-Jungfamilien als in Friedrichshain mit den bierflaschenschmeissenden Hausbesetzern. Sie war ernüchtert. Sie wohne gerne in besetzten Häusern. Das käme ja immer auf die Leute an. Und wenn die Leute super sind, dann sind auch die besetzten Häuser super und das Wohnen darin. Gegen diese Logik kam ich nicht an. Und wo ich denn Weihnachten feiere? Aha, bei meiner Familie auf dem Land. Weil sie stellt sich immer wieder gerne in die Suppenküche an Weihnachten. Ich merkte, dass ich mich von nun an schon grob verstellen hätte müssen, um weiter zu punkten. Aber das hatte ich zum Glück nicht vor und zudem fragte ich mich, ob mein dandyhafter Chique in München wohl anders aufgefasst wurde als in Berlin. In Berlin hat mich zumindest noch keine Sozialaktivistin als ihresgleichen ausgemacht. Aber wurscht, weil dann kam ja sowieso dein Anruf und wir verabredeten uns am Hauptbahnhof.
Nun muss ich ja zugeben, dass Verabredungen an Bahnhöfen, von einschlägigen Verabredungen und Abschieden am Münchner Hauptbahnhof abgesehen, in mir schon immer eine melancholische Note hinterlassen haben. Und so wartete ich auch dieses Mal als Statue zwischen An- und Abreisenden und gleisendem Weihnachtsverkehr auf deine leicht verspätete Ankunft. Einmal ging, oder besser irrte ein Mädchen suchend an mir vorbei und es war so hübsch, dass ich ihm fast nachgelaufen wäre. Danach war ich verunsichert und fragte mich, ob du wohl auch so hübsch an mir vorbeiirren könntest. Die Sorge war vollkommen unbegründet, denn als du dann vor mir standst und mich anlächeltest, mit deinem dunkelblonden Bob und dem dezenten Lippenstift, wusste ich, dass ich ab jetzt freiwillig dir und niemand anderem nachlaufen würde. Bis über beide Ohren grinsen, das kannst du und ich frage mich manchmal, wieviel Zuversicht man haben muss, wenn man mich alten Grantler über längere Zeit so angrinsen kann. Ich mag Zuversicht. Und dann begann der eigentlich Weihnachtstag: Du schlepptest mich in den Supermarkt, wir kauften bayerisches Bier mit Weihnachtsettiketten für die Verwandtschaft in Boston. Wir gingen zum Haus Oberpollinger, wo du dir einen Irving kauftest und wir drängten uns durch die Stachuskatakomben zum Kaufhof, um blaukarierte Servietten zu kaufen, die man als Geschenkpapier verwenden konnte. Dafür standen wir über eine Viertelstunde an, aber nie wurde es langweilig, weil du jeglichen biografischen Verwicklungen, den Menschenmengen und dem kalten Wetter zum Trotz so unbeirrt und ehrlich weiterlächeln konntest. Fast hätte ich noch eingestimmt in das Jubellied der geselligen Mimik. Sogar zum Wollladen begleitete ich dich anschließend, wo du mit der Verkäuferin fachsimpeltest, während ich mir einen Katalog mit italenischen Wollmodels ansah. Dass du so geduldig und detailliert strickst, hat mich ja immer schon fasziniert, auch wenn ich keinen einschlägigen Charakterzug mit dem Hobby Stricken zu verstricken vermag. Aber die Hauptsache war ja sowieso, dass wir im Christkindlmarkt am Sendlingertor einen Glühwein tranken und dazu eine scharfe Kreiner in der Semmel einnahmen. Das war so fantastisch weihnachtlich für mich, dass meine aktuelle Bestnote in Sachen Weihnachtsmärkte der letzten 15 Jahren neu vergeben werden musste. Zu schlagen galt es immerhin einen Besuch auf dem Regensburger Christkindlmarkt, wo ich stolz zu meiner damaligen Freundin gesagt hatte: „Ich bin ein Tritt gegen das Schienbein der Gesellschaft und der Papst ist ein Arschloch.“ Oder war’s der in Schwabing, wo ich mit Matthias auf dem Weg in die Beatleskneipe fast erfroren wäre? Oder der mit Cristina Maria Sanchez Rodriguez auf dem Gendarmenmarkt, als wir anschließend auf dem Dach des Berliner Doms im Schneetreiben umher wanderten? Ich weiß es nicht, aber jetzt war die Meßlatte hoch gelegt.
Wir setzten uns in die Tram und fuhren nach Haidhausen, wo ich nach Monaten mal wieder dein Zimmer betrat und es war so, wie ich es in Erinnerung hatte, beherbergend und warm. Ich wollte nicht ungalant sein, aber die Kälte und die Übermüdung – immerhin war ich in Berlin um 4.30 Uhr aufgestanden – zwangen mich sofort auf dein einladend ausladendes Bett und nach anfänglicher Skepsis geselltest du dich dazu. Und der Münchner Tag machte der Münchner Nacht Platz, während wir spielten und lagen und schliefen. Wir hörten „Kalifornia“ von Kashmir und ich verliebte mich in das Lied, so wie ich mich in dich verliebte an diesem Tag. „Ich will nicht, dass du bei mir schläfst.“ sagtest du ich sah es ein. Schließlich musstest du mitten in der Nacht zum Flughafen, um nach Boston zu fliegen. Und du wusstest nicht einmal, ob die Maschinen aus London weiterflogen. Seit Tagen waren die Landebahnen vereist. Alles war so ungewiss, außer dass das Taxi um vier kam und dich abholte aus München, dich aus dem deutschen Advent hinüber in die amerikanische Seeidylle auf Cape Cod brachte, in das Haus, ans Feuer des Kamins mit einem Buch und einer Tasse Tee. Wie ich dich beneidete. „Mit dem Buch wirst du bei den Mädchen Eindruck schinden.“ meintest du, als du mir Salman Rushdies „The Ground Beneath Her Feet“ als Geschenk in die Hände drücktest. Und die „Twits“ von Roald Dahl bekam ich auch noch dazu und die bösartigen Scherze des hässlichsten Ehepaars der Literaturgeschichte inspirieren mich vielleicht zu Gemeinheiten, die ich meinen zukünftigen Arbeitskollegen in Berlin antun könnte. Und als müsste auch meine letzte Verteidigungslinie niedergerannt werden, zeigtest du mir deine MC 900 feet Jesus CDs, so dass ich alle drei Dartpfeile aus meiner Lieblingszielscheibe, deinem Musikgeschmack, ziehen musste. Und als ich deinen amerikanischen Pass da liegen sah, fand ich das dann auch noch ziemlich romantisch. Wie gerne würde ich meinen deutschen am Flughafen daneben legen und einen Fensterplatz reservieren. Für mich natürlich, ich sitze nicht gerne in der Mitte. Generell ist das eine Schande mit der Parteilichkeit. Wenn man einmal jemand mögen will, kommt einem aber auch jedes Detail recht.
Im Paros waren die Kellner schon stockbesoffen, als wir ankamen. Sie schmissen mit Servietten und Tellern, sie tanzten auf den Tischen und der griechische Diskopop war so laut, dass ich mein Huhn vom Grill nicht mehr schmecken konnte. Du warst so unglaublich aufmerksam, dass der Mist den ich erzählte sogar die Bouzoukibeats übertönte und ich mir wie ein Idiot vorkam, als er bei dir ankam. Du meintest: „Du merkst doch, wie ich gern ich dich habe, wie ich zu dir bin. Aber das mit dir hab ich zu den Akten gelegt.“ Und bevor ich protestieren konnte, kam mein alter Freund F. zur Tür herein und wir flüchteten ins Johanniscafé hinüber, bevor sie im Paros endgültig durchdrehten. Du musstest bald gehen, weil dein Flug nach Amerika ging und ich begleitete dich noch kurz in die Kälte und sagte: „Sei nicht so rigoros.“ „Dann bin ich’s halt nicht.“ antwortetest du und lächeltest immer noch, wie den ganzen Tag zuvor. Dann gingst du über den Platz und ich wusste gar nicht, wann ich dich wiedersehen würde. Noch im Taxi war mir schwindlig von deinem Geruch und deinem Lächeln. Ich fühlte mich so weihnachtlich wie schon lange nicht mehr und der Taxifahrer bestätigte mir, dass die Niederbayern die aufrichtigsten aller Bajuwaren seien. Die Nächte in Barcelona schienen einhundert Jahre her zu sein. Ich war tatsächlich wieder in Deutschland.