Die Lesereise II – Münster, Köln, Mainz

Du hast dir dein Leben ganz anders vorgestellt.
Viel zu viel Theater für viel zu wenig Geld
Du hast den Jesus-Blues, was zum Teufel ist da los?

(Berni Mayer, „Der Jesus-Blues“, unveröffentlicht)

21.02.2013 Münster, Fyal
So angenehm eine Zugfahrt sein kann (wenn man nicht gerade verkatert neben Rotkäppchen-Sekt-Trinkern sitzt), so toll sind Autofahrten mit Kumpels. Man entwickelt saisonale Hymnen, an die man sich auch nach Jahren noch erinnert. Letztes Jahr in Leipzig war es ein Sampler mit Hip-Hop-Musik aus GTA: San Andreas (Dre, Snoop, Cube, NWA etc), dieses Jahr war es unerwarteterweise „Whipping Post“ von der „Allman Brothers At Filmore East“, was schon aufgrund der Länge (23min) nicht unbedingt auf seine Hymnenhaftigkeit hindeutet. Honorable Mentions gehen an „Bad Girls“ von M.I.A., an Taylor Swift, Frank Ocean und Django Django.

Ich war noch nie in Münster und muss zugeben, dass ich fast ein wenig erschrocken ob der absoluten Aufgeräumtheit der Stadt bin. Grade wenn man aus Berlin anreist, hat man das Gefühl sich unberechtigt eingeschlichen zu haben in diesen unterkühlten Wohlstand, obwohl ich natürlich weiß, dass das nur ein Vorurteil sein kann. Die Lesung im Fyal ist weniger aufgeräumt, was zum einen daran liegt, dass im Keller hinter/unter mir ein Studententreffen stattfindet, dessen Wortlaut ich nur allzu genau während meiner Lesung wahrnehme, zum anderen habe ich zwischen der letzten Lesung und jetzt einen Stand-Up-Comedy-Auftritt absolviert, nach dem ich mich für so unglaublich komisch halte, dass mein Eingangsmonolog nur glorios scheitern kann. Allerdings sind die Leute auch danach weder besonders konzentriert noch interessiert. Nie wieder Gratislesungen, denke ich, bis zur nächsten Gratislesung. Es ist aber auch Positives an diesem Abend zu vermelden, denn ich trinke fast im Alleingang auf zwei Stunden eine halbe Flasche Jack Daniels aus.

22.02.2013 Köln, Lichtung
Dementsprechend todessehnsüchtig breche ich den nächsten Tag und den nächsten Teil unserer Dom-Tournee (Münster, Köln, Mainz) an. Zudem fällt uns ein, dass wir vergessen haben, uns in Köln um eine Unterkunft zu kümmern. Das herzhafte Pancake-Frühstück im Münsteraner Hotel wird somit durch ein paar hektische Telefonate meinerseits mit diversen Pensionen und Jugendherbergen getrübt, denn in Köln ist – wann eigentlich nicht – Messe. Irgendwie schaffen wir es doch, am Bahnhof in einem Hostel unterzukommen, in dem man zirka 27x in andere Gebäudeteile abbiegen muss, um in seine Schlafkammer zu kommen. Einen Großbrand möchte man hier nicht erleben. Die Lesung selbst ist dann super, weil ich geprügelt von Münster mit großer Demut und Sorgfalt (und ohne Stand-Up) lese und Musik mache, und sich so tatsächlich eine recht ausgelassene Stimmung entwickelt, vor allem beim Stück „Die Beichte“, aber da ist auf die Katholiken-Hochburgen eh immer Verlass. Ich glaube, in Köln fängt auch das Phänomen an, dass die Leute lachen, sobald ich einen Ford Focus erwähne. Zudem kommt hier eine Eigenkomposition namens „Jesus-Blues“ so gut an, dass ich auch weiterhin an ihr festhalte, obwohl man doch wissen sollte, dass der Frohsinn in Köln etwas großzügiger gestreut wird als beispielsweise in Erlangen. Während und nach der Lesung trinke ich weiter Whisky, obwohl mir meine Ärzte zu Wodka geraten haben, und stehe noch einige Stunden in der Winterjacke in einem Club herum. Der freundliche Linus Volkmann ist da, freundliche entfernte Kölner Verwandtschaft, irgendjemand kommt, irgendjemand geht und ich dämmere angenehm tumb vor mich hin. Es gäbe sicher einiges zu sehen im freitäglichen Kölner Nachtleben, aber ich musste mein gesamtes Pulver ja schon in Münster mit Jack Daniels verschießen. Am nächsten Tag hab ich eine aufgewärmte Erkältung, wenn es so etwas gibt.

23.02.2013 Mainz, Buchhandlung Bukafski
Nach einem French Toast im Halmakenreuther, wo Sky-Legende Ecki Heuser den Geburtstag seiner Tochter feiert, falls mich mein Katerauge nicht trügt, fahren wir durch eine wildestes Schneewehen weiter nach Mainz, wo uns der großartige Musikmacher und Gitarrenspieler Thomas Müller empfängt. In Vorbereitung auf die Lesung spielen wir zusammen „New Slang“ von den Shins und eine Maxiversion von „Nix mitnehma“, wie wir sie auf der tatsächlichen Lesung in der Euphorie nicht mehr hinbekommen werden (siehe Foto). Danach gehen wir in die Kneipe und sehen wie der FC Bayern zur Abwechslung mal wieder ein Spiel gewinnt. Die Lesung selbst ist eine runde Sache, vor allem, weil die Gitarrenduelle zwischen Thomas Müller und mir mich davon ablenken, dass ich mittlerweile eigentlich nicht mehr nur leicht erkältet bin. Nach der Lesung entwickelt sich ein ungezwungenes Herumgehänge, was irgendwann in einem Club, dessen Namen ich vergessen habe, mündet. Das Besondere ist aber auch nicht der Name, sondern die Stereoanlage, in die – egal was man ihr füttert, alt oder neu – am Ende ein 60er-Jahre-Garagensound herauskommt. Wie schon in Köln bin ich geistig nur noch halbanwesend, bekomme aber immerhin mit, dass mein Kumpel J. sich wünscht, eine Woche lang der sehr passioniert und gleichzeitig völlig indifferent gegenüber dem echten Leben wirkende Garagen-DJ dort oben in der Kanzel zu sein. Nachdem wir uns vom guten Thomas Müller und vom guten Matthias vom Bukafski verabschiedet haben, legen wir uns in der WG in ein Erkerzimmer. Plötzlich kommt die freundliche Mitbewohnerin ins Zimmer hineingeschossen und warnt uns intensiv vor dem Erfrierungstod, weil es in dem Zimmer keinen Heizkörper gibt. So schlimm wird’s schon nicht werden, denke ich, bis ich nachts davon aufwache, dass mein Haar Frost ansetzt. In zwei Hosen, drei Pullovern und zwei Schlafsäcken überleben wir die Nacht dann aber knapp und fahren am nächsten Tag zurück nach Berlin, sechs Stunden durch die größte Schneematschscheiße, die ich in meinem ganzen Leben je auf einer Autobahn gesehen habe.

Die Lesereise II – Köln, Düsseldorf

Nobody knows what’s gonna happen at the end of the line,
so you might as well enjoy the trip.

(Manny Calavera in „Grim Fandango“ von Lucasarts)

14.12.2012 Köln, 1LIVE Klubbing

Es ist ja jedes Mal ein Kulturreisen der beinahe höfischen Art wenn man vom WDR bzw. 1LIVE eingeladen wird. Man wird geflogen, chauffiert, untergebracht und am Ende sogar noch bezahlt. Für einen reisenden Lesenden ist das wie ein eigener Nightliner. Am Ende verfällt man beinahe noch in den Irrglauben, man wäre schon eine Persönlichkeit. Dementsprechend irrgläubig gut gelaunt komme ich an einem Freitagabend an, aus dem eisigen Berliner Dezember hinein in das zehn Grad wärmere Köln. Das schöne an jedem Kölnbesuch ist, dass ich danach immer bis ins Detail über den Effzeh Bescheid weiß und das verdanke ich den Taxifahrern. Kurioserweise läuft genau wie beim letzten Mal als ich bei 1LIVE war gerade ein Bayernspiel im Fernsehen und analog zum letzten Besuch schaue ich mir auch dieses Mal die zweite Halbzeit im Sender an, wo man Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um mir in die Redaktionsräume einen Sky-Sport-Empfang zu legen.

Pünktlich nach Abpfiff (ich glaube aber, das man jetzt nicht extra gewartet hat, bis ich mit Fernsehschauen fertig war) bin ich dran und betrete minutiös geplant unter donnerndem Applaus (man darf träumen) die Lesebühne, wo mich Mike Litt gerade wärmstens angesagt hat. Und dann gehe ich wieder. Weil ich nämlich meine Brille vergessen habe und ohne das Buch einen halben Kilometer weit weg halten müsste, um aus Buchstaben einen Sinn zu bilden. Zwanzig Sekunden später bin ich dann allerdings wieder da und bekomme so als erster Klubbing-Künstler einen doppelten Antrittsapplaus.

Nach der Lesung ist mir noch ein wenig nach Vollabschuss und ich nutze eiskalt ein paar junge Leute aus, die den Fehler gemacht haben, mir nach dem Auftritt eine Frage zu stellen. „Was macht ihr denn jetzt noch so?“, frage ich zurück und schon haben sie mich und meine Whisky-Wut am Hals. Erster Stop: Privatwohnung mit Glühwein und original Salzwedeler Baumkuchen, wenn ich das noch richtig im Kopf habe. Baumkuchen, der Exzess kennt keine Grenzen! Danach entspinnt sich ein angenehmer Irrlauf in der lauwarmen Kölner Dezembernacht zwischen Büdchen und Bars, der auf meinen Vorschlag hin im Underground endet, weil ich Pennywise mit „Fuck Authority“ hören möchte. Stattdessen tanzen wir zu Reggae, was spaßiger ist, als es sich anhört. Das alles endet dann so spät, dass ich eigentlich umgehend zum Frühstück gehe. Als ich mich auf den Weg zum Hauptbahnhof mache, ist es bereits T-Shirtwarm.

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(Foto aus der Kassette von Martin Svitek, danke)

15.12.2012 Düsseldorf, Kassette
Komischerweise ist es in Düsseldorf aber immer noch kalt und es ist ein unwahrscheinlicher Glücksfall, dass mich Veteranenbloggerin und Veteranenbloggerpflegerin Lu ein paar Stunden bei sich aufnimmt und mich mit Tee, Kaffee und scharfem Essen wiederbelebt und anschließend in die Düsseldorfer Altstadt bringt wie einen ABC-Schützen. Bis es allerdings so weit ist, sitze ich drei Stunden lang leblos auf einem Stuhl und warte, dass dieser wahnwitzige Kater weggeht. Und damit meine ich nicht die Katzen von Lu. In der Kassette ist es recht gemütlich, was meinem Erschöpfungszustand entgegen kommt. Ich spiele auf der verstimmtesten Gitarre der Welt „Outdoor Type“ und tatsächlich war ich selten weniger Outdoor-Type wie an dem Abend. Ich gebe ja zu, dass jetzt nicht ganz Düsseldorf auf meiner Lesung ist, aber im Verhältnis zur Zuschauerzahl werde ich nie wieder so viel Bücher an einem Abend verkaufen wie in der Kassette. Nach der Lesung erfahre ich, was eine Trichterbrust ist, tausche mit den Besitzern Lieblingssketche von Badesalz aus und rauche in der Gästewohnung eine Kräuterzigarette, die mich so irrsinnig werden lässt, dass ich anfange, Logik- und Anschlussfehler in einem Brosnan-Bond zu beklagen. Es ist Zeit fürs Bett.

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Die Lesereise II – Berlin

Nobody knows what’s gonna happen at the end of the line,
so you might as well enjoy the trip.

(Manny Calavera, in memoriam Lucas Arts)

03.12.2012 Berlin, Heimathafen, Buchpremiere

Der offizielle „Tourstart“ nach dem kuriosen „Warm-Up“ in Moabit soll im wunderschönen Heimathafen in Neukölln stattfinden. Ich kann jetzt schon vorausschicken, dass mich an dem Abend am meisten beeindruckt hat, dass meine Nachbarn zu Fuß zur Lesung gekommen sind. Ich wohne in der Nähe vom Nordbahnhof, falls mal jemand die Entfernung zum Heimathafen googeln will. Ich selbst bin allerdings auch vom Cottbusser Tor bis rüber zum Heimathafen gelaufen, weil ein ominöser polizeilicher Großeinsatz an der Schönleinstraße (mit Rauch aus dem U-Bahn-Abstieg) die städtische Infrastruktur komplett lahmgelegt hatte. Bis heute weiß ich nicht, was da los war, auf jeden Fall ist in der Folge jeder Taxi gefahren, deshalb war keins mehr für mich übrig. Die eigentliche Lesung verfügt über gleich drei „Stargäste“. Das ist zum einen mein Sidekick und Medienbranchen-Mentor Markus Kavka, dann der Kabarettist, Schauspieler und Schlegelstraßenkumpel Rüdiger Rudolph und der Black-Metal-Sänger Janni Ratten von Occvlta, für alle die sich kein v für ein u vormachen lassen.

Die bei dem Sujet etwas gewagte Mischung aus Comedy und Fachliteratur in bürgerlichem Theaterambiente und bei Kerzenlicht geht auch dank Jannis „Rocktasche“ (erinnert sich jemand noch an das B3-Format?) gut, aus der er Genreperlen wie Darkthrone und Mayhem holt, sie nicht nur auflegt, sondern sie auch unter den interessierten Laien im Publikum zirkulieren lässt, immer mit dem Hinweis, dass man gefälligst drauf aufpassen soll. Ja, so sind Vinylleute, sonst gäb’s ja auch gar keins mehr. Ich verkneife es mir aus Angst vor Unvintagehaftigkeit zu sagen, dass ich dieselben Platten alle auf CD oder Mp3 habe.

Rüdiger Rudolph, der charmante Mensch, erzählt von der unfreiwillig konfessionellen Frühbildung seiner Tochter und den Bibelanfeuerungsrufen („Mehr Bibel, mehr Bibel“) des kleinen Sohns eines Schlegelstraßenkumpels (aha) und leitet damit sehr gut zum Themenkomplex Katholizismus über, der mit dem Lesestück „Die Beichte“ ab jetzt den traditionellen zweiten Teil meiner Leseroutine darstellen soll.

Markus Kavka erzählt, wie er als Ministrant Schnaps in den Messwein gemischt hat und mit Dimmu Borgir auf einem Fjord herumgerudert ist. Kurz vorher hatten wir uns noch bei der Aufzeichnung für FLUX.FM eine erbitterte musikalische Endzeitschlacht von Moll- gegen Testosteron geliefert. Raten Sie mal, wer für welche Tonalität stand. Die Lesung geht zu Ende, wie jede Lesung mit Markus Kavka zu Ende geht – mit einem Lied, bei dem er eigentlich nicht mitsingen will. Neben dem sich zum Tourstandard entwickelnden „Nix mitnehma“ (Dylan/Ringsgwandl/Mayer) spiele ich hier einmalig „Strada Del Sole“ von Rainhard Fendrich, noch nicht ahnend, dass sich ab dieser Woche die „Sole“ für die nächsten fünf Monate aus Berlin verabschieden würde. Danach finde ich mich einigermaßen mit Jameson abgefüllt im Fluxbau wieder, während es draußen angefangen hat zu schneien. Jetzt beginnt die eigentliche, die Winterreise.

Zum Abschluss noch eins der Videos die ich an dem Tag zur Veranschaulichung von Black Metal gezeigt hatte.

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Die Lesereise II – Moabit

To travel hopefully
is a better thing than to arrive.

(Robert Louis Stevenson)

Vorwort

Der Begriff „Lesereise“ mag nach wie vor irreführend sein, da er in der Vorstellung mancher einen ununterbrochenen Aufenthalt weg vom Zuhause impliziert. Da ich jedoch ein sehr heimatverbundener (und Heimat ist da, wo ich meine Chicago-Cubs-Mütze hinlege) Geselle bin und es sowieso unmöglich ist, eine zusammenhängende „Lesereise“ zu buchen, betitelt der Begriff eben nur eine durch die Veröffentlichung meines zweiten Buchs verbundene Serie an Terminen, die eigentlich mit der Buchpräsentation im Dezember beginnen müsste, aber dann doch schon im Oktober in Berlin, Moabit beginnt, nicht nur, weil ich dort das erste Mal ausgiebig aus dem neuen Buch vorgelesen habe, sondern auch, weil Ihnen als Leser sonst eine gute Pointe durch die Lappen gehen würde. Hier ist Teil eins der zweiten Lesereise. Teil eins steht hier.

25.10.2012 Berlin, Dorotheenstädtische Buchhandlung

August 2012. Der Inhaber der Dorotheenstädtischen Buchhandlung, Klaus-Peter Rimpel, hatte mich bereits vor etlicher Zeit am Telefon davor gewarnt, ihm wichtige Informationen per Email zukommen zu lassen. Weil ich in meinen postmodern versauten Sturschädel aber nicht hineinbekommen will, dass jemand nicht 834 Mal am Tag so wie ich in seinen Mail-Account schaut, geschweige denn vielleicht gar keinen hat, oder nur einen den nur der computeraffine Neffe jedes halbe Jahr stellvertretend kontrolliert, habe ich die PR-mäßige und terminliche Koordination ganz meinen digitalen Instrumentarien überlassen und für den 25. Oktober einen Lesetermin in dieser schmucken Buchhandlung in Moabit vereinbart.

25. September 2012: Ich liege in einer ungewaschenen Adidas-Hose und einem Bayern-München-Trikot auf der Couch meines Wohnzimmers, ein ganz knapp abgelaufenes Heineken in der Hand, und schaue in Halbdösigkeit die Vorberichterstattung zu Bayern gegen Wolfsburg, als um 20:15 das Telefon klingelt.
„Herr Mayer, wir sind jetzt verabredet“, sagt eine tiefe Stimme.
„Wer ist da?“, frage ich.
„Buchhandlung Rimpel, Moabit“, sagt die Stimme. „Hier sind 25 Leute, die auf sie warten.“
„Das kann nicht sein, ich komme erst einen Monat später“, sage ich, bin aber schon innerlich schweißüberströmt und rase auf meinem Rechner durch alle E-Mails mit dem Stichwort „Moabit, Lesung“.
Ich habe keine einzige Stelle aus irgendeinem Buch vorbereitet und biete Herrn Rimpel aber dennoch an, mich in Jogginghose und Bayerntrikot ins Taxi zu setzen. Herr Rimpel sagt, das müsse nicht sein, er könne den Leuten die Terminverschiebung mitteilen, nur die PR könne er für den neuen Termin nicht wiederholen, er habe ja schließlich brieflich schon vor über einem Monat alle relevanten Zeitungen informiert.
„Ja Scheiße“, sage ich. „Das ist mir unangenehm, und es tut mir leid, aber es ist auch nicht meine Schuld, Sie haben den Termin falsch notiert“, sage ich und hätte mir dann natürlich auch gleich die Entschuldigung sparen können, wenn ich den Satz so patzig weiterspreche. Im Nachhinein denke ich mir, ich hätte mich einfach im Trikot ins Taxi setzen sollen, scheißegal, wer jetzt den Termin verbaselt hat – ich wars übrigens nicht.

25. Oktober 2012: Im Einverständnis mit Herrn Rimpel komme ich dann genau einen Monat später wieder nach Moabit, ziemlich vollgefressen und Ouzo-druckbetankt von einem erdigen und sehr freundlichen Griechen in der Wilhlemshavener Straße zurück und treffe auf sieben Leute, die von den angeblichen 25 aus dem falschen Termin vom Vormonat noch übrigen geblieben sind. Gut, dass ich noch ein bisschen der Verwandtschaft Bescheid gesagt habe. Am Ende wird noch eine sehr schöne Lesung mit äußerst aufmerksamem Moabiter Literaturpublikum daraus, wie ich es in der Freundlichkeit selten erlebt habe. Nach der Lesung nimmt mich Herr Rimpel beiseite und sagt zu mir:
„Ich war zunächst skeptisch, was Sie betrifft, Herr Mayer, aber jetzt bin ich mir sicher, dass aus Ihnen noch einmal etwas wird. Sie dürfen also gerne wiederkommen.“
Sprachs und überreichte mir einen Umschlag, den ich erst Stunden später kurz vor der Bravo-Bar öffnete und völlig perplex dazu über ging, meinem Kumpel R. Hendricks & Tonic auszugeben. Danke für alles, Herr Rimpel. Ganz ehrlich.

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Leipzig, Seeblick

Mir fällt überhaupt nicht ein, wie spät es ist. Ernsthaft, ich starre auf meine Uhr, aber ich kann die Uhrzeit nicht erkennen, weil sie irrelevant geworden ist. Neben mir fragt ein großgewachsener Mann ohne Haare, ob ich wegen dem Gorbatschow in der Stadt bin. Ich starre nur auf meine Uhr und sage „Ja, ich glaube schon.“, obwohl das gar nicht stimmt.

Bis vor Kurzem habe ich noch auf eine SMS wegen einer Nachmittagsverabredung gewartet, aber jetzt, da die Zeit irrelevant geworden ist, weiß ich sowieso nicht mehr wann der Nachmittag kommt und wann er wieder geht. Kann sein, dass eine SMS kommt, kann sein, dass sie nie kommt, ich weiß nicht mehr, wo ich das Telefon hingelegt habe, und es ist mir auch wurscht. Ich schaue jetzt nicht mehr auf die Uhr, sondern aus dem Fenster, hinaus in den grellen Polartag, wo sich ohne Unrast aber im sanften Takt der optimistischen Resignation die Menschheit mal hierhin bewegt, mal dorthin. Der großgewachsene Mann ohne Haare neben mir reicht mir einen Osterhasenlutscher aus weißer Schokolade und ich sage Danke, ohne das alles groß zu hinterfragen. Er sagt, sein Sohn heißt Paolo.

Dann kommt mein Fruchtsalat und zwei Studenten, sie sich neben mich setzen, ein Junge mit modernen Schuhen und ein verschlafen wirkendes braunhaariges Mädchen, das reizend unauffällig angezogen ist. Mit großer Anmut unterdrücken die beiden nicht nur ihren Dialekt, sondern auch alle dringlichen Fragen, die das Leben ab Mitte zwanzig parat hält und reden über Heavy-Metal-Kneipen, in die sie versehentlich geraten sind, und über Satanisten, aber vielleicht ist das ja auch eine dieser dringlichen Fragen. Mein Fruchtsalat ruht auf einem Bett aus Vanillejoghurt und wenn ich jetzt jemand Kokain darüber streut, wäre meine Erkältung sicher nur halb so schlimm. Der Mann neben mir steht auf, wünscht mir noch viel Spaß beim Gorbatschow und legt zum Abschied seine Hand auf meine Schulter.

Ein paar Stunden später senke ich mich in einem ehemaligen Schleckermarkt so tief in eine Couch hinein, dass sie nicht nur mich samt meiner riesigen Winterjacke, sondern auch den letzten Rest des Tages verschlingt. Ich schaue auf die Uhr, aber es ist zu dunkel in dem Raum und die Zeit immer noch irrelevant. Jemand raucht und jemand liest, jemand raucht und jemand liest, jemand raucht und jemand liest. Es geht um Table Dance, es geht um die vergehende Zeit, hauptsächlich geht es um die vergehende Zeit. Jemand raucht und jemand liest. Als ich wieder raus in die Antarktis will, ist der ehemalige Schlecker abgeschlossen und niemand findet den Schlüssel. Sind eure Scheiben so gelb oder wird es schon dunkel, frage ich, aber bekomme keine Antwort, weil die Farbe der Scheiben irrelevant ist.

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Kurzkritiken zu Flight, Zero Dark Thirty, Argo, The Awakening

FLIGHT
Leaving Las Vegas auf dem Luftweg. Penetrant rührseliges Säuferdrama, das Denzel Washington zum Glück ziemlich trocken runterspielt.

ZERO DARK THIRTY
Ekliger Film, der zeigt, dass Folter was für coole Typen ist und zudem Resultate bringt, wenn man dazwischen mal eine Kippe springen lässt. Bigelows schlechtester Film und das nicht nur, weil er faschistoid ist.

ARGO
Ein wesentlich besserer Propagandafilm als Zero Dark Thirty, der originalgetreue Ausstattung der späten 70er/ frühen 80er zur Kunstform erhebt. Nicht besonders spannend, aber bei aller (gewollten) politischen Brisanz tatsächlich ein Augenschmaus. Haha, Augenschmaus, schönes Wort.

THE AWAKENING
Gothic, Kitschig, sentimental, absaufend, zwanghaft plottwistig. Kann auch der schöne McNulty nicht aus der Finsternis der Vorhersehbarkeit reissen. Die Kulissen sind zugegebenermaßen schaurig schön.

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Kurzkritiken zu Lincoln, Frankenweenie, End Of Watch, Searching For Sugar Man, V/H/S, Paranorman, The Expendables 2

LINCOLN
Wir müssen zusammenhalten, sagt dieser Film (und ich ja auch immer) mit vielen _tatkräftigen_ Gesprächen von großartigen Schauspielern über Freiheit und die Gemeinheiten, die man anstellt, um sie zu bewerkstelligen. Dass man sich erst die Hände schmutzig machen muss, um etwas zu bereinigen, ist eine gleichermaßen destruktive wie konstruktive Wahrheit. Aber wenn ich eins an der kulturellen Grundidee Amerikas schätze, dann ist das ihre ansteckende Naivität. Spielbergs Bester seit „Schindlers Liste“.

FRANKENWEENIE
Liebschwarz und putzgruslig, aber dann letztlich auch nur eine etwas überdehnte Version des bereits existierenden Kurzfilms. Ein Kuschelburton, dem man das Disney-Franchise anmerkt, bei aller Liebe zur Hommage.

END OF WATCH
Nicht an der Handkamera-Logik rummosern, das ist nur ein Stilmittel. Ansonsten schöner, nicht allzu tiefschürfender Copfilm mit glaubwürdiger Freundschaft zwischen Peñas und Gyllenhalls Figuren, deren Namen ich leider vergessen habe.

SEARCHING FOR SUGAR MAN
Das wäre mal ein Fall für Singer und Mandel gewesen. Ein verschollener Fast-Bob-Dylan wird über die Jahrzehnte zum Star in Südafrika und niemand merkt es. Die Antworten sind nicht so spektakulär wie die Fragen, die der Film zu Beginn stellt, der Ton verändert sich von Mystery zu Meldodram, aber das geht ziemlich sanft. Mein Hirn war nach dem Film noch Tage förmlich festgekettet an die hypnoseartigen Landschaftsaufnahmen und die Musik von Rodriguez, von dem auch ich nie zuvor gehört hatte, auch wenn ich finde, dass man seine Platten mit zuviel Studiobrimborium überfrachtet hat.

V/H/S
Bis auf die erste Episode der reinste Discounter-Horror und schlimme Found-Footage-Resterampe. Die Rahmenhandlung hat weder das Präfix „Rahmen“, noch das Suffix „Handlung“ verdient. Es ist leider schon ein zweiter Teil fertig, das Handkamera-Genre wackelt also noch nicht.

PARANORMAN
Zombie-Animationsfilm von den Coraline-Machern. Leider ohne den morbiden Wanderzirkus-Humor, der Coraline ausgemacht hat. Für Kinder vielleicht zu gruselig und für Grusler vielleicht zu kindisch.

THE EXPENDABLES 2
Es fällt mir schwer, einen ganzen Satz dafür zu formulieren, was für ein kindisch selbstreferentieller Blödsinn das ist. Eine Gesichtlähmung von einem Actionfilm.

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Kurzkritik zu Silver Linings Playbook

Eigentlich mag ich keine Komödien über psychisch Kranke, die dann zum Zwecke eines Happy Ends plötzlich völlig gesund werden, aber das war auch keine Komödie. Die erste Hälfte des Films über liegt eine dermaßene Bedrückung vor, dass man überhaupt nicht lachen möchte. Als dann ein wenig die Handlung vorangetrieben wird, und es verdächtig hollywoodös anfängt zu menscheln, erhebt sich das großartige Ensemble (allen voran Robert De Niro, und nicht zu verachten der großartige Boardwalk-Empire-Protagonist Shea Whigham) über das Skript und erarbeitet sich mit viel Herzblut die Kernaussage des Films: Habt euch lieb, egal wie scheiße es euch geht. Gelacht hat man da immer noch nicht. Aber geweint.

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Kurzkritik zu The Hobbit (48fps, 3D)

Die 48fps haben mich so irre gemacht, dass ich eigentlich nichts Inhaltliches über den Film sagen kann, außer dass ich die unheilschwangere Einbettung in den LOTR-Mythos und die ausführliche Exposition gut fand. Aber es war wie drei quälend lange Stunden (könnten auch drei Tage gewesen sein) Lindenstraße mit Orcs und Zwergen, produziert von Benny Hill (siehe hektische Bewegungen wegen der hohen Framerate). Und wenn jetzt einer kommt und sagt, da muss sich die Sehgewohnheit erst auf die neue Framerate einstellen, dann ist das genauso kein Argument, wie wenn einer sagt, dass ich mich erst an den Geschmack von frischem Koriander gewöhnen muss, weil ab jetzt in jedem Essen frischer Koriander drin ist. Aber das ändert ja nix, dass mir von frischem Koriander schlecht wird. Also wenn jemand noch reingeht, dann meide er das HFR 3D, wie es in der Fachsprache heißt.

PS: Die chronisch dramatische Musik ist eine weitere Gemeinsamkeit mit der Lindenstraße.

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2012

Platten:
Baroness – Yellow & Green
Hot Water Music – Exister
Marsimoto – Grüner Samt
Grimes – Visions
Japandroids – Celebration Rock
The Jealous Sound – A Gentle Reminder
Azealia Banks – 1991 EP
Kreator – Phantom Antichrist
The Shins – Ports Of Morrow
Krallice – Diotima (2011)
Dirty Projectors – Swing Lo Magellan
Paul Simon – Graceland (Re-Release)
Sinkane – Mars

Songs:
Carly Rae Jepsen – Call Me Maybe
Baroness – Little Things
Hot Water Music – Mainline
Solange – Losing You
The Jealous Sound – This Is Where It Starts
Eels – Peach Blossom
Action Bronson – The Come Up
Graveyard – The Suits, The Law, The Uniform
Baroness – Stretchmaker
Japandroids – Fire’s Highway
Torche – Kickin
Grimes – Oblivion
Matt Skiba & The Sekrets – Voices
Dirty Projectors – Swing Lo Magellan
Beach House – Other People
Django Django – Default
The Sword – Cloak Of Feathers
Frank Ocean – Thinkin Bout You
Marsimoto – Indianer

Ältere Platten:
Led Zeppelin – Led Zeppelin 2
The Allman Brothers – At Fillmore East
Steely Dan – Can’t Buy A Thrill
Steely Dan – Pretzel Logic
Eagles – Eagles
Bob Dylan – The Times They Are A-Changing
Lynyrd Skynyrd – Gold (Collection)
Pink Floyd – Dark Side Of The Moon
Thin Lizzy – Live At The BBC
Idaho – Hearts Of Palm

Ältere Songs:
Lemonheads – The Outdoor Type
Serge Gainsbourg – Mambo Miam-Miam
Led Zeppelin – Nobody’s Fault But Mine
Deep Purple – Fireball
Audioslave – Show Me How To Live
Frankie W. Stubbs – Plebs (Acoustic)
Reinhard Fendrich – Strada Del Sole
Lynyrd Skynyrd – Saturday Night Special
Pink Floyd – High Hopes
Alkaline Trio – Dine Dine My Darling
Urban Dance Squad – Demagogue
Pennywise – Fuck Authority
Motörhead – Stay Clean
Steely Dan – Night By Night
Wu Tang Clan – Wu Tang Clan Ain’t Nothing Ta F’With
Tori Amos – Caught A Lite Sneeze
Neil Young – Cowgirl In The Sand
Jawbreaker – Sleep

Filme:
Tinker Tailor Soldier Spy
Dredd 3D
The Descendants
Safety Not Guaranteed
Moneyball
Warrior
Cabin In The Woods
The Innkeepers
Looper
Man In Black 3
Prometheus
Lawless
Led Zeppelin – Celebration Day

Serien:
The Walking Dead Season 3
Breaking Bad Season 5
Justified Season 3
Boardwalk Empire Season 3

Bücher (2012 gelesen):
Scott F. Fitzgerald – The Great Gatsby
Jock/Snyder – Batman:Black Mirror
Mick Foley – Mankind: Have A Nice Day
Jonathan Franzen – Freedom
Ian Kershaw – Das Ende
Lawrence Wright – Der Tod wird Euch finden

Spiele:
Sleeping Dogs (PS3)
WWE 13 (PS3)
The Walking Dead: Assault (iPad)
Grand Theft Auto: San Andreas (XBox360)

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