Sizilien

Und dann in Sizilien gewesen. Weil immer schon dahin gewollt. Aber vorher was anderes: wird jetzt wieder geklatscht nach Landungen? Ich dachte, das wäre ausgerottet.

Und dann in Palermo angekommen. Palärmo. Rollerfahrer, Tod und Lautstärke. Kein Verfall ist schöner als der von Palermo. Und vermutlich ist er auch nirgendwo teurer. Das Essen, der Tod, die Roller. Nur die Lautstärke ist umsonst.

Aber die Stadt ist nicht so ruppig, wie man meinen könnte. Alles verfällt so schön langsam und laut. In diesen Katakomben hinten am Stadtrand hängen Tausende von Toten an der Wand. Mal mehr mal weniger geglückt mumifiziert. Der einzige leise Ort neben den Kirchen. Überhaupt die Kirchen. Innen. Schön. Möchte man fast wieder religiös werden. Verfallend in Ruhe und Würde. Alles verfällt.

Bis auf den Verkehr, wenn du selbst fahren musst. Die Regellosigkeit ist nicht das Problem. An deren inhärente Regeln gewöhnt man sich schnell, an die sekundenschnelle Überwerfung derselben nie. Auf deutsch gesagt: fahren wie Idioten, die Sizilianer. Ich teilweise auch, aber nicht mit dem Leihwagen.

Dann in Siracusa. Aufgeräumt. Kontrollierter Verfall dieses Mal. Gutes Essen. Penette mit Schwertfisch in Pistaziensoße. Überhaupt alles nussig und marzipanig da. Süß und würzig, ganz meine Soßenwelt. Der Strand bei Arenella wurde uns nur beiläufig empfohlen, weil ums Eck. Aber der Sand: Zentimenter für Zentimeter eine einzige Anschmiegung an den Fuß. Und das Wasser. Die Ionische See. So klar und kantig, dass man sich dran schneiden kann. Und will.

Auf dem Ätna dann ein bisschen Enthitzung der Gemüter. A) weil kalt und B) weil man auf den 2000 Metern Höhe, die man mit dem Auto fahren kann, noch nicht soviel mitbekommt von der herrlichen Bedrohlichkeit so eines Vulkans. Ausser man hört ganz genau hin in den stillen Momenten. Dann hört man das Herz von dem Vulkan schlagen. Und wenn es lauter wird, dann fährst du besser nach Hause. Oder zur Isola Bella, wo du im Pool über der Insel herumturnst bis du müde wirst und mit der Balkontür zum Meer einschläfst. In aller Ruhe.

In Cefalu dann wieder Lautstärke durch touristischen Befall. Am Abendbuffet im Hotel gewalttätige Renterbataillonen, wenns darum geht, wer als Erster am gegrillten Gemüse stehen darf. Aber selbst schuld, wenn man in so einem Land im Hotel Tourist weilt. Aber manchmal gewinnt die Faulheit, der Verfall der Ambitionen. Morgens vor dem Flughafen kein Mensch. Keine Seele. Und leider auch keine Tankstelle für den Mietwagen. Im Flughafen dann aber doch eine Horde älterlicher Germanen, die offenbar schon drei Stunden vor Flugbeginn eine Einreihung gebildet hat. Überhaupt wieder alles Idioten, die man so trifft. Nicht nur die Landsleute. Reisende im Allgemeinen. Manchmal glaube ich, die Leute werden immer dümmer. Von Jahr zu Jahr. Man muss ja nur die Nachrichten lesen. Die Regierung anschauen. In Urlaub fahren. Überall der Verfall. Es wird wieder geklatscht bei Landungen.

(mehr Fotos hier)

Kurzkritik zu Fantastic Mr. Fox / The Shield

Gestern den fantastischen Mr. Fox gesehen. Ich mag ja Wes Anderson-Filme, weil sie genau meiner Art von lakonischem Humor zuarbeiten, bei dem man an der entscheidenden Stelle die große Wortlosigkeit die Pointe machen lässt. Der Stoptrick-Krempel war mal was anderes, aber über Spielfilmlänge dann auch ein wenig ermüdend. In der Summe aber ein schöner Film und die Anderson-Einstiegsdroge für ganz junge Menschen.

Ausserdem schaue ich gerade die Serie THE SHIELD an, weil ich nicht darüber hinwegkomme, dass es einfach nur fünf THE WIRE-Staffeln gibt und ich mit den SOPRANOS auch seit Februar durch bin. Ich brauche diese Dosis US-Crime in meinem Leben, ich kann mir nicht helfen. Aber was ich zu The Shield sagen will: Vic Mackey ist der Tony Soprano unter den Cops. Eigentlich ein Schwein, aber man will ihn so unbedingt mögen, dass man alles dafür tun würde, um ihn einer ausschließlich guten Tat zu überführen. Stand 1. Staffel, muß ich einräumen.

UPDATE: Seit in Staffel 3 der Typ die Katze erwürgt hat, kann ich nicht mehr weiterschauen. Da bin ich empfindlich, wenns um Katzen geht.

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Längere Kurzkritik: Iron Man 2

Gwyneth Paltrow.

Dann kommt erst einmal lange nichts. Und jetzt zu Iron Man 2. Über die erste Hälfte des Films kann ich die teils negativen Rezensionen noch nicht nachvollziehen. Die Figuren erhalten Zeit und Dialog, die Haupthandlung kommt langsam und scheinbar bedrohlich im Hintergrund in Fahrt und doch endet mit der grandiosen Sequenz in Monaco eine bisher durchaus stimmige Superheldenveranstaltung. Dabei hätte alles so schön sein können: Saturday Night Live-Legende Gary Shandling als Senator Stern liefert einen erstklassigen Job ab, aber auch Sam Rockwells Ari-Gold-Kopie ist nicht von schlechten Eltern. Die Johansson hat eine sinnlose Rolle, aber sieht aus wie ein neues glänzendes Moped und mehr soll sie – vermute ich mal – auch nicht. Man könnte noch bemängeln, dass Robert Downey Jr. sich als schaustellerisches Paradigma völlig über den ursprünglichen Tony Stark-Charakter stellt, aber schließlich haben wir ja auch Geld bezahlt, um das zu sehen. Viele Szenen gerade in der ersten Hälfte erinnern mich in ihrer Dialog-Ästhetik an vielgelobte U.S.-Serien: Beiläufiges ist beiläufig gespielt, Banales sieht banal aus und Gravierendes wird nicht übertrieben. Das echte Leben scheint an mancher Stelle ein bisschen durch, das muss man Jon Favreau lassen. Bis hierhin 80% bei Rotten Tomatoes.

Danach stellt die als komplex getarnte Story sich als ein sich umständlich ausdrückender Einzeiler von einer Handlung heraus und langsam fängt Mickey Rourke als Antagonist an zu nerven. Erstens tut er nichts, ausser hässlich zu sein, um sich die Antipathie des Zuschauers zuzuziehen, zweitens sieht er unglaublich hässlich aus. Sam Rockwells Ari-Gold Manierismen wirken zunehmend hysterisch und fallen völlig aus dem Rahmen der jetzt schon ziemlich brüchigen Handlung. Samuel Jackson, der Auftragsschauspieler für eine schwarze Demografie in weißen Kulturphänomenen (siehe Star Wars), trägt als Nick Fury absolut nichts zu dem Film bei. Im Gegenteil, er verlangsamt den Handlungsfluss, indem er Tony Stark kryptische Hinweise erteilt statt ihm – verdammt noch mal – einfach zu sagen, wo er sich eine neue Batterie kaufen kann. Einmal mit Einkaufszettel zu Conrad und wir hätten uns eine Menge Schmuh über Tonys Verhältnis zu seinem Vater gespart (trinkfest wie einst bei Sterlin & Cooper: John Slattery). Und nicht viel später büßt der Film komplett seinen Charme gegenüber den schon fabrikneu schrottreif aussehenden Iron-Man-Klonkriegern ein, die wohl das sprichwörtliche „Action-Feuerwerk“ einläuten sollen, das aber leider in eine zu schnell geschnittene und seelenlose Materialschlacht ausartet. Mickey „Whiplash“ Rourke ist zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr als ein verblasster Gedanke an die Mitte des Films und so wird er in dem Bosskampf auch behandelt. **ab hier SPOILER** Kurz aufmucken, dann aber bitte gleich per Ghostbuster’scher Strahlkreuzung von Cheadle und Downey Jr. einschmelzen lassen den Störenfried, schließlich haben wir ja solange rumgetrödelt und müssen jetzt zu der Kuss- und Schlussszene mit Gwyneth Paltrow kommen. Und entweder habe ich zu lange auf Gwyneth Paltrows Sommersprossen gestarrt oder es gab einfach keine Vorbereitung der Romanze zwischen Tony Stark und Pepper Potts (von Iron Man 1 mal abgesehen). Dann noch ein dummer Spruch von Cheadle und das war’s. Da hat’s aber jemand offenbar wirklich pressiert. Und der „Hidden Track“ nach dem Abspann ist das Sitzenbleiben nicht wert, aber das weiß ja eh schon jeder, der selbständig einen Browser aufbekommt. Aber jetzt nochmal, weil’s so schön war.

Gwyneth Paltrow.

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Wie ich einmal die Melancholie verlor*

Nothing to regret
(Slayer – Dittohead)

Es gab einmal eine Zeit, da war ich der Melancholie fetteste Beute Deutschlands. Ich brauchte nur morgens aus dem Fenster schauen und schon überkam mich die Erinnerung an Exfreundinnen, Autofahrten in bayrischen Sommern meiner Jugend oder Studentenparties mit Schwarzem Afghanen im Nussjoghurt. Und das war nur beim Aus-dem-Fenster-schauen. Frag nicht, was passierte wenn ich zum Aus-dem-Fenster-schauen auch noch Musik gehört habe. Ich hab diese Melancholie immer angenommen. Hab immer gedacht, mein Gott, was soll’s, du bist halt so ein Melancholischer. Und als Speichermedium hab ich sie benutzt. Speichermedium für wie man sich gefühlt hat. An die Fakten erinnerst du dich ja in den meisten Fällen, aber selten wie etwas gerochen hat, oder wie einem der Bauch mitgespielt hat oder anderes metaphysisches Zeug. Die Musik und die Melancholie, das war also der Speicherstand von meinen Herzensabenteuern der vergangen Jahre. Damit hab ich mich abgefunden.

Irgendwann ist die Melancholie aber von einem Tag auf den anderen weg gewesen. Ich will jetzt nicht auslassen, dass das koinzidierend mit einer Frauengeschichte zusammengefallen ist, aber es war schon erstaunlich. Weil da zerreisst du dir jahrelang das Herz und zermarterst dir das Hirn, alles wegen ein paar Liedern und Wetterszenarien und dann stehst du eines Morgens auf und schaust aus dem Fenster wie jeder normale Mensch auch. Jetzt war ich aber nicht neu verliebt oder so über Gebühr Glückbetankt, dass die Melancholie praktisch von der Glückseligkeit erquetscht worden wäre. Ganz im Gegenteil: das Mädel, um das es jahrelang ging, war von heut auf morgen unter die Kofferpacker gegangen, und hatte mir das noch schlagende Herz herausgerissen und gesagt: „Schau, das Ding schlägt doch immer noch, ich weiß gar nicht was du hast.“

Also von guten Zeiten keine Rede. Und auch nicht davon, dass ich ab dieser Amputation nicht mehr an dieses Unmädchen gedacht hätte. Geärgert hab ich mich noch oft und geflucht wurde wie ein Unwetter. Aber die Melancholie, die war weg. Wenn man es simplifiziert, ist die Melancholie ja ein Mittelweg aus Verzweiflung und Hoffnung und genau dieser Mittelweg war plötzlich verschwunden. Wutanfall oder Spaßausbruch, aber kein Mittelweg mehr. Das war dann schon gewöhnungsbedürftig am Anfang. Du sitzt im Auto und da kommt ein melancholisches Lied, das du mit diesem Unmädchen gehört hast, die Sonne scheint aufs Amaturenbrett und du spürst nichts. Da hätte jetzt auch was von Slayer laufen können, gleiches Resultat. Keine Melancholie. Keine Seele, kein Gefühl, noch nicht einmal ein Gedanke. Ein bisschen war das so, als hätte man den Geruchssinn verloren. Aber da sieht man mal, wie der Mensch gleich wieder undankbar wird. Weil auch wenn ich mir jahrelang eingeredet habe, du musst die Melancholie annehmen, das gehört nun einmal zu dir wie der grässliche Wind zu Ostberlin – in Wirklichkeit hat mich die Melancholie ganz oft gehandicappt im Leben. Vor allem im alltäglichen Leben.

Ich mein, du gehst in den Supermarkt und musst dringend einkaufen, weil daheim alles weg, und plötzlich stehst du vor dem Gewürzefachregal und siehst den Kümmel, von dem sie damals gesagt hat, den kaufen wir dir jetzt, weil du ja nicht immer nur mit Salz würzen kannst. Heute weiß ich, dass ich das sehr gut kann, aber das ist eine andere Geschichte. Na, auf jeden Fall stehst du vor dem Gewürzefachregal und starrst auf den Kümmel und musst fast heulen. Der Supermarkt schiebt seine Regale ganz dicht an dich heran und du fühlst dich furchtbar ertappt und bloßgestellt so in der Öffentlichkeit mit deiner Melancholie. Du rennst nach Hause, ohne die Sachen gekauft zu haben und es ist gleich Sonntag und nichts ist daheim. Und nur wegen der Melancholie. Das Kapitel Melancholie nach Alkoholgebrauch möchte ich eigentlich noch nicht einmal ansprechen. Was sich da oft für Szenen in Bars und Diskotheken abgespielt haben. Wie oft mir da die Melancholie schon einen Strich durch den Wochenendfick gemacht hat, ach, ich will’s gar nicht wissen.

Ja und heute ist sie weg, die Melancholie. Jetzt sind aber in der Zwischenzeit in meinem Leben durchaus schlimmere Sachen passiert als so ein Herzherausriss von so einem Unmädchen. Und es ist nicht so, dass ich mich nicht geärgert hätte oder auch ein bisschen globalverzweifelt. Aber von Melancholie war da keine Spur. Nichts hab ich erhofft und nichts bedauert. Es war halt wie’s war und jetzt ist es wie’s ist. Jetzt hör ich euch sagen: Ach, entweder der lügt uns an oder der ist eine ganz arme Sau, wenn der gar nicht mehr melancholisch sein kann. Und ich gebe es zu: ein bisschen merkwürdig ist das schon heute immer noch, einfach so in der Früh aus dem Fenster schauen und einfach nur den Verkehr sehen. Oder die Müllabfuhr. Aber man gewöhnt sich ja an alles.

*Diese Geschichte stammt aus der Reihe KURZSCHLUSS, einer Initiative von dragstripgirl.de. Weitere Beiträge zum Thema „vergessen/vergessen werden“ findet man bei

To01
Kleinodyssee
Bisaz
Bastmaat

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*Die Merkwürde des Menschen ist unantastbar.

The Man Who Stared At Alice In 3D And Fell Asleep

Am Donnerstag The Men Who Stare At Goats gesehen und mich ein bisschen gelangweilt. Albernheitslevel war zu weit unter der Nackten Kanone 33 1/3 und zu deutlich über Three Kings. George Clooney eh wieder eine Ausgeburt an Spielfreude, aber das ist ja auch nichts Neues. Und Ewan McGregor scheint seinen Job eher wie ein Barkeeper zu erledigen: Hingehen, ausschenken, heimgehen, vergessen, ausschlafen.

Dann heute nachmittag Alice in 3D gesehen und ich meine nicht jemanden von der DSL-Hotline auf einen Kaffee getroffen. Hätte aber auch nicht langweiliger sein können, so mit Einschlafen in der 17-Uhr-Vorstellung. Gähnende Leere, wo ich eine Handlung vermutet hatte und diese Disney-bereinigte Burton-Ästhetik ging mir auch auf den Zeiger, wobei mir Tim Burton seit Sweeney Todd eh ein bisschen über ist, was nichts daran ändert, dass ich ihn im Grundsatz verehre.

Am sinnentleertesten fand ich aber dieses 3D. Konnte ich bei Avatar noch staunen und hatte ich mich bei Cloudy With A Chance Of Meatballs schon daran gewöhnt, so hab ich es jetzt nach fünf Minuten Laufzeit überhaupt nicht mehr bemerkt und erst dann wieder als mir im Halbschlaf die Brille von der Nase gerutscht ist. Aus meiner „Sicht“ ganz sicher nicht die Zukunft des Kinos. Dass Verleiher und Hersteller da anderer Meinung sind, verstehe ich freilich, immerhin kommt die Wirtschaft rund um den Wettbewerb gegen DVD und illegale Downloads wieder tüchtig in Schwung.

Ich werde aber sicher schon in einer Woche vergessen haben, ob ich den Film jetzt in 3D, 2D oder auf meinem alten Röhrenfernseher gesehen habe. Ja, ich weiß, auch der sendet in 2D – ich wollte auch nur der Bombastik etwas anachronistische Drastik entgegen setzen. Ich sag jetzt mal, 3D wird nicht so groß, wie man das grade allerorts prognostiziert. Bildtelefonie hat sich ja auch nicht durchgesetzt, obwohl es schon seit den 60er Jahren möglich gewesen wäre.

Und ist mir das aus Gründen der Polemik falsch in Erinnerung, oder habe ich nicht auch schon mit 12 auf dem Straubinger Gäubodenfest 3D-Filme gesehen und für nicht so schnöfte erachtet? Falls ich mich täuschen sollte, kauf ich mir natürlich sofort einen 3D-tauglichen Fernseher, damit ich zumindest nicht mehr in einem vollgestopften Kino flankiert von menschgewordenen röchelnden Grippevirenverteilerkästen sitzen muss, wenn ich dann doch mal einen Film in 3D sehen will oder muß.

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Ein Samstag im Februar aber ohne Angst

Es ist schon merkwürdig wie furchtgetrieben unsere Gesellschaft ist. Wir machen uns mehr ins Hemd als jede unserer Vorgängergesellschaften, dabei ist zumindest ein westeuropäischer Alltag sicherer als das Amen in der Kirche. Selbst wenn jede Woche vier Flugzeuge vom CIA, äh, ich meinte arabischen Terroristen entführt werden, wäre Fliegen noch hunderte tausende Male sicherer als Autofahren. Jetzt stell dir vor, du würdest jedes Mal bevor du ins Auto einsteigst, gefilzt und geröntgt werden. Igitt und das Internet ist ja sowieso die größte Gefahrengrube. Pädophile, Raubkopierer und Pornoproduzenten. Scheckkartenhacker, Online-Versand-Nepper und ungeprüfte Teppichhändler. Lebensgefahr kann man da nur sagen. Aber das ist ja nicht alles: weil am meisten haben die Leute ja heutzutage ja Angst, dass sie nicht das bestmöglichste aus ihrem Leben machen, als da wären: Gangsterrapper, Chefkoch, Hundetrainer, Mutter von sieben Kindern, Ortsvorstand der FDP, Rockmusiker, Pornodarsteller, Bonusbanker, Buchautoren oder Blogger mit Monatsfestgehalt. Und auf jeden Fall ins Fernsehen. Ich weiß, ich hab das alles schon mal geschrieben, aber als Blogger ohne Monatsfestgehalt darf ich mich ja wiederholen wie ich grad lustig bin. Zurück zur Furchtgesellschaft: ein mitreissendes Klima, wie ich finde. Früher hatte ich weniger Angst, aber seit alle soviel Angst haben, bin ich auch ein bisschen ängstlicher geworden. Den Tod fürchte ich zum Beispiel neuerdings und ihm vorangehende Krankheiten. Das hat wohl auch mit dem Alter zu tun. Aber eins hat sich nicht geändert, egal ob ich mich früher vor einer Physikklausur gefürchtet habe oder heute vor der totalen Sinnentleerung unserer Gesellschaft: Mit drei Nachmittagsbier an einem sonnigen Samstagnachmittag ist die Furcht wie fortgeschwemmt. So mir nichts dir nichts. Saufen rentiert sich. Und wenn jemand was anderes sagt, dann lügt er oder hat Angst vorm Bier.

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Valiumträume

Und dann sinke ich wie ein Block Blei in die Tiefe meines Schlafs. Verharre dort regungslos. Für Stunden. Am Ende dann doch der Traum.

Meine Eltern haben ein Haus in Bonn, ich bin der Pflichtgast, die Bootsfahrt dahin war anstrengend. Das Haus liegt neben dem Stadion, es ist laut. Die geladenen Gäste piesacken mich mit Fragen und Scherzen auf meine Kosten wie damals, als ich noch ein Kind war, aber alt genug, um schlechten Humor zu erkennen. Eine deutsche Hip Hop-Band gibt eine Einlage und auch die ist mies, wie Fettes Brot auf kindisch und ohne die Ironie. Diese Jungs lassen mich nachts nicht schlafen mit ihren Witzen. Nach Berlin fliege ich zurück, aber man hält mich stundenlang am Flughafen auf und durchsucht mein Gepäck. Zurück in Berlin, ich bin verabredet mit einem alten Bekannten. Mit dem Fahrrad rase ich einen Berg hinunter, der mich verdächtig an den Uniberg in Regensburg erinnert. Ganz verdächtig. Ich komme an ein weißes Gebäude, vor dem eine Grünfläche liegt. Grasgrün, ohne Hundedreck. Die Hip Hop-Jungs aus Bonn geben eine Einlage und haben sich als Proleten verkleidet, so wie Dendemann das gerade macht. Eine kleine Menge Menschen steht herum. Maximal neugierig, aber noch nicht einmal interessiert. Als die Bonner Hip Hopper mich sehen, sind sie erfreut.
„Der Mann mit dem Led Zeppelin T-Shirt.“, sagen sie und kann sein, dass ich das gestern noch anhatte.
Sie packen ihr Zeug zusammen und wir gehen in das Innere des weißen, einstöckigen Gebäudes. Es ist eigentlich eher ein Überdach, ein steinerner Pavillon mehr als ein Gebäude. Die Hip Hopper reden mit mir, aber ich kann fast nichts hören vor lauter Sonne. Und nichts sehen, ich muss die Augen fast schließen, weil egal wo ich stehe, scheint mir die Sonne ins Gesicht, überblendet alles. Die Seite des steinernen Pavillons, die nicht zu der Grasfläche hinausgeht, zeigt aufs Meer. Sie liegt mindestens 30 Meter über dem Wasser. Funkelndes blaues Wasser, wie soll man das anders sagen, wenn es halt so ist.
„Hör mal, Mann.“, sage ich zu einem von den Hip Hoppern. „Das hier ist wie in L.A. Das Licht, das Meer. Wenn du nicht wüsstest, dass wir in Berlin sind, das könnte auch der Pazifik sein.“
Der Hip Hopper aus Bonn nickt ehrfürchtig und starrt jetzt auch aufs Meer hinaus. Seine zwei Bandkollegen tun es ihm gleich. Ich gehe raus, den Abhang hinunter und frage mich, warum mir das mit dem Meer und dem Licht nicht schon eher aufgefallen ist. Unten angelangt stehe ich vor der Stadtautobahn, die am Ufer entlang führt. Die 100. Schade eigentlich, dass noch eine Straße vor dem Wasser liegt. Aber vielleicht ist das auch nur eine urbane Besonderheit, die eben zu unserer Stadt gehört und man sollte nicht undankbar sein, denn welche Stadt hat schon ein Meer und so ein Licht obendrein.

Und dann bin ich aufgewacht und da muss sich jetzt keiner wundern, dass die Sonne ins Schlafzimmer hineingebrochen ist wie ein Scheinwerfer.

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Dylan Thomas

O may my heart’s truth
Still be sung
On this high hill in a year’s turning.
(Dylan Thomas – Poem In October)

So you watch the sunrise sinking, and she’s talking in her sleep. Das läuft im Autoradio. Auf der Rückfahrt. Weil ich ja dort im ersten Industrieort nach den zig Kilometern aus der Stadt heraus erst die CD kaufen werde. In meinem Szenario sind wir aber noch auf der Hinfahrt, wie das halt oft so ist mit Erinnerungen, reinste Eigenkomposition. Es ist vermutlich schon Anfang Oktober, aber ich schwöre, das ist der einzige Oktober, der das Prädikat golden verdient hat seit ich in der Stadt bin. Alleen, Alleen, die Bäume streicheln die Straße, so tief und grün hängen sie. Von Herbst keine Rede und keine Spur. Perspektive, nichts als Perspektive.

Nach einem Monat Berlin bin ich high wie der Mond über dem Boxhagener Platz, wo ich fast wohne. Nicht schön da, aber ein fast krimineller Gegensatz zur toten Idylle Schwabings noch vor einem Monat. Ich bin am Leben wie eine Seuche und das in zwei Welten. Diese Tage in Berlin ohne Idee, die erst dann aufhören, wenn man es will und in den Zwischentagen in München, dieser innerhalb von vier Wochen völlig fremdartig gewordenen Stadt. In Haidhausen bei der blonden Freundin, die in einer Agentur gearbeitet hat. Die süße blonde Freundin in der blinden Stadt. Diese Idylle im unverschämten Sonnenlicht, hinter dem sich angeberisch die anmaßenden Alpen abzeichnen, wenn man einmal nicht aufpasst. Über den in Sonnenlicht ertränkten Platz gehen und immerhin ist da ein Laden auf dem Hell steht.

Und in wenigen Stunden wieder in der neuen Welt, auf Parties, zu denen man nie eingeladen werden wollte, endlich wieder wildfremd und voller Idiotien. Eine Weile keine Ahnung haben und dabei keine Angst, das ist eine Gauklerei, die mir danach nur noch in den zwei Monaten Barcelona gelingen wird. Noch sind alle Türen ausgehängt, alle Wege offen. Und in die Nächte hineinversinken mit Medizin und Gin Tonic, das geht eine Weile gut, aber am Ende wird es nicht gut ausgehen. Und am nächsten Ende ein paar Jahre später dann vielleicht doch wieder. Und dann…, wer weiß. Aber jetzt einmal noch das Fenster aufmachen – im Auto von dem einen Freund, der mitgereist ist – und an der goldenen Luft fast ersticken. Just one More drink and then I should be on my way home. I’m not entirely sure what you’re talking about, sagt das Autoradio und zuhause kriecht schon Dylan Thomas aus den Startlöchern.

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Der Gummiball

Ich weiß auch nicht, ob ich einfach nur mit jedem Jahr grantiger werde, oder ob es an den Anderen liegt. Ich hoffe ja auf das Erstere. Denn wenn ich derzeit morgens den Spiegel Online oder die SZ Offline aufschlage, dann lang ich mir zunächst ans Hirn. Standardgeste. Egal, welchen Wochentag wir haben, die sogenannten Aufmacher sind immer Sachen, wo man denkt: „Ja, seid’s ihr nicht gescheiter?“.

Die Leute streiten sich um Geld, was längst nicht mehr da ist, hauen sich die Köpfe aus Gründen zusammen, die sie selbst nicht mehr wissen, die meisten armen Schweine ham eh nix zum Fressen und zwischendrin haut die Natur immer wieder mal mit dem Dampfhammer rein, um uns zu erinnern, dass wir hier nicht die Hosen anhaben. So Unmenschen wie Guido Westerwelle dürfen sich ungestraft Minister nennen und von Schröders Politik der ruhigen Hand sind wir mit der Merkel bei der Politik der Hand in der Hosentasche angelangt. „Unser“ Papst ist dabei, einen verbrecherischen Ignoranten und Antijudaisten wie den Pius selig zu sprechen und einen Revisionisten wie den Johannes Paul Part 2 gleich noch heilig. Fehlt nur noch dass der ehemalige Hitlerjunge selbst zu Lebzeiten seine eigene Himmelfahrt bewerkstelligt.
Der Kulturteil beherbergt so Finsterlinge wie Helene Hegemann und Maxim Biller und deutsche Theaterproduktionen sind sowieso längst dem Wahnsinn verfallen. Im Fernsehen regiert der interessierte Laie, ob als Moderator, Kameramann, Schauspieler oder Sänger und im Radio läuft immer noch Summer Of 69. Nur der Fußballsport scheint eine unverwüstliche Delektable im Leben eines modernen Menschen sein, auch wenn Wolfsburg neulich Meister geworden ist.

Ich versuche mich wirklich ernsthaft zu erinnern, ob ich mich die Desillusion über das moderne Dasein schon mal so verdrossen hat und ich werde vielleicht in den 80ern und 90ern fündig, als mir Gudrun Pausewang noch Angst vor Atomkrieg und Atomkraft gemacht hatte, als der Regen noch sauer und die Raketen scharf waren, als die Mauer noch stand und Leute wie Ceausescu und Milosevic praktisch vor der Haustür über Leichen gingen. Irgendwie hatte ich nach dem Ende des Kosovo-Konflikts gedacht, man befände sich globalpolitisch auf einem langsamen aber steten Weg der Humanisierung. Man kann jetzt gegen Schröder, Fischer und Konsorten sagen was man will, aber auch in Regierungsfragen machte ein anderer Ton die Musik. Das Bollwerk sozialer Ignoranz, die Ecclesia Kohl, zerfiel und vorbei waren scheinbar auch die Zeiten solcher Agitzündler wie Strauss oder Geissler, von Schönhuber mal ganz zu schweigen. Und im Gazastreifen sind Frauen in kurzen Röcken in ein Kino gegangen, glaub es oder nicht.

Mir kommt es vor, als hätte man die Uhren unserer Kultur wieder um ein ganzes Stück zurückgedreht. Aber vielleicht ist unsere Zivilgesellschaft auch an eine nicht zu überquerende humanitäre Grenze gestoßen und davon abgeprallt wie ein Gummiball.

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