Der Tod, das Meer und das Gymnasium

Ständig schleicht sich der Tod an in meinen Träumen. Meistens nicht in voller Montur, aber irgendwo hat er sich immer verkrochen. Zum Beispiel in einer Form, dass man im Traum über einen alten Freund spricht, der gestorben ist, oder dass man sich in einem Haus aufhält, wo jemand nicht mehr lebt. Manchmal kommt es auch zu einer Lebensbedrohung in den Träumen. Nie erwischt es mich oder bin ich es, der bedroht ist, immer ist es eine andere Person, aber immer habe ich ein schlechtes Gewissen. Was genauso häufig vorkommt wie der Tod, ist der Urlaub. Oder der Urlaubsort. Verrückterweise scheint der sogar eine eigene Geographie zu besitzen. Es ist immer der gleiche Ort zwischen Meer, Lagune und Flüssen. Die dritte Komponente ist mein altes Gymnasium, ich bin dann wieder in der Schule und auch da herrscht so eine Art Todesbedrohung, aber sie manifestiert sich in einer erschütternden Erschreckung. Ich stelle mit Grausen fest, dass ich noch nicht erwachsen bin und Prüfungen ablegen muss, auf die ich in keinster Weise vorbereitet bin. Das versetzt mich derart in Panik, dass ich mir wünsche, ich träumte nur und versuche durch puren Willen aufzuwachen. Ich denke, das funktioniert, aber vielleicht ist das auch der Moment, wo meine Frau ins Bad geht und ich eh wach geworden wäre.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

Kurzkritiken zum Knochenmann, Wrestler, Underworld 3, Basta und Mr. Brooks

Der Knochenmann:
Nicht mehr viel mit Haas Buch zu tun, aber ein Hader als Brenner in Vollendung. Trendaktrice Minichmayr sehr gut, auch wenn ich ihr das Campino-Duett übel nehmen muss und überhaupt ein einziges Method Acting Vehikel für den Bierbichler. Großartige Chemie zwischen dem Bertie und dem Brenner. Die tödliche Tristesse des Umlands samt Autobahnanschluss scharfsinnig eingefangen. Für nicht des Bairischen (ja so heisst das linguistisch korrekt, liebe Österreicher) Mächtige sicher ein Graus und für Murnberger- und Haas-Ungebübte sicher auch mit über zwei Stunden eine zu große Leidprüfung.

Underworld 3:
Ich mag die beiden Vorgänger (bzw. Nachfolger nach neuster Chronologie), aber Teil drei war ja wohl ein Riesenschmarrn. Deppertes und vollkommen vorhersehbares Romeo und Julia-Szenario, unübersichtlichste Hautfetzerei, grauenvolle Dialogfetzen und ein Overacting der Herren Nighy und Sheen (grade noch so gut bei Frost/Nixon, aber vielleicht hat der ein Pupillenproblem und muss so glotzen), dass ich irgendwann gern umgeschaltet hätte, aber ich saß ja im Kino.

The Wrestler:
Erstaunlich, dass sich mal jemand die Zeit nimmt, die finsteren Seiten des Wrestlinggeschäfts so zu sezieren. Irgendwie fühlt sich der Film für mich als extreme Kunstnische an, aber in den USA ist die Industrie eine sehr einträgliche und so ein Film ist mutiger als er uns erscheint. Ansonsten nix zu mäkeln, intensive Frisur von Mickey Rourke und ein Hardcorematch, wie ich es im richtige Wrestling so brutal noch nicht gesehen habe. Musste noch schmunzeln, weil ich gelesen hatte, dass Hulk Hogan damit prahlt die Rolle angeboten bekommen zu haben. Ja, ja, als ob der Egomane Hogan sich freiwillig eine Duschhaube aufgesetzt hätte.

Basta/C(r)ook (DVD):
Ein Film der gleich zwei Titel, eine Klammer und zwei Untertitel braucht um seine Doppelbödigkeit zu erklären kann eigentlich nix sein. Hab ich mich aber von der Besetzung blenden lassen. Hübchen/Hader/Harfouch/Bleibtreu. Hätte meiner gewohnten Maxime treu bleiben sollen, dass der deutsche Film auch trotz Hader nix taugt. Was Pepe Danquart da hingestellt hat, ist eine peinliche Aneinanderreihung von Ostmafia-Klischees, ein Greenaway für Mikrowellengerichtler und alle zwei Sekunden eine Scheißmusik, die’s nicht gebraucht hätte. Zwei Doro-Filme, ein Treffer also. Weil der Knochenmann, der war ja gut, musst du wissen.

Mr. Brooks (DVD):
Solider Killer-Thriller mit Kevin Costner. Eine Art Dexter für ruhigere Gemüter. Zweifelhafte Message, wenn der Schlächter kein Schlechter ist, sondern eigentlich der netteste Mensch im Film. Sogar sein Mr. Hyde Big Willy Hurt räumt Sympathiepunkte für gute Gags ab.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Kurzkritiken

hahn solo

Und dann steh ich da auf der Straße nachts um halb 2 und obwohl der Tag wärmer als die vorhergehenden war, ist es jetzt schon wieder eiskalt. Ich habe das Gefühl ich zerbreche. Oder vielleicht löse ich mich in der Kälte auch langsam auf. Mein Rückenschmerz zwingt mich, nach Hause zu gehen, obwohl ich noch ein zwei Schnaps vertragen könnte. Er zwingt mich, diese Straße hinunter zum Nordbahnhof zu gehen, eine Straße, von der ich glaube, sie mal gemocht zu haben, aber an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Denn in diesem Zustand ist sie nur kalt und skalpiert mich. Wirklich. Die Haut geht mir in Fetzen ab und je länger der Winter dauert, desto dünner und weniger wird meine Haut. Ich muß mir am Rosenthaler Platz ein Grillhähnchen besorgen und mich auf dem Rest des Heimwegs daran wärmen, sonst gehe ich noch während des Gehens ein. Bleibe einfach auf der Stelle stehen und verende auf der Stelle. So kalt ist mir nämlich. Dann kommt diese Frau aus meiner ehemaligen Arbeit und spricht mit mir. Ich kann kaum zuhören vor lauter Heimweg. Das Hendl in meiner Manteltasche gibt sicher nur noch Wärme für ein paar wertvolle Minuten. Minuten, die ich nicht in diesem Gespräch zubringen möchte. Der Freund der Frau aus der ehemaligen Arbeit will eine Show machen. Vermutlich will er ihr beweisen, dass er super ist. Viel mehr super, als der Typ mit seinem Hähnchen in der Manteltasche. Er macht sich über meine Krawatte lustig, die ich im Reissverschluss meiner Unterjacke eingeklemmt habe. Ich rücke sie zurecht und gehe nicht auf seinen Witz ein, weil er sonst denkt, kontern zu müssen und dann komm ich nie hier weg. Ich rede gedankenverloren von dem australischen Café bei mir an der Ecke. Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich das Gespräch am Laufen halte, während der Hahn in meinem Mantel gerade seine letzte Grillwärme aushaucht. Der Freund der Frau aus der ehemaligen Arbeit sagt, dass der Besitzer des Cafés einer seiner besten Freunde sei, obwohl ich ihn noch nie dort gesehen habe. Aber das sagen alle angeblichen Freunde von dem Cafébetreiber. Weil er Australier ist und die Leute ihn mit ihrem tollen Englisch beeindrucken wollen und er dann was lustiges sagt und dann die anderen wieder 20min erzählen lässt. Da denken die gleich, sie sind jetzt beste Freunde. Warum ich schon nach Hause gehe, will die Frau aus der ehemaligen Arbeit wissen. Weil mir kalt ist, sage ich und kann das Grillhendl nicht mehr spüren. Und weil ich in der Arbeit in 5 Jahren nicht so viel mit dir geredet habe wie in den letzten 5 kostbaren Minuten meines Lebens, die mich nahe an die völlige Zerbröselung meines Körpers gebracht haben, sage ich mir. Ich war mal mit meiner Schwester im Urlaub in Spanien und da haben wir diese Frau aus der damals noch tatsächlichen Arbeit auch getroffen. Zufällig. Das war eine schlimme Geschichte, was nicht ihre Schuld war. Aber zu reden hatten wir auch da eigentlich nicht viel. Ich prognostiziere zum Abschied ein Treffen in dem australischen Café zu dem es vermutlich nie kommen wird. Ich sage, ich finde mein Handy nicht zur Abspeicherung der Nummer. Ich weiß auch wirklich nicht, in welcher meiner 10 Jackentaschen es sich befindet, weil ich ja drei Jacken übereinander trage. Aber sie ruft mich an und der Vibrationsalarm verrät mich und schon bin ich zum Nummerntausch gezwungen worden. Ich renne fast nach Hause in der irrigen Hoffnung, es könnte sich noch ein Hauch Wärme in dem Grillhendl befinden. Wie ein Irrer zerreiße ich am Küchentisch das halbe Huhn und stopf es in mir in den Mund. Am Ende ist mir tatsächlich noch ein bisschen warm davon geworden. Aber ich schwöre, wenn das so weiter geht mit der verlorenen Zeit und der verlorenen Körperwärme, dann geh ich vor die Hunde. Wenn nicht diesen, dann nächsten Winter.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

emotional stuntmen

Manchmal ist der Reiz so groß, das Verlangen so lasziv, dem Chaos seinen Lauf zu lassen. Sich einfach überlaufen zu lassen, sich auf die hässlichen Straßen hinausschwemmen zu lassen. Sich dem puren Verlauf hinzugeben. Weil du weißt, dass das nie wieder so passieren wird. Weil du sicher bist. Weil du dir sicher bist, dass ein weiterer Kontrollverlust vielleicht der letzte sein könnte. Dass er nur am Anfang, wenn das Ausmaß des Grauens noch ein Jahr in der Ferne liegt, seinen Reiz behielte. Und vielleicht ist es genau das, was Erwachsenwerden bedeutet. Der Sprung hinter die sichere Deckung. Das ist die furchtbare und furchtbar beruhigende Wahrheit über das Ende der Jugend. Dass du dich nicht mehr treiben lässt. Hinaustreiben aus deinen Plänen und Vorstellungen von Kommodität und diesen No-Risk-No-Fun Gedanken bis in eine haarsträubend gefährliche emotionale Stuntman-Tätigkeit ausufern lassen. Bis aus dem Leben ein Überleben wird.

Aber das kannst du dir nur leisten, wenn du ganz alleine bist und sein magst, denn wenn du andere da mit hineinziehst, bist du ein ganz egoistisches Arschloch. Und das wolltest du doch ab 30 nicht mehr sein. Also ziehst du den Kopf ein, wenn Gefahr droht, beschützt dich und diejenigen, die sich gerne mitbeschützen lassen. Aber wenn es so regnet wie heute, dann möchtest du manchmal die Pfähle, die diese Stadt über Wasser halten einfach umnieten und zusehen wie alles untergeht, den Bach hinuntergeht. Und an einem anderen Tag an einem völlig anderen Ort aufwachen. Von der Strömung, vom Chaos einfach wo anders an Land gespült. Von einem unendlichen Heimweh geplagt, das dich am Leben erhält.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

Längere Kurzkritik zu Frost/Nixon

Ein Film mit Überlänge über ein Interview, der auch schon vor dem Interviewpart vorwiegend Dialoge in den Vordergrund stellt. Eigentlich ein sicheres Todesurteil für meine Bandscheibe und meine Aufmerksamkeitsspanne. Ohne eine einzige Filmkritik gelesen zu haben, vertraute ich Ron Howard bei diesem Film. Diverse fabelhafte Regisseure wie Clooney, Sam Mendes und Scorsese standen zur Diskussion, aber man hätte die Aufgabe kaum besser lösen können als der eigentlich eher unpolitische Ron Howard, vom Ende einmal abgesehen. Schon im Trailer wirkte die Ausstattung fantastisch, die Bilder milchig weich und die Darsteller bis zum Anschlag auf den Punkt spielend. Und so war’s dann auch.

Ich kenne von den Original-Interviews nur kurze Ausschnitte und bin deshalb vorsichtig mit meiner Behauptung, dass die entscheidenden Stellen zeitgeschichtlich exakt wiedergegeben wurden. Ansonsten wird natürlich in Sachen Mimik ordentlich dramatisiert (in wörtlich wie im übertragenen Sinn), aber darin liegt der Reiz. Frank Langella und Michael Sheen beim Zubeissen zuzuschauen, ist wie den Endkampf eines Rocky-Films zu sehen. Ein Show- und Staredown, der bei bereits bekanntem Ausgang dennoch die Nerven flattern lässt. Die beiden hatten auch jede Menge Zeit zu üben, schließlich sind sie auch die Hauptdarsteller des gleichnamigen Theaterstücks und duellieren sich schon ein paar Jahre vor Publikum.

Am Ende verwirrte mich dann dennoch die offenbar durchaus intendierte Erzeugung von Mitleid mit einem gestrauchelten Nixon, der wie wir alle nur Liebe und die Anerkennung will. Das ist eine zutiefst humanistische Quintessenz, die den Film kurz vor Schluß noch ein paar Zentimeter in Richtung Rührstück biegt. Frost/Nixon ist sicher eher Schauspielerkino als Zeitdokument und soll auch nicht als moralischer und politischer Anschauungsunterricht herhalten, aber die grenzenlose Einsamkeit versprühende Dackel-Sequenz am Schluss lässt einen furchtbaren Politchauvinisten wie Nixon moralisch fast ungeschoren davonkommen. Und das kann man eigentlich nicht so stehen lassen. Und ihn auch nicht so. Am Meer, im Sonnenuntergang.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Kurzkritiken

+

Den Todestag vom Opa Edi Karl Henn alias Neobazi werd ich mir gut merken können, denn am 28.01. vor einem Jahr ist schon mal jemand, den ich kannte, viel zu früh gestorben. Ich hab’s immer hinausgeschoben, Edi mal zu treffen, insofern waren wir nie die besten Bekannten, aber eine Zeitlang kreuzten wir die verbalen Klingen im Netz und hatten viel Spaß dabei. Mehr Worte sollen denen vorbehalten sein, die ihn wirklich kannten. Servus, Edi, ich hab viel von dir gelesen und sogar ein paar Sachen von dir gelernt.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

algorithmen

x² +10x = 39
(Al-Khwarizmi, ca. 830 BC)

Vor genau einem Jahr war ja diese schlimme Geschichte. Ich rief einen Freund an, um ihm zu erzählen, was passiert war. Am Ende des Gesprächs sagte ich zu ihm. „Ich merke schon, dass der Winter nicht mehr lange dauert.“ Ich fand mich ziemlich irre in dem Moment. Das klang kein bisschen optimistisch, sondern wie unter Drogen. Mein telefonisches Gegenüber meinte, wenn man mit solchen Sätzen auf eine Katastrophe reagiert, dann ist das ein gutes Zeichen. In den folgenden Wochen und Monaten war ich zornig und fühlte mich, als würde ich unter dem Bretterboden einer Holzhütte beim Ungeziefer wohnen. Verdreckt und zornig, über Monate hinweg.

Und zornig bin ich immer noch über Gebühr. Aber wenn ich mich jetzt zurückerinnere, fällt mir wieder dieser Satz zu T. über den weichenden Winter ein. Und dass da mehr Perspektive und mehr Idee ist, als ich glauben will. Weil sich selbst zu den Ratten sperren, den Underdog markieren, das ist einfach. Unterm Radar fliegen und dann sich selbst mit einem völlig unwahrscheinlichen Happy End überraschen. So entsteht ein Leidensweg wie aus dem Lehrbuch. Ich bin unsicher, worauf ich eigentlich hinaus will. Wohlmöglich darauf, dass ich ich kein Vertrauen in die Mathematik des Daseins habe. Dass ich glaube, an nichts zu glauben. Und dabei hänge ich wie verrückt an jedem einzelnen Tag und an jeder einzelnen Idee. Und an der hochgradigen Wahrscheinlichkeit der Veränderung des Wetters.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

Kurzkritik zu Revolutionary Road

Ach ja, und dann war ich neulich in Sam Mendes´ „Revolutionary Road“. Im Sony Center. Und um mich und meine Frau herum saßen Menschen über Vierzig, die wohl besser in den Komödienstadel gegangen wären. Lautes Gelächter nach jedem vierten Dialog. Konnten den Schrecken wohl nicht ertragen. Eigentlich fast ein psychologischer Horrorfilm. Züge von Rosemary’s Baby und Stepfather. Man könnte sich glatt vorstellen, dass Wes Craven ein Sequel dreht, wo Leo aus ewiger Rache an Kate durch die Großstadt slasht. Spaß beiseite: ein zutiefst unangenehmer Film mit nur einer übertriebenen Szene, als Kate Winselt diesen hysterischen Lachanfall bekommt. Genau wie das Publikum um mich herum den ganzen Film über. Michael Shannon als der verrückte Mathematiker (warum hat den nicht Russell Crowe gespielt) war natürlich der wahrheitstrunkene Narr von der Gesellschaft zwangsausgenüchtert, aber noch wach genug, um den Untergang von Leo und Kate zu riechen. Der hätte sicher auch bei uns im Kino seine helle Freude mit den Leuten gehabt, die beim in den cineastischen Spiegel schauen zunehmend hysterischer geworden sind.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Kurzkritiken

aussichtsposten

Gestern vormittag über die Avus raus aus Berlin gefahren. Bäume links und rechts vergoldet mit Schnee, Eis und Sonne. Auf dem Nachhauseweg war es schon dunkel und der Vollmond hing so wuchtig über Mitte, das ich zurücknehmen musste, was ich neulich ganz laut zu ein paar Leuten gesagt habe. Dass der Mond nur in Hollywoodfilmen so tief und fett hängt. Ich weiß nicht genau, was es mit diesem Sonntag auf sich hatte, aber die Farben des Tages waren klar und die Konturen scharf. Die Dunkelheit kam schnell, doch die Konturen blieben. In nur vier Stunden war es wieder spiegelglatt bei uns in der Straße und die Kälte, die heute morgen eine kleine Auszeit genommen hatte, ließ am Abend wieder die Muskeln spielen. Ich habe keine gute Begründung, vielleicht findet sich eine zwischen den obigen Zeilen, aber irgendwas Frühlinghaftes war in meinem Kopf. Obwohl sich mein ganzer Körper zusammenzieht bei der Kälte. Aber ich erinnere mich, auch schon mal das Meer gerochen zu haben und es war 600 km weit weg. Eine Vorahnung kann man es immer nennen, denn man muß kein Nostradamus sein, um zu prophezeien, dass das Wetter sich irgendwann ändern wird.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Texte

Das Seebad. Eine Verärgerung.

Es ist genauso bizarr, sich dem Koloss zu nähern, wie sich von ihm zu entfernen. Am ersten Tag kommen wir mit dem Auto über die Straße nach Prora und dieses Urvieh von einer Urlaubskaserne gruselt uns mit seinen verfaulenden Betonarmen entgegen. Am zweiten Tag wandere ich zu Fuß aus Binz und nähere mich von der Meerseite. Das ist noch bedeutend gespenstischer. Man schlägt sich vom Strand ganz Lost-mäßig durch ein Waldstück, plötzlich steht man auf einer steinernen Lichtung mit verfallenen Treppen vor einer der längsten Fassaden Europas, übersät mit zerbrochenen Fensterscheiben wie mit Narben. Die Vegetation auf der Strandseite ist völlig verwildert.

Der eigentliche Spuk offenbart sich aber erst im Innern eines der Blöcke, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Wohlgemerkt meine ich nicht das Dokumentationszentrum, das scheint integer zu sein. KdF-Museum schimpft sich die Alternative dazu. Darin befinden sich dauerhaft schauderhafte Ausstellungen. Die eine widmet sich dem Gebäude an sich und dem KdF-Leitmotiv als solches, die andere stellt NVA-Devotionalien aus und dann stehen da noch ein paar Motorräder aus der DDR rum. An der Kasse frage ich nach einem Journalistenrabatt und der Mann hinter dem Counter faselt etwas von einer rücksichtlosen Presse, die ihn und seine Ausstellung schäbig behandelt hätten. Spiegel und Konsorten hätten ihm gar rechte Propaganda unterstellt. Da wird man natürlich hellhörig. Der Einführungsfilm tut wenig mehr als das Funktionalgebäude per Zeitzeugen zu loben und der Jugendliche in der Thor-Steiner-Jacke nickt andächtig dazu. Eine Menge Nazikram hängt rum. Organigramme der Hitlerjugend, ein Prospekt zu „Jud Süß“, alte Zeitungsmeldungen und diverse kontextlose Nazi-Devotionalien. Auf dem offenbar liebevoll bestückten, detailgetreuen Modell des Seebads an der Prorer Wiek stecken NSDAP-Käsehäppchen-Fähnchen ohne Hakenkreuz, aber das Kraft-durch
-Freude Logo wurde respektvoll nachempfunden. Von Reflektion keine Spur. Einen Gang weiter sind sie DDR Motorräder ausgestellt.

Wäre ich mir der Dubiosität dieser Veranstaltung noch nicht gewahr, spätestens im zweiten Stock spränge sie mir ins Gesicht. NVA galore mit Uniformen, Waffen, Broschüren, dazu ein bisschen Marschmusik und ein Film über Waffenmanöver mit einem martialischen Titel, den ich sofort wieder verdrängt habe. Ein Freund und meine Frau sind schon ein wenig eher mit der Besichtigung durch und fragen den Mann an der Kasse, warum man hier so unreflektiert und ohne den Hauch von Aufklärung Nazischmarrn und Militärpropaganda aufreiht.
„Wenn Sie das so sehen.“, raunzt der Mann an der Kasse sichtlich beleidigt. Man kann also wirklich nicht sagen, dass hier verantwortungsvoll mit deutscher Geschichte umgegangen wird, um so mehr erstaunt es mich, dass das zuständige Land – in diesem Fall Mecklenburg-Vorpommern – noch nicht interveniert hat. Wollen sie nicht oder können sie nicht? Die Ausstellungen sind privater Natur, das Gebäude ist es ganz sicher nicht, obwohl Teile davon mittlerweile unter anderem an unbekannte Investoren veräußert wurden. Mindestens ein Block soll ja unter Mitfinanzierung des Bundeslandes zur idyllischen Jugendherberge umgerüstet werden. Wie man hört, ist die Instandhaltung des Monsters der reinste Geldstaubsauger. Da vermietet man dann auch gerne an halbseidene Geschichtszündler. Ich will nicht wieder per se auf dem Ostdeutschen herumreiten, aber eine Sympathie für DDR- und Naziregime zugleich scheint mir ein deutliches Symptom der intellektuellen Verödung zu sein. Aber vielleicht liegt es ja auch am Inseldasein.

Wenn man von der Gebäuderückseite zurück zum Ostseestrand geht, durchquert man wieder das kleine Wäldchen und landet auf einem dermaßen idyllischen Streifen Sand und Meer, so als wäre nie was gewesen. Und das ist eigentlich bei all den Verdrängungsärgernissen das Schlimmste.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Unterwegs