Der Film war in vielen Szenen makellos, es waren nur zu viele davon. Man versteht auch nach zwei Dritteln längst, dass Ines lockerer wird aber nie locker sein wird und dass ihr Vater Winfried ein Hedonist, aber kein Altruist ist. Das schlimmste, was ich deshalb über den Film sagen kann ist, dass sein Schluss überflüssig ist. Es ist mir zudem ein Rätsel wie er mit anderen Darstellern hätte funktionieren können. Die Schauspieler Sandra Hüller und Peter Simonischek sind offensichtlich für ihre Rollen erfunden worden, nicht anders herum. Ich dachte mir im Kino: wusste Maren Ade schon mit dem Skript, dass die beiden das spielen? Denn wenn nicht, wer dann? Tanz auf der Rasierklinge, diesen Film zu besetzen. Genau dieser Tanz macht ihn gut. Massiv Bonuspunkte für Thomas Loibl als Gerald, der Chef.
Kurzkritiken
Kurzkritiken zu The Conjuring 2, Zoomania, Midnight Special
THE CONJURING 2
Am ersten Teil gefiel mir so gut, dass er sich Zeit ließ mit den Schockeffekten, dass er zumindest in der ersten Hälfte wirklich glaubwürdig vermittelt hat, dass der örtliche Dämon diese Familie in den Wahnsinn treibt. Dazu kam, dass Patrick Wilson und Vera Farmiga die echten Ghostbusters – das Ehepaar Warren – wirklich so gut in Szene gesetzt hat, dass ich mir daraufhin die Warren-Biografie auf den Kindle geladen habe und seitdem panische Angst vor Ouija-Boards habe.
Der zweite Teil kommt schneller zu den Special Effects und das macht ihn weniger gruseliger und überhaupt ein bisschen generischer. Dass der Film auf einem tatsächlichen „Fall“ der Warrens beruht und hemmungslos übertreibt ist nur insofern ein Problem, als dass der echte Fall mit all seinen für Dämonologie so typischen Symptomen eigentlich viel unheimlicher ist. Dann wiederum schaut sich heutzutage die Masse vermutlich keine zwei Stunden lang einen Film an, wo es die ganze Zeit klopft und als Höhepunkt ein einsames Möbelstück an die Wand klatscht. Wilson und Farmiga heben den Film dann aber doch erneut weit übers Spukhaus-Mittelmaß, und die pissnasse Londoner Vorstadt ist ein wunderbar unverbraucht gebrauchtes Setting. Wem nicht das Herz bricht, wenn Patrick Wilson „Can’t help falling in love“ singt, ist sicher von allen guten Geistern verlassen.
MIDNIGHT SPECIAL
Jeff Nichols Filme sehen immer gut aus und seine Schauspieler sind hochmotiviert. Bisher hat mir jedoch ein wenig das Adrenalin und eine gewisse Lässigkeit gefehlt. Das ist jetzt alles voll da – Midnight Special geht ab wie eine überlange Folge von Fargo, Staffel 2. Dieser Schwung wird auch nicht von der schwachsinnigen Handlung eines Jungen mit Superkräften gebremst, der auf der Suche nach seinen Roots ist. Man stelle sich ein übertrieben langes Roadmovie-Flashback aus Zack Snyders „Man Of Steel“ vor, nur mit guten Dialogen. Erstaunlich wie unterhaltsam der Film bei dieser Prämisse geworden ist, was nicht zuletzt an Michael Shannon, Joel Edgerton, Kirsten Dunst und Kylo Ren liegt, der hier einen NSA-Ermittler spielt, der seine Emotionen ganz gut im Griff hat.
ZOOTOPIA (ZOOMANIA)
Nett, aber mit dem Faultier-Trailer verschenkt er auch schon seine beste Szene.
Kurzkritiken zu The Nice Guys und 10 Cloverfield Lane
THE NICE GUYS
Das ist der neue Bud Spencer & Terence Hill, die neue nackte Kanone und doch irgendwie eher der erste Pink Panther. Ryan Gosling ist so gut, dass man sich in jeder Einstellung, in der er nicht zu sehen ist, fragt, was er jetzt grade wieder für ein Gesicht macht. Das ist L.A. Noire mit Comedy – in a perfect blend, ums im Zigarettenenglisch der 70er auszudrücken. Es ist Goslings beste Rolle, denn bombenlustig sein und trotzdem in jeder Szene todernst genommen werden wollen, ist viel schwieriger zu spielen, als den ganzen Film über ausdruckslos zu driven. Zugegeben, schon in Ides Of March und The Big Short hat er mich beeindruckt, aber das ist sein Gustostück. Und der erzgemütliche und synchron erzbrutale Russell Crowe als sein Bud (Spencer) macht seine Sache kaum schlechter. Shane Black kann Kumpelthriller ohne Sinn und Verstand, aber mit enorm viel Herz und Seele erzählen wie kein anderer, siehe Lethal Weapon, siehe Kiss Kiss Bang Bang. Aber selbst er hat wohl nicht damit gerechnet, wie sehr Gosling den 70er-Jahre Sleazetective zu seinem ureigenen Genre macht. Bisschen viel Papa-Tochter-Getöse noch, aber ansonsten bitte gerne jetzt mindestens so viele Fortsetzungen wie bei Inspector Clouseau. (Fallstudie, falls ihr den Film noch seht: wie Ryan Gosling sich über free drinks freut oder wie beiläufig angewidert er von der Vorstellung ist Bourbon Martini zu trinken. Das wird nie wieder jemand besser spielen.)
10 CLOVERFIELD LANE
Mary Elizabeth Winstead ist eine meine absoluten Lieblingsschauspielerinnen und so sehr ich es bedaure, sie oft auf das wehrhafte Survival Girl beschränkt zu sehen, so gern sehe ich sie erst verzweifeln und schließlich asskicken. Der Film ist lange ein kammerverspieleter Psychothriller bis er keiner mehr ist. Mehr darf man nicht verraten.
Kurzkritiken zu The Witch & The Duke Of Burgundy
THE WITCH
Ich bin mir immer noch nicht sicher, wie ich das Ende finde und ob der Film überhaupt das Übernatürliche gebraucht hat, denn das Landleben der Kolonialisten in New England alleine ist schon so horrend, dass ich einen der übelsten Albträume meines Erwachsenenleben davongetragen habe, und das nach dem ersten Drittel des Films (habs über iTunes US gesehen). Haltung über Handlung, Atmosphäre über Charaktere muss man hier nicht bemängeln, denn der Film ist wie ein düsteres Gemälde aus dem 17. Jahrhundert in ins Dunkle verblichenen Farben, auf das man nicht aufhören kann zu starren, obwohl man weiß, dass man schlecht träumen wird. Das ist eine Leistung für einen Film, der nahezu komplett auf Ekel und Eingeweide verzichtet.
THE DUKE OF BURGUNDY
Gothic-Sado-Maso-Lesben-Sex im Exploitation Stil der 70er, denk an Fassbender, Hamilton, Softpornos und Giallo. Und der Clou: Es geht nicht um Sex, sondern ganz aufrichtig um Liebe und Treue, man muss den Film fast putzig nennen, er zeigt auch nullkommanull Anstößiges. Die Metapher mit den Insekten fand ich ein bisschen aufgesetzt, aber man kann Regisseur Strickland attestieren, dass auch er ein Gemälde zustande gebracht hat. Ein Anti-Sittengemälde mit Gothic Flair und Hippie-Attitüde. Manchmal fad, immer seltsam, aber letztlich wunderbar humanistisch.
Kurzkritik zu X-Men: Apocalypse
„Buck for bangs“ stand irgendwo im Netz und das stimmt. Für sein Eintrittsgeld bekommt man Geknalle bis einem schwarz vor Augen wird und damit ist nicht der Abspann gemeint. Ansonsten ein ziemlich generischer X-Men-Film mit Charakteren wie vom Dialogautomaten ausgespuckt und ein tiefblauer und dennoch höchst farbloser Oscar Isaac als der titelgebende Villain. Highlight: die Anfangssequenz in der Pyramide (Stichwort: Powerslave) – Lowlight: der Wolverine-Auftritt (Stichwort: Otto-Waalkes-Walk). Wo Spiegel Online hier den Mut zum politischen Kommentar sieht, ist mir unverständlich. Das Gewese um den Gesellschaftskampf von Außenseitern und Minderheiten ist hier zur rein semantischen Zierde vom FX-Gerumpel verkommen.
Kurzkritik zu Captain America: Civil War
A fanboy’s wet dream. Mit dem gleichnamigen Comic hat’s zwar herzlich wenig zu tun und über die Handlung samt „big“ bad Daniel Brühl kann man auch ein Ei schlagen, aber Geschepper, Dialog, Charaktertiefe und Handlungsplausibilität stimmen. Grade nach dem Bats vs. Supes-Mumpitz muss ich sagen: Marvel hat irgendwie den Bogen raus, wie man Fanboy-Erwartungen mit ziemlich rundem Spaßkino unter einen Hut bringt. Und dabei können sie sogar noch nachdenklich und randnotizig düster wirken, ohne dass gleich die Apokalypse losbrechen muss. Biggest asskickers: Sebastian Stan als Bucky Barnes, die kleine Olsen als Wanda Maximoff (Bussi, Baby!) und Cap selbst. Vergisst man nämlich fast, dass der Film von Steve Rogers handelt und seinen Anpassungsproblemen, ja sogar von seinem Problem mit Autorität. Tut er aber. Bonus: guter, naiver, vorlauter Spidey via Tom Holland. Malus: Schauspieler, die Deutsche spielen, aber nicht richtig Deutsch sprechen. Ich verstehe ja noch, dass man sich in L.A. nicht die Mühe macht, lauter Nativsprecher zu casten, aber Herrgott, wenn man schon die Hälfte des Films in Deutschland dreht.
PS: Mein 5-jähriger Sohn hat übrigens geweint, als ich ihm erzählt habe, dass Spider-Man Antman bekämpft. Talk about a messed up Wertesystem.
Kurzkritik zu Creed, Fury, Macbeth, Darling
CREED
Politisch korrekter Rocky. Einwanderer-Problematik der 70er muss endlich und selbstverständlich hinter „Black Lives Matter“ zurücktreten und das meine ich nicht im Geringsten ironisch. Stallone spielt super und Coogler inszeniert gut, für meinen Geschmack aber noch ein bisschen zu weiß. Bis auf die ziemlich übermotivierte Jogging/Moped-Gang-Szene ziemlich grounded ohne spaßfrei zu werden. Das Ringgeschehen kann noch so modern aussehen und auf ESPN-Sports Center machen, die Kämpfe bleiben ein Watschenfest alter Schule. Jeder Punch ein Treffer.
FURY
Slicker Kriegsfilm ohne neue Erkenntnisse. Trotzdem lei(n)wand, weil was soll man auch zum Krieg noch sagen, außer dass er brutal und überflüssig und vor allem überflüssig brutal ist.
MACBETH
Nach Polanksis Sharon-Tate-Aufarbeitung die erste nennenswerte Verfilmung. Fassbender gelingt der Übergang vom kriegsmüden Helden zum irrlichternden Tyrannen glaubwürdig und Cotillard ist eine schlangige Lady Macbeth, aber zuckrig genug, um auf sie reinfallen zu wollen. Wollen muß man schon. Bin trotz Studium der englischen Literatur kein Shakespeare-Kenner, kann also nichts zum Text sagen – würde behaupten stark gekürzt, aber überwiegend original. Insgesamt sehr modern. Fast wie ein Neo-Western inszeniert. Musik hätte auch von Cave/Ellis sein können, stammt aber von Jed Kurzel, Bruder vom Regisseur Justin Kurzel, der übrigens in der Besetzung Fassbender/Cortillard gerade die Verfilmung von Assassins Creed in Angriff nimmt. Bisschen manieristisch, aber das liegt wohl in der Natur der Vorlage. Hervorragend: Macbeths letzter Talk mit Banquo und seine fiebrige Ansprache bevor er im King-Stannis-Gedenkfeuer die Familie von Macduff anzündet.
DARLING
Junge Frau passt auf ein altes New Yorker Haus auf und dreht durch. That’s all, folks. Visuelle Anbiederei bei Polanskis frühen Werken wie The Tenant, Rosemarys Baby und vor allem Repulsion. Hab ich nicht nur abgeschrieben, ich hab auch alle drei Filme gesehen. Sieht trotzdem unfuckingfassbar gut aus und Lauren Ashley Carter knocks it out of the (Central) park. Crux: Fast schon provozierend derivatives und unorginelles Drehbuch.
Kritik zu Batman v Superman
Mein lieber Scholli, Zack Snyder. Das war ein Eigentor mit einem Kilometer Anlauf. So sehr ich diesen Film sehen wollte (und letztlich macht das Sehenwollen ja einen Blockbuster aus – viel, viel mehr als die Kritiken), so sehr ging er mir schon nach einer halben Stunde auf die Nerven und an die Nieren.
Selbstgefällig, humorlos und aufgeblasen liest man ja und ich behaupte: so tut der Film nicht, weil er sich selber so gefällt, sondern weil er weiß, dass er Schwachsinn ist. Das superdystopische Setting, der Blickwinkel auf den Bosskampf von Man Of Steel als Terrorakt und Batman als der verrohte Brandeisen-Vigilant, das mag alles ein bisschen dick aufgebrandet wirken, aber das war interessant, solange es das vorbereitet, was dann folgt.
Aber es führt zu rein gar nix. Plötzlich steht da Jesse Eisenberg herum und overacted so eklektisch, als könnte er sich nicht entscheiden, welche Art von Tick oder Psychose sein Luthor denn nun eigentlich hat – vielleicht in der vagen Hoffnung, es einem Heath Ledger gleichzutun. Doch statt ikonisch, wirkt er nur idiotisch und aus dem Plot gefallen. Und das will bei dem Plot was heißen.
Gal Gadot als Wonderwoman darf eigentlich nur vielsagend und allwissend schauen, bevor sie am Ende dem Kollegen Doomsday (meine Fresse) die Eier abschnürt (kein Spoiler), hat aber ansonsten keine Funktion in dem Film, was im Prinzip sogar auch auf die Hauptdarsteller Cavill und Affleck zutrifft. Cavill ist ein guter Mann, der bleibt tapfer all in, während ich bei Affleck (der ja auch ein guter Regisseur ist) den Verdacht hege, dass er das Ganze deshalb so unterspielt, weil er schon am Set ahnt, dass das Mumpitz wird. Aber es war nicht alles schlecht – das reguläre Batman-Kostüm (nicht die Rüstung) sah gut aus, besser als bei Nolan.
Kurzkritiken zu Deadpool, Hail Caesar, Spotlight
DEADPOOL
Mit Zwanzig hab ich den „Merc with a mouth“ gern gelesen. Aber mit Zwanzig hab ich auch noch viel geweint, mich selbst als den „Tritt gegen das Schienbein der Gesellschaft“ bezeichnet, jeden Tag im Schnitt sechs große Bier getrunken und die Balladen auf der „Mellon Collie and the Infinite Sadness“ gehört. Und das ist das Erstaunliche: Trotz des Beavis & Butthead-Humors, trotz des penetranten Durchbrechens (Pleonasmus?!) der vierten Wand, trotz der unmodern drastischen Gewaltdarstellung war das ein guter Film. Stimmiger Plot, fetziger Takt, originelle Dialoge – aus einem Guß. Manchmal vergisst man, wie selten Filme einen wirklich unterhalten, dabei geht man doch deswegen ins Kino.
HAIL CAESAR
Hab ich direkt nach Deadpool gesehen. Über diesen Film zu lästern, fällt einem schwer, wenn man die detailverliebten Sets und Meta-Sets, die Choreographien, Kostüme und Manierismen betrachtet, sprich: die Mühe, die sich die Coens mit der Ausstattung gegeben haben. Ich läster trotzdem. Der Film ist eine reine Nummernrevue, unzusammenhängend, ohne Spannungsbogen und wird ausgerechnet von der uninteressantesten Figur, Brolins Fixer, zusammengehalten. Promis, die überzogene Rollen in Farcen spielen, verhindern zudem, dass man sich auf die Filmrealität einlässt. Man sieht, wie George Clooney, Scarlett Johansson und Tilds Swindon vor sich hin parodieren, aber man sieht nicht die Figuren, die sie spielen. Coen-Filme funktionieren immer besser mit weniger bekannten Schauspielern, siehe Inside Llewyn Davis und A Serious Man.
SPOTLIGHT
Geistiges Erbe von „All The President’s Men“ mit Redford und Hoffmann. Ein Journalistenfilm nach Tatsachen, bedeutet: er erspart uns den romantischen Nebenplot und den großen Twist gegen Minute 90. Ein sehr selbstbewusster Film über einen Skandal, der literally zum Himmel schreit, und wie er in die Zeitung kam. Präzise, gelenkig und sezierend, aber nie aufschneiderisch.
Kritik zu The Hateful Eight
Kurz nach dem Kinobesuch (ich sah die ewig lange 70 mm-Version) wollte ich diese Kritik mit einer häufig im Film verwendeten Vokabel bestreiten: horseshit.
Dann aber hab ich begriffen, dass das mehr die Enttäuschung als meine Meinung über diesen Film ist. Enttäuschung darüber, dass Tarantino immer noch der alte Scharlatan ist und sich in meinen Augen nicht zum großen Auteur entwickelt hat. Dann wiederum: warum sollte er?
Aber langsam (im wahrsten Sinne): Hateful Eight ist eigentlich ein Schritt zurück für Tarantino, weg von der ungewöhnlich klar umrissenen Heroik von Bill, Basterds und Django. Es ist die period-piece-Variante von Reservoir Dogs: ein Haufen mörderisch selbstsüchtiger Leute trifft sich auf engstem Raum und bringt sich mehr oder weniger gegenseitig um. Natürlich ist der Film zumindest formal ein Western, dann wiederum spielt das gar keine so große Rolle. Tarantino kennt alle Western-impliziten Konventionen aus dem FF, zitiert aber nicht einfach nur vor sich hin (wie man ihm das gerne zu Unrecht vorhält), sondern strickt sich wie jeder gute Westernregisseur sein eigenes inhärent plausibles Universum daraus. Das ist diesmal sogar frei von den üblichen Anspielungen auf Popkultur (wenn man Western nicht als solche bezeichnet), was ich erfrischend fand.
Und dieses neue Universum, das mit Django Unchained vielleicht nur den nackten Rassismus gemein hat, sieht fantastisch aus. Die ersten schneeverwehten, körnigen Einstellungen a la McCabe und Mrs Miller, das lange Verweilen auf dem Wegkreuz, die Kutschfahrt mit dem Blizzard im Nacken – Exposé und Chapter One sind lässig, innovativ und mysteriös zugleich. Dann beginnt das Kammerspiel und damit das Dilemma.
Die Schauspieler, allen voran Jennifer Jason Leigh und Sam Jackson, sind alle on top of their game – Tarantino musiziert mit diesem Ensemble. Aber gerade das täuscht darüber hinweg, wie wenig seine Figuren eigentlich zu sagen haben (selbst wenn sie viel sagen), wie stereotyp sie sind (Roth muss wohl als süffisant geschwätziger Waltz-Ersatz herhalten) und wie irrelevant ihre Gespräche sind, wenn sie nicht gerade dem Plotfortschritt dienen. Ich behaupte: so einem Ensemble reichen auch fünf Minuten, um die Figuren auszufüllen, es müssen nicht 1,5 Stunden vergehen. Das Tarantino das mit voller Absicht in die Länge zieht, ist sein gutes Recht, aber es darf mich ja trotzdem zermürben, vielleicht will er auch das genau so. Auf deutsch: ich habe mich gelangweilt und mich gefragt:
Warum hat Tarantino genau diesen Film gemacht? Ich würde es wirklich gerne wissen. Wollte er einfach mal einen Bürgerkriegswestern machen, ist der Film ein Kommentar zum „Schlachthaus USA“, der langen Tradition seiner zivilen Gewalt-Exzesse, oder war das einfach der nächste Film, der Tarantino nach Django einfiel und ihm Spaß bereitete? Natürlich kann der Reiz genau darin liegen, darüber zu spekulieren, aber ich mir fehlten nach zwei Stunden Zoopalast, einem halben Liter zuckerfreier Cola und einem Energiegetränk die Anhaltspunkte und die Schlusskapitel haben mich noch mehr verwirrt. Wirkten sie auf mich doch wie das pflichtbewusste Abspielen ein paar mittelinteressanter Story-Twists plus der refrainartigen Brutalität von Tarantino-Filmen.
Ein amerikanischer Kulturkritik-Podcast lobt Tarantino als „master manipulator“ seines Publikums und auch er selbst sieht sich laut eines Artikels (mir ist entfallen welcher) als jemand, der das Publikum dazu bringt, in den abartigsten Situationen zu lachen oder Leuten die Daumen zu drücken, die man im nächsten Moment in die Geschlossene einweisen möchte. Aber das ist keine Kunst. Das ist Tarantinos leichteste Übung, das hat er in vielen seiner Filmen bewiesen und ausgereizt. Ich mag nicht der verlässlichste Filmkritiker sein, aber für mich hat sich seine Grauzonen-Moral genau wie die laute und explizite Gewalt ästhetisch erledigt. Ich wage sogar zu behaupten, sie ist nicht mehr zeitgemäß.
In erwähntem Podcast wird die Anekdote einer Dozentin herangezogen, die amerikanischen und russischen Studenten gleichermaßen Hamlet beibringt. Die amerikanischen Studenten nehmen zunächst an, Hamlet sei der Held und folgen nur zu bereitwillig seiner Moral und Sicht der Dinge, die russischen entlarven ihn augenblicklich als den „unreliable narrator“, der er ist. Jetzt möchte ich Tarantino nicht die Fähigkeit absprechen, gekonnt und vielleicht sogar im Ansatz gesellschaftskritisch mit den moralischen Erwartungshaltungen seines amerikanischen Publikums zu experimentieren, aber das Spiel ist doch zu leicht zu durchschauen für jeden, der wenigsten Pulp Fiction gesehen hat. Für mich hat das an massiv Faszination eingebüßt, allerdings sprachen die Ovationen im Kino eine andere Sprache, was das deutsche Publikum angeht.
Ich bin unglaublich gespannt auf Tarantinos nächsten Film. Bis Hateful Eight hatte er mich immer überraschen können und eines Besseren belehren, und ich musste mir eingestehen, wie wenig Fantasie und Talent ich ihm schon wieder zugetraut hatte. Sogar der im letzen Viertel ins Belanglose abkippende Django Unchained ist bis zum Tod von Waltzs Charakter eine wundervolle Roadshow aus echtem Western, Western-Zitat und peppigen Tarantino-ismen. Doch diesmal hatte ich zum ersten Mal das Gefühl der Mann kocht doch nur mit Wasser und wären da nicht immer wieder diese unglaublichen Schauspieler und seine Art, sie zu führen, bliebe manchmal tatsächlich nur horseshit übrig.